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Rechter Grenzverkehr

Gemeinsame Aufmärsche und Konzerte: Neonazis aus Deutschland und Tschechien suchen die Zusammenarbeit. NPD-Mitglieder aus Sachsen bei Demonstrationen gegen Roma

Von Ulla Jelpke *

Zwischen deutschen und tschechischen Neonazis entwickelt sich seit einigen Jahren eine enge Kooperation. Das bestätigte die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion. Die tschechischen Neonazis wollen vom »reichen Erfahrungsschatz« der NPD profitieren, um »das gleiche mit ähnlichen Methoden in der Tschechischen Republik zu erreichen«, erklärte demnach Tomas Vandas, Vorsitzender der tschechischen neonazistischen »Arbeiterpartei für Soziale Gerechtigkeit« (DSSS).

Ein Beispiel für die organisierte Zusammenarbeit zwischen NPD und DSSS ist die Jahresfeier des NPD-Verlages Deutsche Stimme im April 2011 in Riesa. Dort wurde mit dem »Manifest z Riesy/Manifest von Riesa« eine engere Kooperation vereinbart. In der Folge trafen sich Ende Mai 2011 die Vorsitzenden beider Parteien in Prag.

In der politischen Praxis blieben diese Kontakte laut der Antwort auf die Anfrage der Linksfraktion allerdings hinter den Ankündigungen zurück. »Einer vertieften Zusammenarbeit stehen regelmäßig grundlegende ideologische Differenzen entgegen«, so die Einschätzung. Gemeint ist wohl die Auseinandersetzung um die Benes-Dekrete über die Aussiedelung der Deutschen aus der Tschechischen Republik nach dem Zweiten Weltkrieg. Während die DSSS die Benes-Dekrete als abgeschlossene Angelegenheit und Bestandteil der tschechischen Rechtsordnung versteht, fordert die NPD in ihrem Parteiprogramm ausdrücklich die Aufhebung dieser »Vertreibungsdekrete« und eine Wiedergutmachung.

Bei den Wahlen 2010 verpaßte die DSSS mit knapp 60000 Stimmen, das entspricht einem Anteil von 1,4 Prozent, klar den Einzug in das Parlament. Die »allgemeine Politik- und Parteienverdrossenheit scheint sich auch auf die DSSS auszuwirken«, meint die Bundesregierung unter Berufung auf den »Extremismusbericht« des tschechischen Innenministeriums. Der verzeichnet einen Rückgang der Aktivitäten und Mitgliederzahlen der Neonazipartei. Dabei handele es sich um eine »durchaus feststellbare Parallelität in der Entwicklung der neonazistischen Szenen beider Länder«, so die Bundesregierung. Auch die tschechischen Rechtsextremen zu denen neben der DSSS Gruppen des »Nationalen Widerstands« sowie die »Bohemia Division«, ein Ableger des in Deutschland verbotenen Netzwerkes »Blood and Honour«, gehören, wirke verstärkt jugendaffin und greife auf Aktionsformen wie die der »Autonomen Nationalisten« in Deutschland zurück.

Mehrfach traten tschechische Rechtsrockbands mit Namen wie Conflict 88 und Priorität 18 – die Zahlencodes stehen für »Heil Hitler« bzw. »Adolf Hitler« – in Deutschland, vor allem in Sachsen, auf, während deutsche wie Faustrecht und Blue Max im Nachbarland spielten. Der Bundesregierung liegen zudem »Hinweise auf Schießübungen einzelner Personen« aus dem deutschen und tschechischen rechtsextremen Spektrum in Tschechien vor. So kamen im Jahr 2009 hessische und im Jahr 2011 bayerische und baden-württembergische Neonazis zum Schießtraining in das Nachbarland.

Während tschechische Neonazis zu Festivals wie dem Pressefest des NPD-Blattes Deutsche Stimme, dem JN-Sachsentag oder dem vom Deutsch-Böhmischen Freundeskreis um die Chemnitzer Stadträtin Katrin Köhler organisierten »Tag der Freundschaft« anreisen, scheinen für die hiesigen Neofaschisten Demonstrationen gegen Roma anziehend zu sein. Nachdem es im vergangenen Sommer zu Übergriffen eines rassistischen Mobs auf von Roma bewohnte Häuser in tschechischen Kleinstädten kam, organisiert die DSSS regelmäßig Haßmärsche zu deren Siedlungen. Dabei werden nach Informationen tschechischer Antifaschisten Parolen wie »Zigeuner zur Arbeit«, aber auch »Zigeuner ins Gas« skandiert. Am 29. September 2011 stellten Neonazis aus Sachsen rund ein Fünftel der etwa 500 Teilnehmer eines von der DSSS mit Unterstützung des »Freies Netzes Süd« organisierten Aufmarsches »gegen die Zigeunerkriminalität« im böhmischen Rotava. Auch am 29. Januar 2012 marschierten NPD-Mitglieder aus Zittau und Görlitz auf einer DSSS-Demonstration gegen ein Roma-Wohnheim im Grenzort Varnsdorf mit.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 4. April 2012


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