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Erdogan und die "Türban-Verfassung"

Türkischer Regierungschef will dem Kopftuch an Universitäten zum Durchbruch verhelfen

Von Jan Keetman, Istanbul *

Nachdem Recep Tayyip Erdogan die Wahlen im Sommer gewonnen hat, sein langjähriger politischer Weggefährte Abdullah Gül Präsident geworden ist und der Druck der Opposition wegen einer Irakoperation angesichts häufiger Luftangriffe nachgelassen hat, sitzt der türkische Premier ziemlich fest im Sattel. Zeit um neuen Anlauf zur Legalisierung des Kopftuchs an den Universitäten der Türkei zu nehmen.

Eigentlich geht es nicht mehr um das bloße Tuch, sondern um eine ganz bestimmte Art, Kopf und Hals einzuwickeln, den »Türban«, den bereits alle Frauen von Erdogans Ministern tragen. Von Madrid aus, wo Erdogan an einer Konferenz über die »Allianz der Zivilisationen« teilnahm, gab der türkische Regierungschef den Startschuss zur Debatte. In einem Interview erklärte er, selbst wenn der »Türban« ein politisches Symbol sei, wäre das kein Grund, ihn zu verbieten.

Über Jahre hat der gleiche Erdogan immer wiederholt, die Bedeckung des Kopfes sei kein politisches Symbol, sondern ein religiöses Erfordernis und falle daher unter Religionsfreiheit. Zwar hat er jetzt nicht ausdrücklich das Gegenteil gesagt, aber doch deutlich die alte Linie verlassen. Der Führer der kemalistischen Opposition, Deniz Baykal, hat natürlich gleich gemerkt, dass Erdogan sich mehr oder weniger selbst widerspricht: »Der Premier richtet ein Chaos unter den Begriffen an und zieht die Türkei in eine gefährliche Richtung«, erklärte Baykal. Auch die Universitätsrektoren, in der Regel strenge Kemalisten, sind einmütig gegen das Kopftuch an ihren Einrichtungen. Doch noch in diesem Jahr wird Präsident Abdullah Gül 23 neue Rektoren ernennen.

Rechtlich beruht das Verbot des Kopftuchtragens an Universitäten auf einer Entscheidung des Verfassungsgerichts, das 1989 das in der Verfassung verankerte Prinzip des Laizismus, der Unterordnung der Religion unter den Staat, entsprechend ausgelegt hatte. Doch Erdogan hat eine neue Verfassung ausarbeiten lassen. Der Entwurf ist zwar noch nicht bekannt, aber mit Hilfe eines Zusatzes – oder einfach durch Auswechslung der Rektoren – könnte Erdogan das Kopftuchverbot an den Universitäten aufheben.

Ansonsten stockt Erdogans Reformmotor – wie seit nun gut zweieinhalb Jahren, also seit der Aufnahme der Beitrittsverhandlungen mit der EU. Die einzige konkrete Reform, die demnächst umgesetzt werden könnte, ist die Verlegung der Zentralbank von Ankara nach Istanbul. Außerdem hat Erdogan versprochen, das am Veto des vormaligen Präsidenten gescheiterte neue Stiftungsrecht noch einmal zu verabschieden. Es geht vor allem um das nach und nach beschlagnahmte Eigentum religiöser Minderheiten. Die aber sind von den beabsichtigten Änderungen keineswegs beeindruckt.

Anlässlich des schiitischen Fastenmonats Moharrem entdeckte Erdogan auch die schiitische Minderheit der Aleviten. Er lud sie zu einem aus religiösen Gründen umstrittenen Mahl zum Fastenbrechen ein und machte danach Andeutungen, er werde die Wünsche der Aleviten berücksichtigen, sie seien ihm nur noch nicht vorgetragen worden. Das ist allerdings nicht ganz richtig. Im August 2005 hatten sich 2000 Aleviten an das Amt des Regierungschefs gewandt und gefordert, dass die Gebetsräume der Aleviten, die Cemevi, den Moscheen gleichgestellt werden und dass die staatliche Religionsbehörde auch die Besoldung der alevitischen Priester übernimmt. Dies wurde jedoch abgelehnt und letzte Woche bestätigte ein Verwaltungsgericht diese Ablehnung bestätigt. Erdogan schwieg zu dem Urteil.

Eine andere große Minderheit, der Erdogan in letzter Zeit Avancen gemacht hat, sind die Kurden. Allerdings hat er auch keine Zweifel aufkommen lassen, als er zweierlei ausdrücklich ausschloss: Es werde keinen kurdischsprachigen Unterricht und keine regionale Autonomie, etwa nach dem Beispiel des Baskenlandes oder Kataloniens, geben. Damit bleibt der einzige nennenswerte Reformschritt, der sich mit der neuen Verfassung abzeichnet, die Verbreitung des »Türban«, der tatsächlich längst zum politischen Symbol von Erdogans Partei AKP geworden ist. Hasan Pulur, Kolumnist der Zeitung »Milliyet«, hat für das neue Grundgesetz, dessen Entwurf auch er noch nicht gesehen hat, bereits einen Spitznamen gefunden: »Türban-Verfassung«.

* Aus: Neues Deutschland, 17. Januar 2008


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