Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

US-Bomben auf Syrien und die Nusra-Front

Washington reklamiert Selbstverteidigung und sieht keine Notwendigkeit für ein UN-Mandat

Von Roland Etzel *

Die Luftangriffe auf Milizen der IS-Gotteskrieger in Syrien sind am Mittwoch fortgesetzt worden. Unterdessen wird weiter über die Rechtmäßigkeit des Vorgehens der USA debattiert.

Die Luftwaffe der USA hat ihre Angriffe auf Stellungen der Milzen des Islamischen Staates fortgesetzt. Nach eigenen Angaben geschah dies auf Stellungen des Islamischen Staates (IS) sowohl auf irakischem wie auf syrischem Territorium. Erneut sollen Kampflugzeuge aus Frankreich sowie den Golfmonarchien Saudi-Arabien, Jordanien, Bahrain, Katar und Vereinigte Arabische Emirate an den Kriegshandlungen teilgenommen haben.

Über die Effektivität der Bombardements liegen wenig nachprüfbare Angaben vor – bis auf einen Fall, bei dem sich auch die angegriffene Seite meldete. Wie es heißt, sei in Nordwestsyrien einer der berüchtigtsten Scharfschützen in den Reihen der Rebellen getötet worden. Islamistische Webseiten melden, dass Abu Jussef al-Turki bei der Bombardierung eines Ausbildungslagers in der Provinz Aleppo ums Leben gekommen sei. Die Region steht, nachdem die Rückeroberung durch die syrische Armee zum Stehen gebracht werden konnte, überwiegend unter Kontrolle der Nusra-Front. Deren Internet-Seite klagt: Turki hat niemals Zivilisten getötet, sondern nur Assad bekämpft. »Warum haben die USA und ihre Handlanger ihn getötet?«

Unterdessen wird national wie international weiter um die Rechtmäßigkeit der von den USA gebildeten Allianz gegen IS debattiert. Es mehren sich Stimmen, die das Agieren Washingtons ohne ein Mandat der UNO für fragwürdig halten; vor allem dann, wenn ein betroffener Staat – in diesem Fall Syrien – dabei bewusst übergangen wird. Dazu kommt, dass nicht behauptet werden kann, im Sicherheitsrat herrschten über das Thema kontroverse Ansichten unter den Vetomächten. Die USA haben nicht einmal versucht, ein Mandat für ihr Handeln zu erlangen.

Washington argumentiert, sein Eingreifen sei auf Wunsch Iraks erfolgt. »Die irakische Regierung hat die USA gebeten, internationale Maßnahmen anzuführen, um Stellungen und militärische Hochburgen des IS in Syrien anzugreifen«, heißt es. Allerdings ist in der diesbezüglichen Note Bagdads von Syrien keine Rede.

Die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Samantha Power, ging sogar soweit, den Luftkrieg der USA und ihrer arabischen Verbündeten als Selbstverteidigung und damit von Artikel 51 der UN-Charta legitimiert zu bezeichnen. IS sei nicht nur für Irak, sondern auch für die USA und die anderen Alliierten in der Region eine Bedrohung. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier schloss sich dieser Lesart am Mittwoch an.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) äußert da Vorbehalte: Ein UN-Mandat gegen den Terror der IS-Milizen, heißt es, habe »höchste Priorität«, und sie sagt auch warum. Es müsse deutlich sein, dass es nicht um die Macht und die Interessen einer Großmacht, sondern um den Schutz der Menschen und um den Aufbau einer Friedensordnung geht«, mahnt die EKD.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag 25. September 2014


Erdogan begrüßt Schläge gegen Terrormiliz

Die Kurden fühlen sich von Ankara verraten, während die PKK Sympathien gewinnt

Von Jan Keetmann **


Nachdem die 49 türkischen Geiseln seit Samstag wieder frei sind, fehlt der Türkei die Begründung für ihre Zurückhaltung im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS).

Während seines Besuches in den USA hat der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan die Luftangriffe gegen den Islamischen Staat (IS) in Syrien als einen Schlag gegen die »Terrororganisationen in der Region« begrüßt. Die Wortwahl war wohl überlegt. Gleich danach kam Erdogan auf den »separatistischen Terrorismus« zu sprechen, der in gleicher Weise bekämpft werden müsse.

Die Worte klingen etwas befremdlich. Erweckt die türkische Regierung nicht den Eindruck, als wolle sie das Kurdenproblem durch Verhandlungen lösen und zwar unter Einbeziehung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)? Hat die PKK nicht den bewaffneten Kampf eingestellt und ihre Kämpferinnen und Kämpfer zum großen Teil aus der Türkei zurückgezogen? Ist das vergleichbar mit dem Agieren des IS, der die Weltherrschaft anstrebt und alle, die ihm nicht folgen mögen, mit dem Tod bedroht?

Im Gegensatz zu Erdogan wünschen sich viele Kurden in der Region derzeit lieber mehr als weniger PKK. Denn die Verbände der PKK kämpfen gegen die Terrormiliz Islamischer Staat. In der Zeitung »Milliyet« erhebt der Führer der syrischen Kurden in Syrien, Salih Müslim, schwere Vorwürfe gegen die Türkei: »Ein Volk wird vor unseren Augen ermordet. Was sagen sie dazu?« Müslim fleht geradezu um militärische Hilfe: »Die USA, Frankreich, ja sogar das syrische Regime sollen eingreifen, nur lasst uns nicht mit dem IS alleine!« Die einzige direkte militärische Unterstützung kam bis zum Eingreifen der USA und ihrer Verbündeter von den Flugzeugen des syrischen Staatspräsidenten Baschar al-Assad. Die Türkei steht nicht nur Gewehr bei Fuß, sie verhindert auch, dass die syrischen Kurden oder gar die PKK über türkisches Gebiet dem eingeschlossenen Grenzort Kobane, arabisch Ain al-Arab, Verstärkung schicken.

Indessen reißen die Nachrichten über Kämpfer des IS, die in türkischen Krankenhäusern behandelt werden, nicht ab. Beim kurdischen Verein Civaka Azad in Frankfurt am Main spricht man sogar von türkischen Waffenlieferungen an den IS. Im Internet kursiert ein Video, das bärtige Männer mit Symbolen des IS zeigt, die in Istanbul mit der Straßenbahn fahren. Ein Lazarett mit 75 Betten in Gaziantep, in dem islamistische Kämpfer behandelt worden sind, wurde mittlerweile auf öffentlichen Druck hin geschlossen. Doch trugen die Patienten Symbole der Tauhid-Brigade, einer anderen mit dem Islamischen Staat verfeindeten islamistischen Gruppe. Auch bei den Waffenlieferungen nach Syrien, die im Frühjahr aufgeflogen sind, ist nicht geklärt, an welche Gruppen sie gingen. Trotzdem wächst bei den Kurden in Syrien, in Irak und im eigenen Land die Unzufriedenheit mit der Türkei. Die PKK hingegen sammelt Punkte. Auch in Washington nimmt die Unzufriedenheit über die bestenfalls passive Haltung der Türkei zu. Das sagt zwar so niemand, aber bezeichnenderweise will US-Präsident Barack Obama am heutigen Donnerstag den ägyptischen Staatschef Abdel Fattah al-Sisi und den äthiopischen Präsidenten Hailemariam Desalegn treffen. Erdogan wirkte etwas verlegen, als er bei einer Pressekonferenz gefragt wurde, ob er auch Obama treffen werde und verwies auf seine Hoffnung, ihn am Rande eines Empfangs zu treffen. Vom großen politischen Einfluss der Türkei, von dem türkische Medien unverdrossen sprechen, ist nicht viel geblieben.

Jetzt, wo die jüngst befreiten türkischen Geiseln nicht mehr als Grund für das Nichtstun gelten können, gerät die Türkei immer mehr unter Druck, endlich auch etwas gegen den IS zu tun. Und es gäbe eine Menge Möglichkeiten. Zwar hat Erdogan von politischer und militärischer Hilfe gesprochen, allerdings recht vage.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag 25. September 2014


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