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Gute Nachbarschaft

Türkei und Iran wollen ihren Warenaustausch in fünf Jahren verdreifachen

Von Knut Mellenthin *

Iran und die Türkei wollen ihre wirtschaftlichen Beziehungen auch künftig stark ausbauen. Diese Perspektive steht im Zentrum eines Besuchs von Abdullah Gül im Nachbarland, der am Sonntag abend (13. Feb.) begann. Unter den 135 Mitgliedern der Delegation, die den türkischen Präsidenten begleitet, sind viele Unternehmer und Wirtschaftsfachleute.

Das Handelsvolumen zwischen den beiden Ländern betrug im vergangenen Jahr 10,7 Milliarden Dollar. Ein Jahrzehnt zuvor hatte es nur bei rund einer Milliarde gelegen. Iran und die Türkei streben an, den gegenseitigen Warenaustausch bis zum Jahr 2015 auf 30 Milliarden zu verdreifachen. Ungefähr ein Drittel des Handelsvolumens – 3,44 Milliarden Dollar – machen derzeit türkische Exporte ins Nachbarland aus. Damit steht Iran unter den Abnehmern türkischer Produkte an zehnter Stelle. Iran führt in die Türkei hauptsächlich Erdgas aus und ist deren zweitwichtigster Lieferant hinter Rußland. Ankara lehnt eine Beteiligung an den einseitigen Sanktionen ab, die von den USA und der EU verhängt wurden, um Iran zur Demontage seines zivilen Atomprogramms zu zwingen.

Durch die unabhängige Außenpolitik, die das NATO-Mitglied Türkei seit einigen Jahren betreibt, sind auch die politischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern sehr viel enger und freundschaftlicher geworden. Im Mai vorigen Jahres war Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan zusammen mit dem damaligen brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio »Lula« da Silva an der Entwicklung eines Kompromißvorschlages beteiligt, der aus dem Streit um das iranische Atomprogramm herausführen sollte. US-Präsident Barack Obama hatte die beiden Politiker ausdrücklich um diese Vermittlung gebeten, brüskierte sie aber, nachdem das Ergebnis vorlag. Kurz darauf verabschiedete der UN-Sicherheitsrat seine vierte Sanktionsresolution gegen den Iran. Die Türkei, die zu dieser Zeit dem Gremium angehörte, stimmte ebenso wie Brasilien gegen den Beschluß.

Gül betonte jetzt während seines Besuchs erneut, daß der Streit um das iranische Atomprogramm ausschließlich auf dem Verhandlungsweg gelöst werden müsse. Sein Land sei bereit, dabei zu helfen. Die Türkei war im Januar Gastgeberin des vorerst letzten Treffens zwischen Vertretern des Iran und der Sechsergruppe, die aus den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates China, Frankreich, Großbritannien, Rußland und den USA sowie Deutschland besteht. Die Türkei durfte allerdings entgegen dem ausdrücklichen Wunsch Teherans nicht an den Gesprächen teilnehmen. Das Treffen verlief ohne jeden Ansatz einer Einigung. Ein nächster Termin wurde nicht vereinbart.

Auf die Massenproteste der jüngsten Zeit in mehreren arabischen Ländern eingehend, sagte Präsident Gül in Teheran, daß diese nicht überraschend kämen und sachlich berechtigt seien. Wenn einige Staatsoberhäupter und politische Führer die Forderungen ihrer Völker nicht beachteten, würden diese selbst aktiv, um ihre Interessen durchzusetzen.

* Aus: junge Welt, 16. Februar 2011


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