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Zwei Monate Hungerstreik

Parlamentarier schließen sich dem Protest politischer Gefangener in der Türkei an

Von Nick Brauns *

Der seit dem 12. September laufende unbefristete Hungerstreik von mittlerweile bis zu Zehntausend politischen Gefangenen aus der kurdischen Befreiungsbewegung in türkischen Gefängnissen dauert inzwischen mehr als 60 Tage. Doch weiterhin scheint kein Ende des immer lebensbedrohlicheren Protestes in Sicht.

Die Forderungen der Hungerstreikenden lauten auf die Beendigung der Isolationshaft des als Schlüsselfigur für eine politische Lösung der kurdischen Frage begriffenen Vorsitzenden der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) sowie die Aufhebung aller rechtlichen Barrieren für den Gebrauch der kurdischen Sprache an Schulen und vor Gericht. In der Frage muttersprachlicher Verteidigung vor Gericht hatte Vizeministerpräsident Bülent Arinc vergangene Woche zwar ein Entgegenkommen seiner Regierung durch die Ausarbeitung eines neuen Gesetzes signalisiert. Doch kurdischsprachigen Unterricht hatte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan wiederholt als rote Linie für seine Regierung bezeichnet. Und am Freitag wurde Öcalans Anwälten wie schon in den vergangenen 15 Monaten der Besuch ihres Mandanten mit dem Argument verweigert, das Boot zur Überfahrt auf die Gefängnisinsel sei defekt.

Inzwischen schließen sich auch Politiker der prokurdischen Partei für Frieden und Demokratie (BDP) außerhalb der Gefängnisse dem Hungerstreik an. Nach den Parlamentsabgeordneten Emine Ayna und Özdal Ücer erklärten am Samstag auch die BDP-Vorsitzende Gülten Kisanak und die vier Abgeordneten Aysel Tugluk, Sirri Süreyya Önder, Sebahat Tuncel und Adil Kurt, die Verweigerung der Nahrungsaufnahme. Die Abgeordneten führen ihren Hungerstreik im Rathaus der Millionenstadt Diyarbakir, gemeinsam mit deren Oberbürgermeister Osman Baydemir. Auch Gefangene der türkischen Stadtguerilla »Revolutionäres Hauptquartier« in der Haftanstalt im Gefängnis von Tekirdag haben sich der Aktion angeschlossen.

Erneut gingen am Wochenende in der Türkei und Europa Tausende Menschen zur Solidarität mit den Hungerstreikenden auf die Straße. Allein in Yüksekova in der Provinz Hakkari demonstrierten 10000. Auf Angriffe der Polizei mit Gasbomben und Wasserwerfern antwortete die Menge mit Steinwürfen und dem Bau von Barrikaden. Gleichzeitig wächst die weltweite Solidarität mit den Hungerstreikenden. Die kolumbianische FARC-Guerilla schickte ein Grußwort.

* Aus: junge Welt, Montag, 12. November 2012


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