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Prag hat eine neue Rotstift-Regierung

Präsident Vaclav Klaus hat am Dienstag das neue tschechische Kabinett ernannt / Das Land steht vor einschneidenden Etatkürzungen

Von Jindra Kolar, Prag *

Tschechiens Präsident Vaclav Klaus hat am Dienstag (13. Juli) Petr Necas als Ministerpräsidenten vereidigt. »Ich glaube, dass Ihr Kabinett stabil sein wird«, sagte der Staatschef bei der Zeremonie auf der Prager Burg, bei der auch die Minister der neuen Mitte-Rechts-Regierung ihren Amtseid ablegten. Schließlich habe die Koalition »die größte parlamentarische Mehrheit« seit der tschechischen Staatsgründung 1993.

Noch wirkt die neue Prager Regierung, die sich auf 118 der 200 Parlamentarier stützen kann, frisch. Doch auch Ministerpräsident Petr Necas hat mit den selben Problemen zu kämpfen, die seinen Vorgänger letztlich zu Fall brachten. Seine Koalition aus Bürgerlichen Demokraten (ODS), TOP 09 und der Partei »Öffentliche Angelegenheiten« (VV) wird von Beginn an mit dem Rotstift arbeiten müssen. Wie erwartet, übernimmt Karel Schwarzenberg, Chef der neokonservativen TOP 09, wieder das Außenamt. Sein Parteivize Miroslav Kalousek, unter dem früheren ODS-Premier Topolanek Wirtschaftsminister, wird nun neuer Chef des Finanzressorts. Und der beliebte Fernsehjournalist Radek John, Vorsitzender der VV, übernimmt das Innenministerium. Der Necas-Partei ODS bleibt außer dem Amt des Regierungschefs nur ein »starkes« Ministerium, das der Verteidigung. Diesen Posten wird der in Europa bereits bekannte Alexandr Vondra einnehmen, in der früheren Regierung stellvertretender Ministerpräsident und Minister für Europäische Angelegenheiten.

Wie gut das Zusammenspiel im neuen Kabinett sein wird, muss sich noch erweisen. Finanzminister Kalousek meinte bereits, unter Topolanek sei »die Zusammenarbeit besser gewesen, aber mit Necas geht es«. Was sich auch im Koalitionsvertrag widerspiegelte. Wie Zdenek Zajicek, von der ODS in die Expertenkommission entsandt, feststellte, war man »nicht immer einmütig«, doch habe man den größtmöglichen Kompromiss erzielt.

Nun will man pragmatisch nach vorn schauen, denn auf die neue tschechische Regierung kommt allerhand zu. Wie bereits von der Topolanek-Regierung geplant, müssen sich die Bürger auf Kürzungen der Renten- und Gesundheitsleistungen einstellen. So sollen die privaten Rentenvorleistungen um drei bis vier Prozent des Nettoeinkommens gesteigert werden, um dieselbe Summe würden staatliche Rentenversicherungsbeiträge gekürzt. Die Regierung erhofft sich dadurch erhebliche Einsparungen, ohne hierfür jedoch Zahlen zu nennen. Statt einer Anpassung an die Inflationsrate soll es eine Einmalerhöhung von 390 Kronen (etwa 16 Euro) je Pensionisten geben - die letzte Rentenanpassung erfolgte im Januar 2009.

Heikel ist das Thema Gesundheitsgebühren. Darüber stürzte nicht nur Gesundheitsminister Julinek, sondern die ganze Regierung Topolanek. Das neue Kabinett will die Pläne dennoch aufleben lassen. Die Bürger müssen mit Zuzahlungen zu Medikamenten und für solche Krankenhausleistungen rechnen, die über eine Basisversorgung hinausgehen. Wie Gesundheitsminister Leos Heger (TOP 09) ankündigte, soll nun auch für Grippeschutzimpfungen bezahlt werden. Einschneidende Maßnahmen werden zudem auf Beamte zukommen: Polizisten, Feuerwehrangehörige und andere im Öffentlichen Dienst werden Gehaltskürzungen von bis zu zehn Prozent hinnehmen müssen. Ausgenommen sind lediglich Ärzte und Lehrer.

Von einer Mehrwertsteuererhöhung für Lebens- und Arzneimittel, Bücher und Zeitungen sowie Kinderkleidung von bislang zehn auf zwölf Prozent im Jahr 2012 erhofft sich Finanzminister Kalousek Einnahmen in Höhe von 13 Milliarden Kronen (etwa 506 Millionen Euro). Allgemeine Steuern sollen zwar nicht erhöht werden, doch plant die Regierung eine Erhöhung der Steuern bei Bausparverträgen. Bereits im kommenden Jahr werden etwa fünf Millionen Menschen statt umgerechnet bislang 3000 Euro jährlich nur noch mit der Hälfte an Zuwachs rechnen können.

Und schließlich soll auch bei den Sozialzuschüssen gekürzt werden. So unter anderem bei den Unterstützungen im Mutterurlaub: Frauen, die diese vierjährige Auszeit in Anspruch nehmen, werden künftig im Vergleich zu heute insgesamt 7600 Kronen (312 Euro) weniger zur Verfügung haben. Für die größeren Kinder in Ausbildung sieht die Koalition die Zahlung von Schulgebühren vor, so sollen für Hoch- und Fachschulausbildungen bis zu 20 000 Kronen jährlich erhoben werden.

Mit all diesen Sparmaßnahmen erhofft sich die Koalition eine Konsolidierung des öffentlichen Haushalts. Ob dieser Weg dem Wählerwillen entspricht, wird sich schon bald zeigen.

* Aus: Neues Deutschland, 14. Juli 2010


"Herr Anständig"

Von Olaf Standke **

Mit einer lichten Höhe von zwei Metern ist Petr Necas (Foto: dpa) nicht zu übersehen. Aber nicht deshalb hatten die rechtsliberalen tschechischen Bürgerdemokraten (ODS) nur 61 Tage vor den Parlamentswahlen den früheren Minister gegen Expremier Mirek Topolanek ausgetauscht und zum neuen Spitzenkandidaten gemacht. Miese Umfragewerte, diverse Affären und eine drohende Negativ-Kampagne der Sozialdemokraten gegen Topolanek machten den 45-Jährigen zum letzten Hoffnungsträger. »Politik ist eine ernste Sache, kein Showbusiness«, sagte der stets korrekt gescheitelte Brillenträger einmal und nahm lieber den Ruf des gepflegten Langweilers in Kauf. Necas, der in den tschechischen Medien gern als »Herr Anständig« oder »Herr Sauber« firmiert, gilt heute als einer der wenigen ODS-Spitzenleute ohne Skandale oder grobe Sprache. Es reichte Anfang Juni zwar dennoch nicht zum Wahlsieg, aber am Ende konnte er zumindest eine regierungsfähige Mitte-Rechts-Koalition präsentieren.

Necas trat der ODS schon im Gründungsjahr 1991 bei. Ein Jahr später zog der studierte Physiker aus dem ostböhmischen Uherske Hradiste, der seine Doktorarbeit über Plasmaphysik schrieb, zum ersten Mal in das Prager Parlament ein. 1999 wurde er zum stellvertretenden ODS-Vorsitzenden gewählt, um schließlich von 2006 bis 2009 als Arbeits- und Sozialminister Regierungserfahrungen zu sammeln.

Damals entdeckte der Katholik und vierfache Vater für seine Partei, die von ihrem Gründer und Übervater Vaclav Klaus auf die »reine Lehre des Marktes« getrimmt worden war, gleichsam die Sozialpolitik. Elternurlaub für Väter oder die Förderung von Kinderkrippen - mit solchen Maßnahmen blieb Necas den Wählern durchaus im Gedächtnis. Nachdem er sich jetzt für einen strikten Sparkurs ausgesprochen hat, bleibt allerdings abzuwarten, was davon politisch überlebt.

»Wir sind überzeugt, dass dieses Team in der Lage ist, die grundlegenden Schritte zu unternehmen, um das Anwachsen der Schulden zu stoppen, die Herrschaft des Gesetzes zu stärken und Korruption zu bekämpfen«, sagte Necas gestern über sein Kabinett. Er selbst will mit gutem Beispiel vorangehen - und mit Ausnahme von längeren Auslandsreisen oder besonderen Risikosituationen beim Personenschutz durch Leibwächter sparen. Schließlich drohe ihm keine spezifische Gefahr. Deshalb werde er auch nicht in die Dienstvilla nahe der Prager Burg ziehen, sondern mit seiner Familie in der bisherigen Vier-Zimmer-Mietwohnung bleiben und weiter viel mit der Metro und der Straßenbahn fahren.

** Aus: Neues Deutschland, 14. Juli 2010


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