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Ohrfeige kam als Schlappe zurück

Türkei erreichte durch diplomatischen Druck israelische Entschuldigung

Von Jan Keetman, Istanbul *

Durch die erniedrigende Behandlung des türkischen Botschafters in Tel Aviv sollte der Türkei publikumswirksam eine diplomatische Ohrfeige verabreicht werden. Doch nach einem Ultimatum des türkischen Staatspräsidenten ist der Schuss nach hinten losgegangen: Der israelische Diplomat musste sich entschuldigen.

Der Stellvertreter des israelischen Außenministers Avigdor Lieberman, Danny Ayalon, hatte den türkischen Botschafter Oguz Celikkol genötigt, auf einem niedrigen Sessel Platz zu nehmen und ihn anschließend vor israelischen Journalisten gedemütigt. Auch nach einer harschen Reaktion des türkischen Außenministeriums fuhr Ayalon fort, sich dieses Verhaltens zu rühmen. Dies sei die Antwort auf türkische Provokationen.

Darunter ist die harte Kritik des türkischen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan insbesondere am Gaza-Feldzug zu verstehen, außerdem hat die Türkei im Oktober die israelische Luftwaffe von einem NATO-Manöver in Anatolien ausgeladen. Israel hat sich auch wiederholt über türkische Fernsehserien beklagt, die Israelis als unmenschlich darstellen. Der letzte Fall war eine Neuauflage der Serie »Tal der Wölfe«. In der neuen Folge geht es unter anderem um ein türkisches Kind, das von israelischen Agenten entführt wird, um es zum Juden zu machen.

Doch die israelische Kritik ist nun hinter dem diplomatischen Affront völlig verblast. Nachdem die dringend geforderte Entschuldigung nicht sofort kam, schaltete sich der türkische Staatspräsident Abdullah Gül ein. Gül erklärte am Mittwoch öffentlich, dass er eine Entschuldigung durch die israelische Regierung bis Mitternacht erwarte, sonst werde der türkische Botschafter mit der ersten Maschine nach Ankara zurückkehren.

So weit, dass Ankara seinen Botschafter abzieht, wollte man in Israel jedoch nicht gehen. Danny Ayalon war schließlich gezwungen, einen Entschuldigungsbrief zu schreiben. Obwohl die Türkei eigentlich eine Entschuldigung auf höherer Ebene gefordert hatte, entschloss sich Erdogan, die Entschuldigung anzunehmen.

Die Türkei ist das einzige größere Land in der Region, zu dem Israel gute Beziehungen hat bzw. hatte. Doch die Regierung Erdogan intensivierte in den vergangenen Jahren die Beziehungen zu Teheran und Damaskus, während sie gegenüber Israel immer frostiger werden. Trotzdem sind die ökonomischen Beziehungen und darunter die Zusammenarbeit der Rüstungsindustrien noch wichtig. Der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak wird am Sonntag Ankara besuchen. Auch mit Rücksicht auf die USA wird die Türkei sich nicht ganz von Israel abwenden.

Doch die politische Musik spielt woanders. Unverkennbar strebt Regierungschef Erdogan nach einer führenden Rolle in der islamischen Welt. Den Vorsitz in der Organisation der Islamischen Konferenz hat Ankara bereits. Nun hofft man, dass als Nächstes das Kapital der Ölstaaten vom Persischen Golf im Finanzzentrum Istanbul angelegt wird.

Streit mit Israel ist auf diesem Wege vielleicht nicht unbedingt erforderlich, aber auch nichts, was der Türkei schadet. Außerdem haben sich die Türken nach der nur für das eigene Publikum bestimmten Show des stellvertretenden israelischen Außenministers als die besseren Taktiker erwiesen. Die diplomatische Ohrfeige kam als diplomatische Schlappe zurück.

* Aus: Neues Deutschland, 15. Januar 2010


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