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Freien Zugang für humanitäre Helfer in Syrien verlangt

Auch Russland und China stimmten UN-Resolution zu *

In seltener Einigkeit hat der UNO-Sicherheitsrat in einer Resolution freien Zugang für humanitäre Helfer in Syrien gefordert. Auch Russland und China, die Syriens Präsidenten Baschar al-Assad unterstützen und schon mehrfach Resolutionen blockiert hatten, stimmten dem Text am Samstag zu.

Das Papier war von Luxemburg, Australien und Jordanien erarbeitet worden, die ständigen Mitglieder Großbritannien, Frankreich und USA unterstützten den Entwurf. Die Resolution verlangt die »sofortige Aufhebung der Belagerung« syrischer Städte sowie ein sofortiges Ende der Angriffe auf Zivilisten. Hilfsorganisationen müssten einen »raschen, sicheren und ungehinderten Zugang« zu Bedürftigen erhalten. Kritisiert werden in dem Text außerdem Abwürfe von Fassbomben durch die Luftwaffe der Regierung.

Automatische Sanktionen bei Nichterfüllung der Forderungen sieht der Text allerdings nicht vor. Gegebenenfalls sollten aber »zusätzliche Maßnahmen« in Betracht gezogen werden. Frankreichs Botschafter bei der UNO, Gérard Araud, ließ erkennen, dass sich Paris einen »sehr viel schärferen Text« gewünscht hätte. Seine US-Kollegin Samantha Power betonte, es zähle, dass es überhaupt Einigkeit über eine Resolution gebe. Nun müsse Druck auf Damaskus ausgeübt werden, damit sich die dortige Führung an die Forderungen halte.

Unterdessen sind bei einem Bombenanschlag auf ein syrisches Feldlazarett nahe der türkischen Grenze mindestens 15 Menschen getötet worden. 65 weitere Personen seien verletzt worden, hieß es. Die Einrichtung in dem von Rebellen kontrollierten Ort Atmeh in der Provinz Idlib sei am Sonntag gezielt angegriffen worden. Die meisten Opfer seien Ärzte, Pfleger und Patienten des Feldlazaretts gewesen. Ärzte beschuldigten die fundamentalistische Terrororganisation Islamischer Staat in Irak und in Syrien (ISIS), hinter dem Anschlag zu stecken.

* Aus: neues deutschland, Montag, 24. Februar 2014

UN-Resolution

Hier geht es zu einstimmig verabschiedeten Resolution 2139 (2014) des UN-Sicherheitsrats: pdf-Datei (englisch) - externer Link.




Herr Scherif und die verriegelte Werkstatt

Im Umland von Damaskus gibt es nach stiller Diplomatie seit kurzem regionale Waffenstillstände

Von Karin Leukefeld, Damaskus **


Nach UN-Angaben ist inzwischen fast die Hälfte der 22 Millionen Syrer auf humanitäre Hilfe angewiesen. Und dennoch gibt es Fortschritte: zum Beispiel eine Reihe von lokalen Waffenstillständen.

Syrien ist zwar mitten im Krieg, doch in manchen Ecken gibt es sichtbare Befriedung: Nachdem die Bewohner von Barzeh und Moadamiya vor zehn Tagen erstmals nach fast zwei Jahren zurückkehren konnten, um sich mit eigenen Augen vom Zustand ihrer verlassenen Wohnungen, Häuser und Geschäfte ein Bild zu machen, wurden die Kontrollpunkte von Armee und lokalen Kampfverbänden am vergangenen Freitag auch nach Babila geöffnet. Der Aufenthalt dort ist zwei Mal die Woche zunächst auf einen Tag begrenzt und soll der Bevölkerung ermöglichen, Schäden und Verluste zu begutachten und sich von der Ernsthaftigkeit der Vereinbarung zu überzeugen. Erst wenn die Versorgung mit Strom, Wasser und Telefon sichergestellt ist und Lebensmittel geliefert werden, können die Menschen langsam an Wiederaufbau und Rückkehr denken.

Mohamed Sherif Bourai hat seine Werkstatt in Babila lange nicht gesehen. Der 65-Jährige ist ein Meister der orientalischen Innendekoration aus kunstvoll bemalten Holzschnitzereien, die Salons, Empfangszimmer oder auch Geschäfte wohlhabender Inhaber schmücken. 1969 öffnete er seine erste Werkstatt, 1977 vergrößerte er den Betrieb und stellte zwei Mitarbeiter ein. Mit Aufträgen aus aller Welt zog er zehn Jahre später mit fünf Mitarbeitern nach Babila in eine neue Werkstatt um. Als dort im Sommer 2012 eine Offensive bewaffneter Gruppen begann, die Damaskus einnehmen wollten, zog Sherif Bourai sich nach Damaskus zurück. Wenige Monate später verschloss und verriegelte sein Partner die Werkstatt und floh ebenfalls nach Damaskus.

Monate lang war über den Waffenstillstand in Babila verhandelt worden. Die hartnäckige Belagerung und wiederholte Offensiven der Streitkräfte entzogen den radikalen, zumeist ausländischen Kämpfern die Unterstützung lokaler Kämpfer und der verbliebenen Bewohner, die sie zum Rückzug zwangen. Vermittler der lokalen Bevölkerung, Geistliche, namhafte Persönlichkeiten und Geschäftsleute nahmen Kontakt mit den Streitkräften und den bewaffneten Gruppen auf, um sie zum Einstellen der Kämpfe und zu Aufhebung der Belagerung zu bewegen. Auf Armeeseite garantiert die Republikanische Garde den Prozess.

Mohamed Sherif Bourai blieb bis zuletzt skeptisch, ob die Waffenruhe halten und die Armee sich gegenüber den Kämpfern der Gegenseite zurückhalten würde. Aus Sorge, dass es trotz gegenteiliger Ankündigung zu Kämpfen kommen könnte, entschied er sich im letzten Moment dagegen, nach Babila zu fahren. Ein anderer Mitarbeiter übernahm stattdessen die Aufgabe und meldete später, dass das Schloss der Werkstatt mehrfach aufgebrochen und Holz und kleinere Werkzeuge gestohlen worden seien. »Wenn es dabei bleibt, ist der Schaden zu verkraften«, seufzt Sherif Bourai, der nun doch die nächste Gelegenheit wahrnehmen will, um nach Babila zu fahren.

Im Syrischen Parlament war in der vergangenen Woche ausführlich über die lokalen Waffenstillstände und nationale Versöhnung debattiert worden. Einige Abgeordnete forderten stärkere parlamentarische Unterstützung für das Ministerium für nationale Versöhnung, das seit seiner Entstehung im Sommer 2012 im Hintergrund viele lokale Vereinbarungen vorbereitet und begleitet hat. Der zuständige Minister Ali Haidar hat sich mit seiner unspektakulären und beständigen Arbeit in der Bevölkerung Ansehen verschafft. Er nannte die lokalen Vereinbarungen für Versöhnung eine »großartige kulturelle Errungenschaft« der syrischen Gesellschaft. Gleichzeitig verwies er darauf, dass ihm die Namen von 16 000 entführten Personen vorlägen. Um diese Fälle zu lösen, müssten »alle Seiten dringend und im Interesse der nationalen Verantwortung zusammenarbeiten«.

Vorwärts ging es am Wochenende auch in dem palästinensischen Flüchtlingslager Yarmuk, aus dem sich die radikalen bewaffneten Gruppen ebenfalls zurückgezogen haben. Der PLO-Vertreter in Damaskus, Anwar Abdul-Hadi teilte mit, dass die Lieferung von Nahrungsmitteln und Medikamenten nach Yarmuk fortgesetzt werden konnte. Seit Anfang Februar wurden 4000 Zivilisten aus Yarmuk evakuiert.

** Aus: neues deutschland, Montag, 24. Februar 2014


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