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"Für die Kurden gibt es nur eine politische Lösung"

Ein internationale Konferenz beriet in Diyarbakir über Strategien zur Lösung des Kurdenproblems. Gespräch mit Norman Paech *

Von Peter Wolter

Sie sind soeben von einer Konferenz über die Zukunft Kurdistans aus der Türkei zurückgekehrt - was ist dabei herausgekommen?

Das war eine recht große Tagung in Diyarbakir, an der nicht nur türkische Kurden, sondern auch Türken aus Istanbul und Ankara teilgenommen haben. Auch Leute aus Belgien, England, Frankreich, Schweden, Deutschland usw. waren dabei. Es war eher eine demokratische Gesellschaftskonferenz, keine Veranstaltung, die sich auf Mitglieder der verbotenen DTP oder ihrer Nachfolgepartei BDP beschränkte. Im wesentlichen ging es darum, die labile Situation in der Türkei einzuschätzen: Einerseits geht die Regierung scharf gegen einige Generäle vor, die einen Putsch geplant haben sollen - andererseits läßt sie wieder einmal kurdische Bürgermeister verhaften.

Eines der Ergebnisse der Konferenz war, daß nur eine politische Lösung für das Kurdenproblem möglich ist - die militärische Variante wäre völlig kontraproduktiv. Eine politische Lösung setzt aber voraus, daß alle Kräfte daran beteiligt sein müssen - auch die schon seit langem verbotene Kurdenpartei PKK und ihr Vorsitzender Abdullah Öcalan, der aus dem Gefängnis entlassen werden muß.

Die Notwendigkeit einer politischen Lösung wird von der türkischen Regierung offenbar etwas anders bewertet. Die setzt doch mehr auf den militärischen Faktor.

Es gibt zweifelsohne Kräfte, auch in der politischen Elite, die davon überzeugt sind, daß es militärisch nicht geht. Auf der anderen Seite ist aber der militärische Faktor immer noch sehr stark. Insbesondere, nachdem US-Außenministerin Hillary Clinton wieder Rückendeckung im Kampf gegen die PKK gegeben hat. Das ist eben das Ambivalente dieser Situation.

Ankara hatte vor Jahren eine Initiative zur Lösung der Kurdenfrage angekündigt - herausgekommen ist das Verbot der DTP. War es das schon mit der Initiative - oder gibt es jetzt neue Ansätze?

Im Augenblick nicht. Aber das war ja auch Aufgabe dieser Konferenz, aus Lösungsansätzen anderer ethnischer Konflikte Vorschläge zu entwickeln - etwa aus Galicien, dem Baskenland, Irland, Wales oder auch Belgien. Das türkische Innenministerium war auch eingeladen - es hat aber abgesagt, angeblich aus Zeitgründen. Wir hätten auch gerne Vertreter von Botschaften der europäischen Staaten dabeigehabt. Aber lediglich die britische Botschaft hat jemanden geschickt.

Bei der Konferenz wurde auch über die Rolle der PKK diskutiert. Warum, meinen Sie, geht kein Weg dran vorbei, daß die türkische Regierung mit der PKK verhandelt - konkret mit ihrem inhaftierten Vorsitzenden Öcalan?

Das versteht man wohl nur, wenn man in dieser Region gewesen ist und mit den Menschen gesprochen hat. Die PKK ist dort immer noch ein enormer politischer Faktor. Sie ist militärisch nur vorgegangen, wenn sie angegriffen wurde, sie hat immer ihre Waffenstillstandsangebote eingehalten, sie hat nichts mit Terrorismus zu tun - das wurde auf der Konferenz auch immer wieder betont. Öcalan wird von der Bevölkerung immer noch bewundert, er ist eine Symbolfigur. Eine Entspannung der Situation und ein fruchtbarer Dialog sind erst dann möglich, wenn er in Freiheit ist.

Die Türki ist nicht das einzige Land mit ethnischen Problemen - wo sehen Sie Vorbilder, aus denen Kurden und Türken lernen könnten?

Es wurde klar, daß solche Beispiele aus den europäischen Ländern kaum zu erwarten sind. Der heftige und zum Teil auch gewalttätige Separationsprozeß der Basken z.B, . hat wenig Ähnlichkeiten. Einerseits, weil die Basken schon enorme Autonomierechte haben, von denen die Kurden noch träumen. Zum anderen, weil die Basken eindeutig auf Separation aus sind, was die Kurden aber schon in den späten 90er Jahren aufgegeben haben. Sie wollen Autonomie und Selbstverwaltung, aber innerhalb der Türkei. Auch bei den Iren ist die Ausgangslage völlig anders. Ähnlichkeiten findet man am ehesten im Nahen und Mittleren Osten, also im Libanon und in Palästina. Für die nächsten Monate wird daher eine vergleichbare Konferenz vorbereitet, an der Vertreter der politischen Bewegungen dieser Regionen teilnehmen.

Norman Paech war bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2005 in Hamburg Professor für öffentliches Recht. Von 2005 bis 2009 war er Bundestagsabgeordneter und außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion

* Aus: junge Welt, 4. März 2010


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