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Die Waffen nieder! Zur Eskalation des türkisch-kurdischen Konflikts

Von Andreas Buro *

Am 15. Dezember 2007 flog die türkische Luftwaffe Angriffe auf vermeintliche Stellungen der kurdischen Guerilla der PKK im Nordirak. Die USA hatten der Türkei Geheimdientinformationen über die Positionen der PKK in den Kandil-Bergen zukommen lassen. Insgesamt wurden 10 Dörfer bombardiert. General Yasar Buyukanit erklärte: "Amerika hat vergangene Nacht den irakischen Luftraum für uns geöffnet. Mit der Öffnung des irakischen Luftraums für uns hat Amerika seine Zustimmung zu den Operationen gegeben". Die Auswirkungen des Bombardements auf die Guerilla scheinen nicht allzu groß gewesen zu sein, da die PKK angeblich im vorab von den Angriffen unterrichtet gewesen sein soll. Allerdings mußten, wie das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR bekanntgab, aufgrund der Bombardierungen 1800 Zivilisten aus ihren Häusern fliehen. Bei der Bombardierung waren am 16. Dezember zivile Dörfer getroffen worden. Wichtig ist die Tatsache, dass die USA beginnen ihre Haltung gegenüber der Türkei aufzuweichen, nämlich türkische Angriffe auf den kurdischen Teil des Irak strikt abzulehnen. Seit dem 15.12. wurden und werden weitere Angriffe geflogen.

Gefährliche Eskalation bereits im Vorfeld

Die Zeitungen meldeten über 100 000 Soldaten habe die Türkei an der südöstlichen Grenze zum Irak zusammengezogen. Von Granatbeschuss auf Dörfer an der Grenze und vermeintliche Stützpunkte der PKK wurde berichtet. Irakische Kurden aus den Grenzgebieten flohen und versuchten wenigstens etwas von ihrer kümmerlichen Habe zu retten.

Die PKK erschoß 13 türkische Soldaten und nahm 8 gefangen, die sie inzwischen wieder freigelassen hat. Sie erklärte zwar, sie verteidige sich nur oder räche sich für die Angriffe der türkischen Armee, aber genauso laufen eben Eskalationsspiralen, die dann ständig von Empörung und Wut auf der einen und der anderen Seite voran getrieben werden. Viele der Kämpfer auf beiden Seiten glauben an Ihre "Heilige Mission", den Terror zu besiegen oder die Sache der kurdischen Emanzipation zu fördern. Wer denkt da schon an Vertrauensbildung, an Dialog und Aussöhnung?! Gegenüber der naiven Gläubigkeit der Kämpfer ist, das Spiel der Mächte, die dort agieren, viel komplexer, als es die Akteure verkünden.

Nationalistische Empörung in der Türkei wächst und drängt auf Rache

Zur Mobilisierung der Heimatfront wurden in der Türkei große Demonstrationen veranstaltet, in denen alle Übel dieser Welt auf die PKK, aber auch auf die Kurden und sogar auf die gewählten kurdischen Abgeordneten herab gewünscht werden. Diese Demonstrationen werden vor allem von der alten kemalistischen Partei CHP und der rechten Partei MHP vorangetrieben. Die Generale begleiten diese Mobilisierungen mit Wohlwollen, gerät doch so die Regierung Erdogan unter Druck, sich nicht länger einer Militärintervention zu verschließen. Erdogan muß sich so entschlussfähig gegen den "Terrorismus" zeigen und will anscheinend doch vermeiden, in einen Guerilla-Krieg mit ungewissem Ausgang zu geraten.

Nach Lynchversuchen gegen Kurden, Brandanschlägen gegen Parteibüros der DTP, Festnahmen der kurdischen Aktivisten folgen nun Losungen und Parolen wie "Kauft nicht bei Kurden", "Beschäftigt keine Kurden". Einige Kemalisten, wie Hikmet Cetinkaya von der Tageszeitung Cumhuriyet, beklagen sich, dass die Kurden mit ihrem Dasein z.B. Städte wie Izmir befleckten. Sie gehören nicht dazu und sind auch nicht willig sich einzupassen, ist die Devise. Also Abschieben! Aber wohin, weiss anscheinend der kemalistische Kolumnist selber nicht. Vor ihm teilten einige andere Bürokraten dieselbe These. Kurden wurden z.B. an der Schwarzmeerküste, vor Stadtgrenzen von Ordu und Adapazari aussortiert.

Die mit rassistischen Kampagnen aufgefallene Zeitschrift "Türk Solu" (Türkische Linke) ruft in ihrer neuesten Ausgabe dazu auf, nicht bei Kurden zu kaufen. Unter dem Motto "Ich mache meinen Einkauf bei Türken, mein Geld geht nicht zur PKK" ist eine neue Kampagne gestartet worden. Buttons mit derselben Aufschrift wurden verteilt. In dem entsprechenden Artikel in der Zeitschrift heißt es, überall werde versucht, das "Türkentum zu vernichten", deshalb müsse sich "der Türke" auf jedem Gebiet verteidigen, dürfe nur bei Türken einkaufen, nur türkisch sprechen, gegen alle vorgehen, die eine andere Sprache sprechen, er dürfe nur türkische Musik hören und türkisches Essen zu sich nehmen.In anderen Ausgaben waren Kurden und Armenier als Angriffsziele aufgeführt und die Leser aufgefordert worden, keine Lahmacun und kein Kebab zu essen, weil es sich dabei um kurdische Gerichte handele.

Die widersprüchliche Rolle der USA

Die USA und ihre Interventionstruppen sind im Irak in einer äußerst schwierigen, wenn nicht gar in einer verzweifelten Situation. Nur in Irakisch Kurdistan herrscht mehr oder weniger Ruhe. Die Kurden erinnern sich noch gut daran, dass die USA während der Zeit des UN-Embargos ihre schützende Hand über sie gehalten haben, so dass der Diktator in Bagdad sie nicht mit massiven Angriffen, vor allem auch aus der Luft, überziehen konnte. Heute liegt den USA sehr daran, dass dort kein Krieg ausbricht und die ganze Region destabilisiert. Befürchtet wird auch, Iran könne sich in einem solchen Fall sich einmischen, der selbst in ständigem Konflikt mit "seinen Kurden" steht.

Das Delikate dieser Situation besteht nun darin, dass die USA die iranisch-kurdische Organisation PJAK benutzt, um der Regierung in Teheran möglichst viele Schwierigkeiten zu bereiten. Waffenlieferungen an sie laufen anscheinend sogar über die "Terrororganisation" PKK, die so etwas wie der große Bruder der PJAK ist. Jüngst gab es sogar einen Zwischenfall in dem vermutlich US-Geheimdienste durch die PKK iranische Waffenlieferungen für die Hisbollah im Libanon auf ihrem Weg durch die Türkei auffliegen ließ.

Die USA sind also in einer zwielichtige Position. Einerseits verkünden sie lauthals den weltweiten Krieg gegen den Terror, während sie selbst den "Terrorkrieg" gegen Iran fördern. . Andererseits versuchen sie seit geraumer Zeit die Türkei davon abzuhalten, einen vermutlich unabsehbaren Krieg in diesem hochexplosiven Länderdreieck zu beginnen.

Ankara hat inzwischen mit der Vollmacht für die AKP-Regierung durch die Große Nationalversammlung, jederzeit Krieg in Nord-Irak führen zu dürfen, seinen Druck auf Washington verstärkt. Ministerpräsident Erdogan erklärte, das Militär habe am 28. November die Befugnis für grenzüberschreitende Operationen erhalten. Sein Stellvertreter Cemil Cicek fügte erläuternd hinzu: "Am 24. Oktober ist ein Schreiben an den Generalstab geschickt worden, dass die Autorisierung durch das Parlament erteilt ist. Auf die Frage von Journalisten, ob die erteilte Befugnis dem Beschluss des Ministerrates entspreche, antwortete Cicek: "Ja. Es ist ein Beschluss des Ministerrates, den alle Minister unterzeichnet haben." (ANF, 30.11.2007, ISKU)

Ankara hätte auch die Möglichkeit, die Luftwaffenbasis Incirlik, über die der größte Teil des Nachschubs für die US Interventionstruppen in Irak und Afghanistan läuft, zu sperren. Doch das wäre ein sehr großer Schritt unter NATO-Partnern und würde die ohnehin nicht guten Beziehungen zu den USA auf den Nullpunkt bringen.

Bei dem Besuch Erdogans bei Bush am 5. November hat man anscheinend einen Kompromiss gefunden. Die USA liefern Geheimdienstinformationen über die PKK, versichern erneut, dass sie die PKK für eine terroristische Organisation halten und gewähren in unbekanntem Maße militärische Unterstützung. Die Türkei wird im Gegenzug keine erhebliche Bodeninvasion starten, sondern sich auf Bomben und Granaten beschränken. Wie weit ein solcher Kompromiss trägt, bleibt abzuwarten und dürfte sehr vom Verhalten der PKK abhängen. Die jüngsten, oben erwähnten Luftangriffe sind ein Ergebnis dieser Vereinbarungen.

Ankara und Teheran wollen gemeinsam die PKK bekämpfen

Die Nachbarländer mit einer kurdischen Bevölkerung haben traditionellerweise stets ähnliche Probleme mit den Kurden und versuchten früher, sie als Manipulationsmasse jeweils gegenüber dem anderen Nachbarstaat einzusetzen. Heute hat sich die Konstellation verändert. Die Türkei wie auch der Iran verabredeten am 16. 12. 2007 eine militärische Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der PKK bzw. der eng verbundenen iranischen PJAK im Länderdreieck. Dies verstärkt das Bedrohungsgefühl der irakischen Kurden. Die USA befürchten dagegen eine Ausweitung der Infiltrationsmöglichkeiten in den Irak durch iranische Kräfte.

Die heimlichen Ziele Ankaras

Obwohl öffentlich meist nur über die Bedrohung durch die PKK gesprochen wird, hat Ankara auch das Ziel, einen eigenständigen kurdischen Staat zu verhindern. Dieser würde voraussichtlich bei einem Auseinanderbrechen des Irak ausgerufen werden. Ankara -- und wohl auch der Iran - fürchten, dies könne separatistische kurdische Tendenzen in ihrem jeweiligen Staatsgebiet fördern. In diesem Zusammenhang versucht die Türkei schon heute, die laut irakischer Verfassung erforderliche Volksabstimmung über die Zugehörigkeit von Kirkuk mit seinen großen Ölgebieten zu irakisch Kurdistan zu verhindern und wirft selbst ein Auge auf die reichen Ölgebiete irakisch Kurdistans.

Freilich werden auch die Gefahren einer Invasion für die Türkei gesehen, sind doch die von der PKK besetzten Bergregionen sehr schwer und im Winter wohl gar nicht zugänglich. Man spricht bereits von einem möglichen Vietnam für die Türkei. Auch die politischen Kosten für die Türkei wären erheblich. Man kann sich kaum vorstellen, dass die EU-Beitrittsverhandlungen unter den Bedingungen eines solchen Krieges fortgeführt werden würden. Politiker äußerten sich bereits in diesem Sinne.

Eine türkische Invasion auf weitere Teile irakisch Kurdistans würde voraussichtlich auch einen Einsatz der 100 000 kurdisch-irakischen Peschmergas bewirken. Ein Sprecher des Präsidialamtes gab bereits bekannt, den Peschmerga-Einheiten sei der Befehl gegeben worden, sich gegen die türkischen Streitkräfte in Verteidigungspositionen zu begeben. Diese Maßnahme gelte für den Fall, dass die türkischen Truppen weiter vorrückten und der Zivilbevölkerung in der Grenzregion Schaden zufügten. An der türkisch-irakischen Grenze sind mittlerweile tatsächlich erhebliche Kontingente der kurdisch-irakischen Peschmerga aufmarschiert, die große Erfahrungen im Guerilla-Krieg aus ihrem Kampf gegen den irakischen Diktator Saddam Hussein haben. Sie befürchten, wohl nicht zu Unrecht, die Türkei hätte weiter gehende Ziele als nur die Ausschaltung der PKK.

Der Konflikt zwischen der Regierung und dem Militär

Was gegenwärtig als außenpolitischer Konflikt dargestellt wird, hat auch eine wichtige innenpolitische Komponente. Die AKP-Reformpolitik und ihr Streben nach einem EU-Beitritt hat die sehr starke Stellung der türkischen Generalität gegenüber der Regierung untergraben. Das Militär muss fürchten, dass mit der Ausarbeitung einer neuen Verfassung ihre de facto Position als eine Art "Überregierung" durch das institutionellen Mittel des ,Nationalen Sicherheitsrates' weiter geschwächt werden würde. Dies soll verhindert werden. Unter dem Schleier der Verdächtigung der AKP-Regierung, sie wolle eine islamistische Türkei schaffen, führt sie eine Kampagne gegen die AKP-Regierung und mobilisiert dabei nationalistischen und rassistischen Chauvinismus. Eine Intervention in den Irak Türkei unter nationalen Vorzeichen gäbe ihr die Möglichkeit, unter dem Motto der Kriegsnotwendigkeiten ihre Position zu verstärken und die Regierung ihren Anforderungen zu unterwerfen. Dies wurde bereits im Vorfeld der jetzigen Eskalation deutlich: Erdogan mußte seine vorsichtige Politik der Öffnung gegenüber den kurdischen Forderungen nach mehr kultureller Freiheit und wirtschaftlich-sozialer Förderung aufgeben. Doch jetzt überzieht der Generalstaatsanwalt die kurdische DTP-Partei mit einem Verbotsverfahren.

Ankara war bisher nicht zu einer politischen Lösung bereit

Dieser innertürkische Konflikt erhellt auch, warum Ankara bisher nie zu einer politischen Lösung des Konflikts bereit war. Die PKK hat seit 1999 einseitige Waffenstillstände nicht nur vorgeschlagen, sondern auch weitgehend praktiziert. Selbst beim Rückzug ihrer Guerilla aus der Türkei wurden ihre Kämpfer von türkischen Truppen angegriffen und erlitten schwere Verluste von über 500 Kämpfern. Sie hat vergebens immer wieder einen politischen Dialog über die Lösung des "Kurdenproblems" im Rahmen der Türkei angeboten und Vorschläge hierfür gemacht. Es könnte sein, dass mit einer türkischen Intervention in Irak, sich dieses historische "Fenster der Möglichkeit zum Frieden" schließt und die PKK sich vollends auf die militärische Auseinandersetzung konzentriert. Gibt es dort Kräfte, die auf einen großen türkisch-kurdischen Krieg spekulieren? Ihre jüngsten Anschläge auf türkische Posten und die Gefangennahme von Soldaten, die sich in der Gesellschaft der Türkei so negativ für sie auswirken, weisen in diese Richtung. Ihre Forderung nach einer friedenspolitischen Lösung verliert dadurch an Glaubwürdigkeit. Dies ist auch vor dem Hintergrund einer zunehmenden Kriegsmüdigkeit der kurdischen Bevölkerung zu sehen. Bei den jüngsten Wahlen konnte die AKP in den kurdischen Gebieten große Stimmengewinne erzielen, während die kurdische DTP herbe Verluste einstecken mußte.

Die Zukunft ein Albtraum?

Ist ein Krieg im Länderdreieck Türkei-Irak-Iran noch zu vermeiden? Wie unkontrollierbar würde ein Krieg werden, wenn die kurdischen Peschmerga in Irakisch-Kurdistan in Kämpfe mit türkischen Interventionstruppen verwickelt werden würden?

Was geschieht, sollte der Irak zusammenbrechen und die USA sich zurückziehen? Werden dann nicht Tür und Tor offen sein, für einen türkischen Expansionskrieg zu den Ölquellen? Oder was wird geschehen, wenn die USA und Israel den Iran angreifen und damit die ganze Region in Flammen setzen? Unvorstellbare Katastrophen werden über die Menschen hereinbrechen. Deshalb muß jetzt noch alles nur Mögliche getan werden, um eine Wende zu einer politischen Lösung im türkisch-kurdischen Konflikt zu erreichen.

Aktuelle politische Ansätze

Von türkischer wie von kurdischer Seite gibt es aktuelle politische Ansätze. Premier Tayyip Erdogan hat ein neues Gesetz in Aussicht gestellt, mit dem er PKKler zum Aufgeben bewegen will, und er hat versprochen, man wolle "aus früheren Erfahrungen lernen. "Mit einer neuen Initiative könnten wir die Zahl der Leute, die zur PKK in die Berge gehen, minimieren. Und wir könnten die anderen ermutigen, von den Bergen herunterzusteigen." Erdogan fügte hinzu, der Plan sei mit der Armee abgestimmt und selbstverständlich werde man mit den Terroristen nicht verhandeln. CHP-Chef Deniz Baykal nannte ein solches Gesetz ein "Zeichen der Schwäche" gegenüber dem Terrorismus und prophezeite die Spaltung des Landes. Der Vorsitzende der rechtsradikalen MHP hieb in dieselbe Kerbe und warnte alle "Vaterlandsverräter": "Wenn nötig, stehen wir bereit, Anatolien noch einmal zu erobern."

Die DTP meinte, ein neues Reuegesetz könne das bestehende Problem nicht lösen, man sei jedoch jederzeit bereit, ein umfassendes Projekt der Regierung für eine demokratische Lösung zu unterstützen.

Von kurdischer Seite wurde jüngst vom Kongra-Gel-Präsidialrat eine sieben Punkte umfassende Deklaration für das Niederlegen der Waffen und eine Lösung der kurdischen Frage vorgelegt. Darin wird die freie Ausübung kurdischer Sprache, Kultur und Politik gefordert sowie das von Abdullah Öcalan entworfene Modell "Demokratisches Autonomes Kurdistan" vorgeschlagen. Für die kurdische Seite sei eine Lösung im Rahmen folgender Punkte möglich:
  1. Anerkennung der kurdischen Identität und verfassungsrechtliche Garantie für alle Identitäten unter der Oberidentität "Türkei"
  2. Ermöglichung der freien Ausübung kurdischer Sprache und Kultur, Anerkennung des Rechts auf muttersprachlichen Unterricht, Anerkennung des Kurdischen als zweite offizielle Sprache neben türkisch in der Region Kurdistan, ebenso die Achtung der kulturellen Rechte aller Minderheiten
  3. Auf der Basis von Meinungsfreiheit die Anerkennung des Rechts auf freie politische Betätigung und Organisierung; Aufhebung aller sozialen Ungleichheiten in Verfassung und Gesetzen, insbesondere sexistischer Diskriminierung
  4. Als Projekt einer gesellschaftlichen Versöhnung eine gegenseitige soziale Amnestie beider Seiten, um Frieden und eine freie Einheit entstehen zu lassen, Freilassung aller politischer Gefangenen einschließlich Abdullah Öcalans, das Recht auf Partizipation am politischen und sozialen Leben
  5. Rückzug der Kräfte, die sich zum Zweck des Spezialkriegs in Kurdistan aufhalten, Abschaffung des Dorfschützersystems, Entwicklung sozialer und wirtschaftlicher Projekte, um eine Dorfrückkehr zu ermöglichen
  6. Für die Stärkung der Kommunalverwaltung eine Neufassung der entsprechenden Gesetze
  7. Parallel zu den genannten Punkten im Rahmen eines von beiden Seiten festgelegten Zeitablaufs eine stufenweise Niederlegung der Waffen sowie der Beginn der Teilnahme am legalen demokratischen und gesellschaftlichen Leben. ( ANF, 1.12.07, ISKU)
Ohne eine Politik der Aussöhnung wird es keinen Frieden geben

In der Türkei kommen also Diskussionen über eine mögliche Amnestie für die kurdische Guerilla auf, auch wenn die bisherigen "Reuegesetze" wenig Erfolg gezeigt haben und den Konflikt nicht beenden konnten. Ihr grundsätzlicher Fehler und auch der Grund für ihr Scheitern lag darin, dass sie nicht mit einer Politik der Aussöhnung verbunden wurden. Man wollte stets nur "Gnade" gegenüber kurdischen Guerilleros "minderer Schuld" walten lassen, wenn diese Reue zeigten und wo möglich zum Verrat ihrer dann ehemaligen Genossen bereit sein würden. So hatten die bisherigen Reuegesetze lediglich eine Funktion, den Sieg über die kurdische Aufstandsbewegung nicht nur militärisch, sondern auch mit politischen Mittel zu erzielen. Das ist jedoch ein grundsätzlich falscher Ansatz der zivilen politischen Konfliktlösung. Dieser Fehler soll anscheinend nun noch einmal wiederholt werden, indem militärische Angriffe und Drohszenarien mit einer begrenzten Amnestieregelung verbunden werden. Gleichzeitig wird die legale kurdische Partei DTP in der Großen Nationalversammlung mit Verbot bedroht, ihre Repräsentanten werden schikaniert und Anschläge gegen ihre Parteihäuser verübt, ohne dass dagegen energisch eingeschritten würde. Dies signalisiert eher Feindseligkeit als Aussöhnungsbereitschaft.

Eine Lösung kann nur erreicht werden, wenn beide Seiten bereit sind, die Austragung des Konflikts auf eine nicht-militärische, politische Ebene zu heben, um dort die Ursachen für den Konflikt zu bearbeiten. Eine neue Amnestie muß sich deshalb nicht nur auf alle Teilnehmer der Kämpfe beziehen, sondern auch mit einer Politik der Aussöhnung verbunden werden. Dies gilt freilich nicht allein für Ankara, sondern auch für die PKK. Auch sie kombiniert ihre politischen Angebote -- wie den jüngsten 7-Punkte Plan - mit ihren militärischen Aktionsfähigkeit. Ihre Angriffe bezeichnet sie zwar immer wieder als Vergeltungsaktionen für türkische Angriffe. Dies ist jedoch billig, denn militärische Aktionen werden stets mit dem Verhalten des Gegners legitimiert. So läuft Eskalation im Kriege.

Nun wird von beiden Seiten die Befürchtung geäußert, ein Verzicht auf militärische Gewaltanwendung könne als Schwäche ausgelegt werden. Dies mag in einer nationalistisch aufgeputschten Öffentlichkeit auch so sein. In Wirklichkeit ist es ein Zeichen der Stärke, wenn man aus diesem über zwanzig Jahre währenden Krieg endlich gelernt hat, dass seine Ursachen im kriegerischen Kampf nicht behoben werden können. Deshalb -- also aus Stärke und Klugheit -- kann jede Seite auf militärische Gewalt auch einseitig verzichten, um den Konflikt auf eine neue Ebene zu heben, auf der Aussöhnung ermöglicht und der Konflikt bearbeitet und gelöst werden kann. Eine solche Herangehensweise würde auch internationale Unterstützung in vielerlei Hinsicht ermöglichen. Sie würde diesem Land nicht nur Frieden bringen, sondern wäre eine wichtige Voraussetzung für die Verwirklichung von Menschenrechten und einen EU-Beitritt der Türkei.

Eine friedliche politische Lösung ist möglich.

Jeweils ein großer Schritt auf jeder Seite kann den Anfang zur Umkehr bilden:

Die PKK müßte jegliche Kampfhandlungen unterlassen, ihre Bereitschaft erklären, ihre Kämpfer unter internationaler Beobachtung aus der Türkei zurückzuziehen und eine Entwaffnung ihrer Guerilla-Verbände unter der Aufsicht der Vereinten Nationen vorzunehmen.

Die Regierung der Türkei müßte endlich eine generelle Amnestie für alle am türkisch-kurdischen Konflikt Beteiligten erlassen und sich zu einem Dialog über die Lösung der "kurdischen Frage" im Rahmen der Türkei bereit erklären. Damit wäre die Kriegsgefahr gebannt. Einen ausführlichen Fahrplan für eine zivile Bearbeitung des Konflikts wurde im Rahmen des Monitoring-Projekts der ,Kooperation für den Frieden' ausgearbeitet.[1]

Ein Land wie die Türkei, das sich um eine Aufnahme in die multi-ethnische, multi-kulturelle und multi-religiöse Europäische Union bemüht, muss auch im eigenen Lande diese Pluralität akzeptieren. Das überwindet die Gefahr des Separatismus und dient der Aussöhnung und der Verwirklichung der Menschenrechte.

Die EU und ihre Staaten haben allen Grund sich für eine politische Lösung in diesem Konflikt einzusetzen. Sie können es tun, indem sie die kurdische Guerilla nicht länger als Terroristen behandeln, wodurch sie sich selbst bislang friedenspolitisch handlungsunfähig machten. Wer Frieden schaffen will, muss mit allen Konfliktseiten sprechen können. Dies ist um so leichter durchzusetzen, wenn in der Türkei die Waffen schweigen.

[1] Andreas Buro: Dossier II Der türkisch-kurdische Konflikt, hrsg. Kooperation für den Frieden, Bonn 2007. Zu beziehen über das Netzwerk Friedenskooperative, mail: info@koop-frieden.de, Tel. 0228-692904

* Prof. Dr. Andreas Buro, Politikwissenschaftler und Friedensforscher.
Vortrag auf dem Friedenspolitischen Ratschlag am 1./2. Dezember 2007 in der Universität Kassel



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