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Kampf ums Öl und gegen den "schiitischen Machtbogen"

Von Karin Leukefeld *

Der angebliche »schiitische Machtbogen« (Teheran, Bagdad, Damaskus, Beirut) soll durch einen »sunnitischen Machtbogen« (Riad, Falludscha, Damaskus, Ankara) und ein »Islamisches Kalifat« zerstört werden. Schnittpunkt der »Machtbogen«-Theorie ist Syrien, wo seit mehr als drei Jahren ein mörderischer Krieg tobt. Hinter dem Konstrukt, das aus westlichen Denkfabriken stammt und gehorsam vom jordanischen König Abdullah II. 2004 in der britischen BBC zum besten gegeben wurde, stehen handfeste Interessen. Das regionale Streben der arabischen Nationalstaaten und des Irans nach Wohlstand und politischer Unabhängigkeit soll westlichen und westlich orientierten geostrategischen Interessen unterworfen werden. Der Jahrhunderte alte Theologiestreit zwischen schiitischen und sunnitischen Rechtsgelehrten um die Nachfolge des Propheten Mohammed wird dabei als hochexplosiver Treibstoff eingesetzt.

Anstatt das Feuer in Syrien zu löschen, bedienen sich die USA und die europäischen NATO-Staaten Frankreich, Großbritannien und Deutschland ihrer »strategischen« Bündnispartner in den Golfstaaten, um ihre Rohstoffinteressen in der Region und Richtung Asien durchzusetzen. Dabei werden nicht mehr eigene Truppen entsandt, sondern zweifelhafte Kampfverbände unterstützt. Als stärkster der vielen Kampfverbände, die mit dem Banner des »Islamischen Kalifats« raubend und mordend durch Syrien und den Irak ziehen, hat sich inzwischen die Gruppierung »Islamischer Staat im Irak und in der Levante« (ISIL bzw. ISIS) durchgesetzt. Sie hat sich mittlerweile in »Islamischer Staat« umbenannt. Die Wurzel dieser Truppe ist »Al-Qaida im Irak«, die 2004 unter der Führung ehemaliger arabischer Afghanistankämpfer gegründet worden war.

Ausgerüstet mit Geld, Waffen und logistischen Kenntnissen, die ihnen »Geschäftsleute vom Golf« – und vermutlich auch westliche Geheimdienstagenten – verschafften, kämpfte ISIL in nur wenigen Monaten alle konkurrierenden Kampfverbände in Syrien nieder. Wegen ihres Erfolgs und dank ihrer professionellen Propaganda über das Internetportal Youtube wirkt ISIL anziehender auf Geld- und Waffenlieferanten sowie ausländische Kämpfer, die täglich nach Syrien strömen, um sich dem kürzlich ausgerufenen »Islamischen Kalifat« anzuschließen. Stärkster Konkurrent um die Vorherrschaft bleibt die Al-Nusra-Front. Um die eigene Attraktivität wieder zu erhöhen, könnte diese nun ein eigenes Kalifat in den syrischen Provinzen Idlib und Aleppo ausrufen.

Der Konkurrenzkampf beider Kalifatsanwärter spielt sich entlang der Grenze zur Türkei und in der Wüste zwischen Irak und Syrien ab. Die Vertreibung der ursprünglich dort lebenden Bevölkerung geht einher mit der Besetzung und Plünderung der Bodenschätze. Im April 2013 hatte die Europäische Union die Ausbeutung der syrischen Ölfelder offiziell genehmigt. Die Entscheidung im Rahmen der EU-Sanktionspolitik ermöglicht es der im Exil operierenden »Übergangsregierung« unter »Präsident« Ahmad Tohme, der von der oppositionellen syrischen »Nationalen Koali­tion« (Etilaf) ins Amt gehievt worden war, syrisches Öl auf dem internationalen Markt zu verkaufen, um ihre Arbeit zu finanzieren. Kauf und Verkauf syrischen Öls ist ansonsten seit Oktober 2011 durch EU-Sanktionen verboten.

Die libanesische Tageszeitung As-Safir untersuchte kürzlich, wer das syrische Öl stiehlt, kauft und verkauft: Die »Übergangsregierung« habe bisher nicht ein einziges Faß zu ihren Gunsten verkaufen können. Statt dessen bedienten sich die verschiedensten Kampfverbände und Stämme aus den Quellen des schwarzen Goldes, die im Osten Syriens, in den Grenzgebieten zum Irak verborgen liegen. Das Öl werde in Tal Abyad, einer Stadt im türkisch-syrischen Grenzgebiet »im Auftrag von syrischen, arabischen und ausländischen Kriegsfürsten und Gotteskriegern« raffiniert und anschließend an türkische Ölhändler verkauft. 50000 Barrel erbrächten eine Millionen US-Dollar. Etwa 380000 Barrel am Tag können in Syrien gefördert werden. »Für den Westen ist das syrische Öl nicht wichtig«, so As Safir. Doch die Kampfverbände in Syrien brauchten es.

Auch im Machtkampf zwischen IL und der Nusra-Front spiele das Öl eine wichtige Rolle. Der »Islamische Staat« habe mit Omar Al-Schischani einen kriegserfahrenen Mann beauftragt, die »strategischen Ressourcen« im Osten Syriens – etwa 30 Ölquellen – zu sichern. Niemand sei so erfolgreich bei der Vermarktung des Öls, wie Al-Schischani, schreibt As-Safir. »Er setzt die Kontrolle über die syrischen Ölquellen durch, er kontrolliert das Verkaufsnetz und schützt die Transportwege von Deir-Al-Zor über Rakka bis an die türkische Grenze.«

Stämme im Osten Syriens hätten IL ihre Gefolgschaft erklärt, um an dem Gewinn aus dem Ölverkauf beteiligt zu werden. Einige erhielten 4000 Barrel pro Tag, andere müßten sich mit 200 zufrieden geben. Die Ölfelder von Korat, Al-Tim und Al-Ward seien vermutlich durch die unsachgemäße Ausplünderung nachhaltig zerstört.

* Aus: junge Welt, Donnerstag 17. Juli 2014

Lesen Sie auch:

Who controls Syria’s oil?
by Mohammad Ballout (4. Juli 2014) [externer Link]




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