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Verhandlungen anstoßen

Von Michael Gunter *

Die neunte internationale Konferenz der EU Turkey Civic Commission (EUTCC) wird am 5. und 6. Dezember in Brüssel stattfinden. Eine Reihe von Dokumenten wird dabei präsentiert zu dem Konferenzthema »Die Kurden-Frage in der Türkei: Zeit den Dialog zu erneuern und direkte Verhandlungen wieder aufzunehmen«. Alle Vorträge werden sich auf die Ergebnisse des jüngsten Fortschrittsberichts der Europäischen Kommission zum Aufnahmeverfahren mit der Türkei beziehen, in dem es heißt: »Die Kurden-Problematik und Optionen zu ihrer Lösung wurden umfassend diskutiert. Jedoch wurde die demokratische Öffnung von 2009, die unter anderem auf die Kurden-Frage zielte, nicht weiterverfolgt. Insgesamt ist zu sagen, dass es keinen Fortschritt in der Kurden-Frage gab.«

Wir halten nun diese Konferenz im Europäischen Parlament ab, um mehr Sichtbarkeit und Glaubwürdigkeit mit unserem Anliegen zu bekommen. Wir wollen, dass die EU unseren Aufruf zur Wiederaufnahme der Verhandlungen zwischen der Türkei und der PKK unterstützt. Sie wurden geführt, bis die Türkei die Verhandlungen im Sommer 2011 plötzlich abbrach. Mehr als 40 000 Menschen sind gestorben, seit diese Auseinandersetzung 1984 begann. Wir denken, es ist an der Zeit sie auf einem Weg zu beenden, der für beide Seiten fair ist.

Was heute in der Türkei geschieht, scheint ein Versuch zu sein, die kurdischen Stimmen zu ersticken und eine unilaterale türkische Lösung bezüglich fundamentaler Fragen der Sicherheit und Zukunft des Landes zu erzwingen. Insbesondere die Verhaftungen von PKK-Angehörigen wirken weniger wie ein Krieg gegen den Terror als einer gegen abweichende Ansichten.

Des Weiteren sind türkische Reformen in zu geringem Maß und zu spät erfolgt. Die Ankündigung der Regierung im Juni 2012, die kurdische Sprache als Wahlfach einzuführen und die Haltung der oppositionellen CHP, die Kurden-Frage nicht mit der Regierung diskutieren zu wollen, beeindrucken unzufriedene Kurden nicht besonders. Privatklassen in kurdisch gibt es schon seit einigen Jahren. Und warum sollte die CHP nicht die Kurden-Frage diskutieren? Entscheidender ist jedoch die stete Weigerung mit der PKK zu verhandeln. Unilaterale Versuche, die Kurden-Problematik mit unbefriedigenden Gesten zu lösen, werden bei weiterer Ignoranz oder gar Bemühungen die andere Seite zu eliminieren, nicht fruchten. Obwohl sicherlich einige Gruppen in Ankara, Brüssel und Washington von den türkischen Bemühungen beeindruckt sind, lösen sie den Konflikt nicht.

Solange die türkische Regierung die PKK nicht als Verhandlungspartner akzeptiert - so wie es Großbritannien mit Sinn Fein und der IRA getan hat - ist ein Vorankommen unwahrscheinlich. Die EUTCC weißt darauf hin, dass der Hungerstreik von mehr als 1500 kurdischen Gefangenen dadurch beendet wurde, dass die türkische Regierung in Verhandlungen mit dem PKK-Führer Abdullah Öcalan trat. Natürlich geschah das, weil Öcalan dabei helfen konnte, den Hungerstreik, der die Autorität des türkischen Staates infrage stellte, zu beenden.

Die EUTCC fordert, dass die Oslo-Verhandlungen zwischen der PKK und der türkischen Regierung wieder aufgenommen werden, mit der Absicht, dass die Türkei die fundamentalen demokratischen Rechte all ihrer Bürger festschreibt. Insbesondere fordern wir die staatsbürgerliche und nicht die ethnische Zugehörigkeit, die Anerkennung der Erziehung in der Muttersprache und eine Dezentralisierung, die am besten in einer neuen, demokratischen Verfassung niedergeschrieben ist. Diese sollte die alte aus Zeiten des Militärputsches ersetzen.

* Der Autor ist Professor für Politikwissenschaft an der Tennessee Technological University und Generalsekretär der EU Turkey Civic Commission (EUTCC) mit Sitz in Brüssel.

Aus: neues deutschland, Freitag, 30. November 2012


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