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Planspiele für Syrien

Westen schmiedet Pläne über die Zerstückelung des Landes

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

»Die Sicherheit Syriens ist die Sicherheit Irans«, versicherte der außenpolitische Berater des obersten iranischen Führers Ajatollah Ali Khamenei, Ali Akbar Velayati, Anfang der Woche in Teheran. Eine »Flugverbotszone über Syrien« werde Iran nicht dulden. Die islamischen und regionalen arabischen Staaten müssten sich im Kampf gegen den »Islamischen Staat« (IS) zusammenzuschließen. Die Planspiele, wonach Staaten in der Region entlang religiöser und ethnischer Zugehörigkeiten aufgeteilt werden sollten, müssten zurückgewiesen werden.

Velayati bezog sich auf eine Entscheidung des US-Kongresses von Ende April, wonach der Irak in jeweils drei Teile aufgespalten werden soll – einen kurdischen, einen sunnitischen und einen schiitischen. Für Syrien gibt es ähnliche Pläne. So hat die Bundesregierung in der von ihr finanzierten Stiftung für Wissenschaft und Politik ein Projekt über »Die Fragmentierung Syriens« in Auftrag gegeben.

Dabei könnten die Kurden im Nordosten des Landes – mit westlicher Hilfe – abgespalten werden. Die Terrororganisationen IS und Al-Nusra-Front könnten den Osten Syriens, die Provinz Idlib, die Provinz Deraa im Süden und den Golan erhalten. Übrigbliebe ein Syrien, das von Aleppo über Homs und Damaskus bis As-Suwaida reichen würde. Außerdem würden auch die Küstengebiete, die christlichen Regionen und das Qalamoun-Gebirge im Westen zu dem Rumpfstaat gehörten.

Um die Provinz Idlib abzusichern und sich auch Aleppo einzuverleiben, denkt die Türkei zudem offen über eine »Flugverbotszone« nach. In dieser könnte die in Istanbul sitzende und vom Westen, der Türkei und den Golfmonarchien finanzierte »Nationale Koalition« eine eigene Regierung etablieren. Gleichzeitig würde das Flugverbot Terrororganisationen schützen.

Die offene Debatte über diese – völkerrechtswidrigen – Pläne geht einher mit einem Strategiewechsel auf verschiedenen Seiten. Saudi-Arabien, Türkei und Katar haben ihre Differenzen über die Muslimbruderschaft zurückgestellt und »die am besten ausgebildeten Söldner angeheuert und bewaffnet, um Syrien zu zerstückeln«, analysiert ein Journalist in Damaskus, der namentlich nicht genannt werden möchte. Auf der anderen Seite habe die syrische Armee sich von vielen Fronten auf strategisch wichtige Punkte zurückgezogen. Ähnlich äußerte sich auch Waddah Abd Rabbo, Chefredakteur der syrischen Tageszeitung Al-Watan, gegenüber der französischen Nachrichtenagentur AFP. Es sei »sehr verständlich, dass die syrische Armee sich zurückzieht, um die großen Städte zu verteidigen, wo die meisten Syrer heute leben«, sagte er.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat unterdessen am Dienstag den UN-Sicherheitsrat aufgefordert, rasch und effektiv den Handel mit Erdöl mit dem IS zu unterbinden. Händler und Transportwege müssten bekanntgemacht und die Verbrecher verfolgt werden, die terroristische Organisationen in Syrien und Irak unterstützten, sagte er in einem Interview mit der US-Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg.

Russia Today zitierte derweil Vitali Naumkin vom Orientinstitut der Russischen Akademie der Wissenschaften mit den Worten, dass die US-geführte »Anti-IS-Allianz« die Zielorganisation nicht wirklich stoppe, wohl aber deren Infrastruktur beschädigt habe. Immerhin sei es den USA gelungen, den Handel mit Öl zu drosseln, sagte Naumkin. Eine dritte Gesprächsrunde zwischen syrischen Oppositionellen und der syrischen Regierung werde es bis auf weiteres in Moskau nicht geben, fügte Naumkin hinzu, der als Vermittler zwischen beiden Seiten fungiert. Man müsse zunächst die Ergebnisse der Beratungen abwarten, die der UN-Sondervermittler für Syrien, Staffan de Mistura, derzeit in Genf führe.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 04. Juni 2015


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