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Marionettenmachtkampf

Syrische Oppositionelle der Nationalen Koalition wählen »Präsidenten« ihrer "Übergangsregierung" ab. Golfmächte Katar und Saudi-Arabien schachern um Einfluß

Von Karin Leukefeld *

Nach monatelangen internen Querelen ist am Dienstag der »Präsident« der »Übergangsregierung«, die von der oppositionellen syrischen Nationalen Koalition (Etilaf) im Herbst 2013 eingesetzt worden war, seines Amtes enthoben worden. Ahmed Tomeh steht der Muslimbruderschaft nahe und wird von Katar unterstützt. Im Februar war Tomeh mit einer Delegation im Auswärtigen Amt in Berlin empfangen worden. Die Bundesregierung werde »weiterhin die gemäßigten Kräfte der syrischen Opposition stärken«, sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier damals nach dem Treffen. »Der von Deutschland eingerichtete Treuhandfonds, der inzwischen über 50 Millionen Euro verfügt und direkt für Hilfsprojekte in den von der gemäßigten Opposition kontrollierten Gebieten eingesetzt wird«, sei dafür ein Mittel. Inzwischen weiß man, daß die »von der gemäßigten Opposition kontrollierten Gebiete« in Syrien zu großen Teilen dem Terror der Al-Nusra-Front und der Gruppe »Islamischer Staat« (IS) ausgeliefert sind. Hunderttausende Menschen sind von dort geflohen.

Nun wurde Ahmed Tomeh bei einer Sitzung der Nationalen Koalition am vergangenen Wochenende in Istanbul mit einer deutlichen Mehrheit von 66 Stimmen abgewählt. Lediglich 35 Delegierte wollten, daß er im Amt bleibt. Ein Nachfolger soll in der kommenden Woche gewählt werden. Ein Teilnehmer des Treffens, Samir Nashar, sagte dem Onlineportal Middle East Online, Tomeh sei aus politischen Gründen und aufgrund »schlechter Amtsführung« das Vertrauen entzogen worden. Er habe die meisten Posten der »Übergangsregierung« an Personen vergeben, die der Muslimbruderschaft nahestehen. Besonders die Auflösung des Hohen Militärrates der »Freien Syrischen Armee« sei auf Kritik gestoßen. Der damalige Vorsitzende der Nationalen Koalition, Ahmed Dscharba, hatte die Entscheidung später rückgängig gemacht.

Dscharba selbst war am 9. Juli von dem Geschäftsmann Hadi Al-Bahra als Vorsitzender der Oppositionsgruppe abgelöst worden. Beobachter gehen aber davon aus, daß Dscharba hinter den Kulissen weiterhin über großen Einfluß in dem Exilgremium verfügt. Sowohl er als auch Al-Bahra leben derzeit in Saudi-Arabien, das deren politisches Engagement unterstützt. Dscharba hatte im Auftrag des Königshauses schon frühzeitig Waffenlieferungen an Kampfverbände in Syrien organisiert. Al-Bahra hatte bei den Genfer Gesprächen Anfang 2014 die Delegation der Nationalen Koalition angeführt.

Vieles deutete nach der Wahl Al-Bahras darauf hin, daß Katar und Saudi-Arabien, die bei der Nationalen Koalition immer mit am Tisch sitzen, sich auf eine Art Machtverteilung geeinigt haben. Während mit Al-Bahra »ein Mann der Saudis«, wie die libanesische Tageszeitung As-Safir ihn beschrieb, den Vorsitz übernahm, konnte mit Mustafa Al-Sabbagh ein »Mann der Muslimbruderschaft und Katars« wichtige andere Posten mit Gefolgsleuten besetzen. In Syrien verfügt das Gremium über keine große Sympathie. Sowohl Anhänger als auch Gegner von Präsident Baschar Al-Assad werfen der Koalition vor, den Kontakt zur Realität in Syrien verloren zu haben. Sie sei korrupt und verhalte sich unterwürfig gegenüber ihren Sponsoren in Riad und Doha. Hintergrund des Machtkampfes, dem jetzt auch Ahmed Tomeh zum Opfer fiel, ist die Konkurrenz zwischen Katar und Saudi-Arabien, die beide ihren Einfluß in Syrien durch die Unterstützung bewaffneter Gruppen ausweiten wollen. Die von Katar geförderte Muslimbruderschaft bekämpft das saudische Königshaus als potentielle Gefahr für die eigene Macht.

Der syrische Ölminister Suleiman Abbas teilte derweil am Dienstag neue Zahlen über die Verluste im Öl- und Gassektor mit. Seit 2011 seien dem Land 21,4 Milliarden US-Dollar entgangen. Die direkten Schäden durch Zerstörungen, Diebstahl und Plünderungen von Infrastruktur bezifferte Abbas mit 3,5 Milliarden US-Dollar, die indirekten durch Sanktionen sowie Diebstahl von Öl und Gas summierten sich auf 17,9 Milliarden US-Dollar. 2011 wurden in Syrien 385000 Barrel Öl pro Tag gefördert. Heute liegt die staatlich kontrollierte Produktion bei nur noch 17000 Barrel täglich. Die großen Ölfelder im Osten des Landes werden von den Dschihadisten der IS kontrolliert, die ein »Khalifat« ausgerufen haben. Sie verkaufen das gestohlene Öl über Mittelsmänner im Irak und in der Türkei.

* Aus: junge Welt, Donnerstag 24. Juli 2014


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