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Das Ende des Schamil Bassajew

Kehrt nach dem Tod des "Oberterroristen" Ruhe in Tschetschenien ein?

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Von »gerechter Vergeltung für unsere Kinder in Beslan, für Budjonnowsk, die Sprengstoffanschläge in Moskau und allen anderen Regionen Russlands«, sprach Präsident Wladimir Putin, als Nikolai Patruschew, der Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB, ihm am Montag die Botschaft vom Tod Schamil Bassajews überbrachte.

Die Nummer 1 auf der Fahndungsliste russischer Terroristenjäger, der 41-jährige militärische Oberbefehlshaber der tschetschenischen Separatisten, wurde – so heißt es offiziell – bei einer lange und sorgfältig geplanten Sonderoperation in den Bergen der an Tschetschenien grenzenden Republik Inguschetien »liquidiert«. Die Explosion einer Sprengstoffladung auf einem Lastwagen, den Schamil Bassajew in einem Pkw begleitete, sei durch einen gezielten Raketenangriff ausgelöst worden.

Den Orden dafür, höhnte dagegen Valerija Nowodworskaja, die Frontfrau der oppositionellen Demokratischen Union, habe nicht der FSB-Chef verdient, sondern »der Genosse, dessen Porträt in gleich drei Ausfertigungen in jeder Kirche hängt«. Mit »göttlicher Fügung« oder »schweinischem Glück« erklärten – je nach weltanschaulicher Grundverfassung – auch russische Medien den Coup. Der »Kommersant« wollte von inguschetischen Polizisten erfahren haben, dass Bassajew die Explosion durch Unvorsichtigkeit selbst ausgelöst habe.

Kritische Beobachter unterstellten sogar, Bassajew sei schon früher zur Strecke gebracht worden, die Nachricht sei jedoch aus taktischen Gründen erst jetzt verkündet worden: Weil Terrorismusbekämpfung immer mehr als Vorwand für den Rückbau der Demokratie herhalten müsse, habe der Kreml unmittelbar vor dem G 8-Gipfel, der am Wochenende in St. Petersburg stattfindet, einen spektakulären Erfolg gebraucht.

Bassajew ist unter diesem Aspekt tatsächlich ein Volltreffer. Er war im Sommer 1995 Drahtzieher des Geiseldramas im Krankenhaus der südrussischen Stadt Budjonnowsk, wo die Separatisten zeitweilig bis zu 1500 Menschen in ihrer Gewalt hatten. Der Anschlag zwang den Kreml damals an den Verhandlungstisch: Im Sommer 1996 musste Russland Tschetschenien in die faktische Unabhängigkeit entlassen.

Bassajew werden außerdem die Sprengstoffanschläge auf Wohnhäuser in Moskau und ein Feldzug nach Dagestan im Herbst 1999 angelastet. Sie waren unmittelbarer Anlass für den zweiten Tschetschenienkrieg, in dessen Verlauf Bassajew die Verantwortung für alle größeren Terroranschläge übernahm: darunter auch für die Geiselnahme im Moskauer Musical-Theater an der Dubrowka im Oktober 2002, dessen Erstürmung durch Sicherheitskräfte über 130 Menschenleben forderte, und für das Geiseldrama in der Schule von Beslan Anfang September 2004. Die Mehrheit der über 300 Opfer dort waren Kinder.

Bassajews Tod, frohlockte Tschetscheniens Präsident Alu Alchanow, sei ein dicker Schlussstrich unter die Anti-Terror-Operation. Die Mehrheit der Experten ist da weniger optimistisch. Nach dem Tod von Untergrundpräsident Aslan Maschadow, den russische Geheimdienste im März 2005 ermordeten, haben die Separatisten keine anerkannte Autorität und damit auch keine präsentable Figur mehr für politischen Verhandlungen. Das mag Moskau entgegen kommen. Bassajews Tod aber bedeutet auch das Ende jedweder zentralen militärischen Führung im Lager der Separatisten.

Die verschiedenen Feldkommandeure, die auf Grund ihrer zuweilen sehr unterschiedlichen Interessenlage schon nach dem Mord an Maschadow immer selbstständiger agierten, dürften fortan nur noch auf eigene Faust handeln und den nach wie vor ungelösten Tschetschenien-Konflikt noch stärker als bisher in die Nachbarregionen exportieren. Moskau droht daher ein Krieg an mehreren, kreuz und quer verlaufenden Fronten.

* Aus: Neues Deutschland, 12. Juli 2006

Kadyrow: Nach Bassajews Tod geben viele Untergrundkämpfer auf

GROSNY, 11. Juli (RIA Novosti). Tschetscheniens Regierungschef Ramsan Kadyrow ist überzeugt, dass sich nach Schamil Bassajews Tod immer mehr Untergrundkämpfer freiwillig den Rechtsschutzbehörden stellen werden.
"Die Tschetschenen, die noch bei den bewaffneten Banditengruppen sind, werden nach Hause gehen. Ich bin überzeugt, dass die Banditenmitglieder, die sich durch Täuschung und Betrug darin verwickeln ließen, wieder zum friedlichen Leben zurückkehren", kommentierte er im Gespräch mit RIA Nowosti die Lage nach dem Tod von Bassajew. Bassajew habe mit Drohungen und Einschüchterungen selbst jene zurückgehalten, die die Niederträchtigkeit begriffen hatten und wieder auftauchen wollten. Ramsan Kadyrow kündigte an, nun sei die Reihe an einem anderen Banditen, nämlich Doku Umarow. "Er entgeht der Rache nicht, und wird schon sehr bald nicht mehr am Leben sein."
In der Pressestelle des Innenministeriums Tschetscheniens hat RIA Novosti derweil erfahren, dass sich am vergangenen Wochenende 24 ehemalige Untergrundkämpfer freiwillig den Rechtsschutzorganen gestellt und Waffen abgeliefert haben, darunter auch Personen, nach denen wegen Subversion und Terroranschläge gefahndet worden war. Eine Entscheidung über ihr weiteres Schicksal ergehe nach einer Einzelfallprüfung, präzisierte der Sprecher des Innenministeriums.

"Wedomosti" zu politischen Folgen der Vernichtung Bassajews

MOSKAU, 11. Juli (RIA Novosti). Nikolai Patruschew, Chef des Sicherheitsdienstes FSB, hat am Montag Präsident Wladimir Putin über die Vernichtung Schamil Bassajews informiert. Bassajews Tod wurde auch von der Webseite kavkazcenter.org bestätigt, berichtet die Tageszeitung "Wedomosti" am Dienstag. Die bewaffneten Strukturen konnten allerdings keine Beweise dafür vorlegen, dass die Explosion, bei der Bassajew ums Leben kam, Resultat einer gezielten Aktion der Geheimdienste war.
Wie Tschetscheniens Präsident Alu Alchanow erklärte, kann der Todestag Bassajews als das Datum des Abschlusses des überaus schweren Kampfes gegen die illegalen bewaffneten Formationen gelten.

Noch größer ist die psychologische Bedeutung der Vernichtung des bis dahin unauffindbaren Bassajews: Zwischen 2000 und 2005 wurde sein Tod sechsmal gemeldet. Sein letztes Interview gewährte er dem Radio-Liberty-Korrespondenten Andrej Babizki im Juni vorigen Jahres.
"Die Beseitigung Bassajews ist symbolhaft: Damit wurde der letzte Anführer der tschetschenischen Extremisten vernichtet, dessen Name der Bevölkerung gut bekannt ist", sagte Alexej Makarkin aus dem Zentrum für politische Technologien. "Für die Amerikaner wäre eine Vernichtung Bin Ladens von ähnlicher Bedeutung."
"Bassajew verkörpert seit zehn Jahren den Terrorismus im Kaukasus, all diese Zeit hat die Öffentlichkeit vom Staat seine Beseitigung gefordert", stellte Dmitri Badowski aus dem Forschungsinstitut für soziale Systeme fest. Putin hat bewiesen, dass er ein Glückspilz-Präsident ist: Dieses Ereignis wird zu seinen wichtigsten Errungenschaften auf dem Posten des Präsidenten gezählt.

Tschetscheniens Premier Ramsan Kadyrow, der gewohnt ist, sich die Lorbeeren für den Kampf gegen die Terroristen mit den bewaffneten Strukturen der Föderation zu teilen, war diesmal nur ein Zaungast. Gestern musste er zugeben, dass er mit der Beseitigung Bassajews nichts zu tun hat. Nach Ansicht von Experten wird dieses Ereignis Kadyrows Positionen schwächen. "Bassajews Beseitigung war für Kadyrow nicht nur eine Frage der Familienehre, sondern auch ein wichtiges politisches Projekt, das ihm die Möglichkeit gegeben hätte, seine Macht in Tschetschenien zu festigen und Präsident zu werden", so Badowski.

Nach Meinung des Politologen Makarkin wird der Kreml im Falle einer Normalisierung der Situation in Tschetschenien dank der Vernichtung Bassajews auf die bisherige Favorisierung Kadyrows verzichten und andere politische Figuren stärken können, beispielsweise den jetzigen tschetschenischen Präsidenten Alu Alchanow.

Quelle: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti; http://de.rian.ru/




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