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"Dieser Prozeß ist eindeutig politisch motiviert"

In Istanbul stehen 46 Anwälte vor Gericht. Vorwurf: Mitgliedschaft in einer kurdischen Vereinigung. Gespräch mit Ralph Monneck und Anne-Kathrin Krug *


Ralph Monneck und Anne-Kathrin Krug sind Rechtsanwälte in Berlin und Mitglieder des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV).


Als Beobachter des Republikanischen Antwältinnen- und Anwältevereins (RAV) verfolgen Sie das Verfahren gegen 46 in Istanbul, zusammen mit weiteren Vertretern europäischer Anwaltskammern und -organisationen. Was ist Gegenstand des Prozesses, der am Donnerstag fortgesetzt wurde?

Monneck: Meinen türkischen Kolleginnen und Kollegen wird vorgeworfen, Mitglied in der Union der Gemeinschaften Kurdistans (KCK) zu sein. Im Rahmen ihrer anwaltlichen Tätigkeit hätten sie Informationen, die sie bei Gesprächen mit dem PKK-Chef Abdullah Öcalan im Gefängnis erhalten haben sollen, an Mitglieder der PKK weitergeleitet. Seit November 2011, also mehr als 400 Tagen, befinden sich 27 der 46 angeklagten Kolleginnen und Kollegen in Haft, was einer Vorverurteilung gleichkommt. Nur ein Anwalt wurde nach der Hauptverhandlung am Donnerstag verschont. Alle anderen 26 Haftbeschlüsse haben die Richter aufrechterhalten.

Der RAV beklagt die Mißachtung der Menschenrechte beim Prozeß – in welcher Weise?

Krug: Der Strafprozeß hat am 16. Juli 2012 begonnen und wurde am Donnerstag auf den 28. März 2013 vertagt. Diese lange Verhandlungspause ist ein massiver Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen. Der Vorsitzende Richter hat das Verfahren allein dadurch »beschleunigt«, daß er die Verteidigerrechte einschränkte: Er gab ihnen nur fünf Minuten, Anträge auf Haftentlassung vorzutragen. Trotz dieser Nötigung hat die Verteidigung aber erneut zahlreiche Rechtsverstöße im Verfahrensverlauf aufgezeigt. Hierzu gehören insbesondere die Unbestimmtheit der Tatvorwürfe sowie rechtswidrig erlangte Beweismittel unter Verstoß gegen Schutzrechte von Strafverteidigern und Strafverteidigerinnen durch nahezu lückenlose Überwachung.

Was sagt die Prozeßführung über die Rolle der Justiz in der Türkei aus?

M.: Die Verteidiger haben im Prozeß darauf hingewiesen, daß dieser eindeutig politisch motiviert ist. Er finde vor dem Hintergrund statt, daß die Regierung zur Zeit Verhandlungen mit Öcalan führt, wobei es darum geht, daß die kurdischen Organisationen ihre Waffen niederlegen sollen. Gegen einige der angeklagten Anwälte wurden bereits vor Jahren aus demselben Grund Ermittlungen eingeleitet, die allesamt eingestellt wurden. All das setzt man jetzt erneut auf die politische Agenda. Parallel dazu läuft ein weiteres Verfahren gegen rund 100 Journalistinnen und Journalisten, das die Weltöffentlichkeit ebenso aufmerksam beobachtet. Ihnen wirft man ebenfalls Mitgliedschaft in der KCK vor.

In den Verhandlungen zwischen der Regierung und Öcalan geht es obendrein um eine Generalamnestie aller Verfahren in diesem Zusammenhang. Zu vermuten ist, daß so möglicherweise noch einmal Druck ausgeübt werden soll.

Wie ist die Haftsituation Ihrer türkischen Kolleginnen und Kollegen?

K.: Dem Hungerstreik von Kurden im November 2012 in den türkischen Gefängnissen von Tausenden Inhaftierten hatten sich auch die Anwälte angeschlossen. Dabei ging es auch um die miserablen Haftbedingungen. Die Anwältinnen und Anwälte sind auf verschiedene Gefängnisse in der Türkei verteilt und dort jeweils einzeln inhaftiert. Es ist zwar keine Isolationshaft, kommt ihr allerdings nahe. Beim Hofgang sind sie nur zu zweit oder dritt, andere Gefangene bekommen sie nicht zu Gesicht.

Wirkt sich die internationale Prozeßbeobachtung nicht in der Weise aus, daß die Richter mehr Respekt gegenüber den Anwältinnen und Anwälten zeigen?

M.: Es ist dem Gericht mittlerweile sehr bewußt, daß die Weltöffentlichkeit und insbesondere die internationale Anwaltschaft genau darauf schaut, was in der Türkei bei diesem Prozeß passiert. Am Donnerstag waren wir kurz mit den Richtern im Gespräch, so daß sie durchaus wissen, daß wir alles im Detail registrieren.

Welche Möglichkeiten sehen Sie, sich im Sinn der Einhaltung der Menschenrechte weiterhin einzumischen?

K.: Wir gehen davon aus, daß die Beobachter aus vielen Ländern, die hier immer wieder vor Ort sind, dem türkischen Staat zeigen: Die Aufmerksamkeit der internationalen Öffentlichkeit läßt nicht nach.

Interview: Gitta Düperthal

* Aus: junge Welt, Samstag, 5. Januar 2013


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