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Necas erhielt Wahl-Quittung

Abstimmungen in Tschechien sind Warnsignal für Prager Regierung

Von Jindra Kolar, Prag *

Wahlen - ein Barometer für abgelieferte Politik. Von den Machern an der Spitze erwartet und gefürchtet, bieten sie ein Bild von Volkes Meinung.

So geschehen an diesem Wochenende in der Tschechischen Republik. Zur Wahl standen ein Drittel der Senatssitze, der Posten des Prager Oberbürgermeister sowie die Gemeindevertretungen in etwa 6500 Kommunen. Das Wahlergebnis in zwei Sätzen: Die Bürgerlichen Demokraten (ODS) erfuhren eine herbe Niederlage. Die Mehrheit der Wähler blieb zu Hause.

Ein deutliches Zeichen an die Koalitionsregierung von Petr Necas (ODS). Der Nachfolger von Mirek Topolanek in den Ämtern Regierungschef und Parteivorsitzender konnte mit seiner Politik nicht überzeugen. Der ungeliebte Sparkurs, eine Gesundheitsreform auf Kosten der Patienten, Rentenkürzungen - dies alles fand nicht das Wohlgefallen der Bevölkerung. Umso weniger, als Korruption und Parteifilz - dessen die ODS seit Langem angeklagt wird - nicht weniger wurden. Verschwendung öffentlicher Gelder, Zuschieben von Wirtschaftsaufträgen nach Parteibuch, Vergabe von Posten und Pöstchen verärgerte nicht nur die Prager, sondern auch die Bürger im Land. Viele folgten daher der Aufforderung von Ex-Präsidenten Vaclav Havel, nicht zu wählen.

Mit Spannung wurde der Kampf um den Posten des Oberbürgermeisters in Prag verfolgt. Bereits im Vorfeld erwartete man, dass die ODS verlieren würde: Ihr Kandidat Bohuslav Svoboda versprach, mit dem Filz aufzuräumen, und musste sich doch gerade in dieser Hinsicht gegen die eigene Partei stellen. Da war der ehemalige Zentralbankchef Zdenek Tuma von vornherein im Vorteil. Seine Partei existiert erst seit dem Frühjahr, und mit dem Kürzel TOP 09 (Tradition, Verantwortung, Wohlstand) versprach sie, den Augiasstall auszumisten. So konnte sich Tuma mit 30,26 Prozent der Stimmen gegen Svoboda (23,10 Prozent) durchsetzen. Jiri Dienstbier jr., der für die Sozialdemokraten ins Rennen ging, erlangte immerhin noch 17,85 Prozent. Marketa Reedova konnte für die »Öffentlichen Angelegenheiten« (VV) nur 5,66 Prozent auf sich vereinigen, die Hälfte der Stimmen, die die VV im Mai erzielen konnte. Die Partei des TV-Journalisten und jetzigen Innenministers Radek John ist auch nicht im Prager Magistrat vertreten, der von TOP 09 und ODS dominiert wird. Eigentlich erlebte die VV auf allen Ebenen einen großen Einbruch, wie Parteichef John noch in der Nacht zum Sonntag in einem Fernsehinterview zugab. Der Transportminister Vit Barta, der die Wahlkampagne für die Bürgerbewegung geleitet hatte, übernahm bereits die Verantwortung für das Scheitern.

Im Senat zeichnet sich eine sozialdemokratische Mehrheit ab - die größte Schlappe für die gegenwärtige Regierung: Von den 27 zu vergebenden Mandaten hat die CSSD gute Chancen, 22 zu erringen. Damit färbte sich der Senat »orange« und die Gesetzesvorlagen der Necas-Administration hätten es schwer, hier eine Mehrheit zu finden. Mit den gegenwärtigen 29 Mandaten brauchte die CSSD nur zwölf weitere, um die Mehrheit zu erhalten. Diese sollten sie am 22. und 23. Oktober bekommen.

Auch bei den Kommunalwahlen musste die ODS herbe Verluste einstecken. Wiederauferstanden ist die christdemokratische KDU-CSL, die bei den Parlamentswahlen nahezu in der Versenkung verschwunden war. Vor allem in den traditionellen südmährischen Gemeinden konnten sich die »Lidovci« behaupten. Hoffnungsschimmer für diese Traditionspartei, auch bei den nächsten Parlamentswahlen wieder auf die Bühne zurückkehren zu können.

Dass Prominenz nicht von vornherein einen Wahlsieg verspricht, zeigte sich in verschiedenen Fällen. So kandidierte Lucie Talmanova, die Ehefrau des Ex-Premiers Mirek Topolanek und frühere stellvertretende Kammerpräsidentin, in Kutna Hora für den Senat und unterlag. Hingegen haben der frühere EU-Kommissar der Sozialdemokraten, Vladimir Spidla, wie auch der stellvertretende Parteichef der CSSD, Zdenek Skromach, gute Aussichten auf ein Senatsmandat. Darüber entscheiden die Wähler jedoch erst am kommenden Wochenende.

* Aus: Neues Deutschland, 18. Oktober 2010


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