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Petr Necas lehnt Rücktritt ab

Tschechiens Premier wegen Korruptionsskandal unter schwerem Druck

Von Jindra Kolar, Prag *

Der tschechische Regierungschef Petr Necas stellt sich nach einer spektakulären Polizeirazzia vor seine angeklagten Mitarbeiter. Auch einen eigenen Rücktritt schließt er aus. Doch die Vorwürfe wiegen schwer. So sollen hochrangige Vertraute Abgeordnete bestochen haben.

Tag zwei des neuerlichen Politskandals in Prag. Nach einer groß angelegten Polizeirazzia im unmittelbaren Umfeld des Premiers stellte sich Petr Necas am Freitag vor seine Mannschaft. Er sei »überzeugt, dass seine Mitarbeiter nichts Kriminelles« getan hätten, betonte der tschechische Regierungschef vor der Presse. Die Fakten sagen etwas anderes. Denn die Aktion von Polizei und Staatsanwaltschaft dürfte die wohl größte politische Affäre in der Geschichte der Tschechischen Republik aufdecken. Und immer deutlicher schält sich heraus, dass der Regierungschef selbst betroffen ist. Sollten das die Ermittlungen von Staatsanwalt Ivo Istvan bestätigen, dürfte die politische Karriere von Necas beendet sein – wie auch die Amtszeit der bürgerlichen Regierungskoalition.

Ziele der Razzia am Donnerstag mit über 400 Polizisten und Spezialagenten waren die Bürochefin des Premiers, Jana Nagyova, sowie weitere hochrangige politische Persönlichkeiten aus den Reihen der Regierungspartei ODS. Auf einer Pressekonferenz am Freitagmorgen erläuterten der Chef der Sondereinheit zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, Robert Slachta, sowie Generalstaatsanwalt Ivo Istvan Details der Ermittlungen. »Wir haben bis zu 150 Millionen Kronen (5,8 Mio Euro), einige Dutzend Kilo Gold sowie zahlreiche Computer und für die Aufklärung wertvolle Dokumente beschlagnahmt«, erklärte Slachta.

Hauptverdächtige sei Nagyova, ergänzte Istvan, darüber hinaus wurden jedoch weitere sieben Personen in Haft genommen. Ihnen wird Bestechung von Abgeordneten, Veruntreuung von Staatsmitteln sowie Korruption im Zusammenhang mit großen Wirtschaftsverbrechen vorgeworfen. Dabei geht es u.a. um die Privatisierung von staatlichem Wald in Mähren, ein Milliardengeschäft im Gesundheitswesen, um die Staatsbahn sowie um Ungereimtheiten bei der Privatisierung der Brauerei Budvar.

Nagyova soll zum Ausspionieren von Personen den Militärischen Nachrichtendienst eingesetzt haben. Dessen Chef Milan Kovanda sowie sein Vorgänger, der heutige Direktor der Staatsreserven, Ondrej Palenik, stehen ebenfalls unter Verdacht und sind in Haft.

Ohne genaue Daten zu nennen, ließen die Ermittler durchblicken, dass es bei den Geschäften um Milliardenabschlüsse mit dem sogenannten »Prager Klüngel«, allen voran den milliardenschweren Geschäftsleuten und Lobbyisten Ivo Rittig und Roman Janousek, gehe. Außerdem soll auch geklärt werden, unter welchen Umständen die vermeintlichen Rebellen der ODS, der frühere Landwirtschaftsminister Ivan Fuksa sowie die Abgeordneten Petr Tluchor und Marek Snajdr, ihren Protest gegen ein Gesetz von Necas zurückzogen und dafür mit hohen Posten in staatlichen Unternehmen belohnt wurden.

Premier Petr Necas will von alldem nichts gewusst haben. Er lehnte am Freitag im Parlament einen Rücktritt ab. Es gehöre doch zur modernen Politik, dass man Geschäfte auf Gegenseitigkeit unter dem Motto »Hilfst Du mir, so helfe ich Dir« abschlösse, so der Premier. Politik sei ein Geschäft mit Kompromissen, tat Necas die Empörung der Opposition ab. Doch die Sozialdemokraten, die die größte Parlamentsfraktion stellen und darüber hinaus auch den Senat und alle tschechischen Bezirke dominieren, forderten nachhaltig den Rücktritt des »korrupten Kabinetts«, wie es CSSD-Chef Bohuslav Sobotka formulierte. Dem schließen sich auch die tschechischen Kommunisten an.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 15. Juni 2013


Bedrängter Premier

Von Olaf Standke **

Petr Necas hat auch schon bessere Zeiten erlebt. Am Mittwoch teilte der tschechische Regierungschef mit, dass er die Scheidung von seiner Frau Radka eingereicht habe. Am Donnerstag durchkämmte eine Polizei-Sondereinheit zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität bei einer groß angelegten Razzia auch Büros in der Prager Staatskanzlei und nahm Parteifreunde und Vertraute des Ministerpräsidenten wegen Korruptionsverdachts fest. Die Kabinettschefin von Necas soll zudem die Bespitzelung seiner Noch-Gattin veranlasst haben, was zur Verhaftung zweier Generäle des Militärgeheimdienstes führte.

Was sich wie das Drehbuch zu einem Politthriller liest, verblüffte die an Skandale gewöhnte Öffentlichkeit in Böhmen und Mähren dann doch. So nah waren die Vorwürfe dem Zentrum der Macht bisher noch nie gekommen – auch wenn der staatliche Inlandsgeheimdienst BIS in seinen Analysen seit geraumer Zeit davor warnt, dass die Korruption im Lande längst die höchsten Kreise der Politik erreicht habe, ob nun mittels offener Bestechung oder durch die Verhinderung von Ermittlungen. Ex-Präsident Vaclav Havel sprach einst vom »Mafia-Kapitalismus«, der das Land inzwischen beherrsche. Das regierende Mitte-Rechts-Bündnis erklärte sich nach seinem Wahlsieg vor drei Jahren zum Vorreiter im Kampf gegen die allgegenwärtige Korruption. Er ist dramatisch gescheitert. Necas sah gestern trotzdem keinen Grund zum Rücktritt. Doch die Opposition wird stärker denn je auf Neuwahlen drängen.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 15. Juni 2013 (Kommentar)


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