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Schwierige Mission für de Mistura

Syrien-Vermittler der UNO schlägt Kriegsparteien Plan zur Befriedung Aleppos vor

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Die gemäßigte syrische Opposition fordert eine stärkere militärische Unterstützung vom Westen. Bislang hätten Einheiten der Freien Syrischen Armee nur leichte und mittelschwere Waffen erhalten

Der UN-Sondervermittler für Syrien, Staffan de Mistura, hat ein vorsichtig positives Fazit seiner dreitägigen Gespräche in Syrien gezogen. Vor Journalisten in Damaskus sprach der UN-Diplomat am Dienstag über »viele nützliche und konstruktive Treffen«, die er mit dem Außenminister und dessen Stellvertreter sowie mit Präsident Baschar al-Assad gehabt habe. In Homs traf de Mistura den Gouverneur und sah die schweren Zerstörungen in der historischen Altstadt, außerdem traf er mit Vertretern der Opposition in Al-Wa’er zusammen, einem Stadtteil von Homs.

De Mistura war mit einem UN-Aktionsplan nach Syrien gekommen, der den Weg zu einem »Friedensplan, Inschallah« (»So Gott will«) ebnen solle. Der Plan basiere auf verschiedenen wichtigen Elementen. Der Gefahr des Terrorismus müsse begegnet werden, »wie es in den Resolutionen des UN-Sicherheitsrates beschrieben wird«. Zudem müssten »die Gewalt reduziert« und humanitäre Hilfe an die Syrer verteilt werden. Das alles wiederum bilde den »Grundstein für eine politische Lösung«.

Damit die Syrer sehen, dass eine Lösung möglich sei – und der Konflikt in Syrien könne »nur politisch gelöst werden« – solle Aleppo beispielgebend sein, führte der UN-Diplomat weiter aus. Vorschlag sei, den Konflikt in Aleppo »einzufrieren«. Konkret bedeute das, die Kämpfe einzustellen, alle Kampfverbände sollten »dort bleiben, wo sie sind«. Gleichzeitig müsse »regional, national und international der Druck für eine politische Lösung erhöht werden«. Aleppo sei ein «kulturelles Symbol«, und wenn der Plan dort gelinge, werde er auch andernorts gelingen, zeigte de Mistura sich überzeugt. Die Regierung habe »konstruktives Interesse« an dem UN-Plan gezeigt, nun müsse man sehen, was die anderen Akteure zu sagen hätten.

Der Vorsitzende der oppositionellen Nationalen Koalition (Etilaf), Hadi al-Bahra, lehnte den UN-Vorschlag noch am selben Tag ab. Er diene nur dazu, dass die syrischen Streitkräfte sich neu aufstellen könnten, sagte der dem Emiratesender Al Arabija. Bahra kritisierte zudem die Luftangriffe der USA und der Golfstaaten in Syrien, die auch Verbände der Freien Syrischen Armee (FSA) schwächten, die »gegen Assad kämpfen«.

Etilaf fordert seit Beginn der Luftangriffe der USA auf Ziele des »Islamischen Staates« in Syrien am 23. September, dass auch die syrischen Streitkräfte angegriffen werden. Mohammad Sarmini, Berater der von Etilaf eingesetzten Exilregierung mit Sitz in der südtürkischen Stadt Gaziantep, forderte außerdem erneut militärische Hilfe für die FSA. Die USA planen, mehr als 15 000 »gemäßigte« Kämpfer der FSA und von anderen Milizen in Saudi-Arabien und der Türkei für den Krieg in Syrien auszubilden. Den Vorschlag der UN sehe man »positiv«, wisse aber, dass das Regime seine Verbrechen nicht stoppen werde. Es sei »unmöglich eine Lösung in Syrien zu finden, solange Assad an der Macht ist«.

Der Vorsitzende der syrischen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, George Jabbour, sagte im Gespräch mit der Autorin in Damaskus, dass gerade eine politische Lösung gerade mit Assad gesucht werden müsse. Jabbour betonte, dass der innersyrische Versöhnungsprozess bereits an vielen Orten im Gange sei. Um auf Dauer erfolgreich zu sein, sei allerdings »ein Schweigen der Waffen erforderlich«. Das wiederum sei nur möglich, wenn die Unterstützung der Milizen von außen aufhöre.

»Tatsache ist, dass Syrien ein souveräner Staat ist mit einer Regierung und dem staatlichen Gewaltmonopol«, so Jabbour. Nur wenn die Kampfverbände die Waffen niederlegten und sich zurückzögen, könne die syrische Armee den Kampf einstellen. Jabbour verwies auf die erfolgreiche Vereinbarung in Homs, er hoffe, dass »so etwas auch in Aleppo möglich ist«.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 13. November 2014


Belagertes Kobani

Gefechte in syrischer Grenzstadt. Flüchtlinge unzureichend versorgt

Von Nick Brauns **


Die Lage in der seit zwei Monaten von den Dschihadisten des »Islamischen Staates« (IS) angegriffenen, überwiegend von Kurden bewohnten Stadt Kobani (arabisch: Ain Al-Arab) im Norden Syriens bleibt »sehr kritisch«. Das erklärte die Kovorsitzende der in den kurdischen Selbstverwaltungsgebieten in Syrien führenden Partei der Demokratischen Einheit (PYD), Asia Abdullah, in der Nacht zum Mittwoch telefonisch aus Kobani gegenüber dem Kurdischen Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit Civaka Azad. Die an der Grenze zur Türkei gelegene Stadt werde weiterhin von drei Seiten belagert, zwei Stadtteile befänden sich noch unter Kontrolle des IS. Mit Unterstützung der Anfang November in Kobani eingetroffenen 150 Peschmerga-Kämpfer der irakisch-kurdischen Regionalregierung, die panzerbrechende Waffen mit sich führen, sei es den Volksverteidigungseinheiten YPG allerdings gelungen, den weiteren IS-Vormarsch zu stoppen. »Wir werden die Stadt Haus für Haus befreien, und wir sind entschlossen, den Terrorismus und den Fundamentalismus zu vernichten«, zeigte sich YPG-Kommandantin Narine Afrine zuversichtlich, als sie kürzlich bei einer Solidaritätsveranstaltung in Paris zugeschaltet war. Gleichzeitig beklagt die PYD eine schwindende Unterstützung durch die US-geführte Koalition, die »Panzer und anderen schwere Waffen des IS nur vermindert« mit Luftschlägen angreifen würden. Weiterhin unerfüllt sei die zentrale Forderung, die Eröffnung eines Korridors über türkisches Staatsgebiet, durch den humanitäre Hilfe sowie weitere Kämpfer aus den beiden anderen zum kurdischen Selbstverwaltungsgebiet in Syrien gehörenden Kantonen nach Kobani gelangen könnten.

Die türkische Regierung verhindert dies. Sie bezeichnet die YPG als terroristische Organisation. Entsprechend verurteilte vergangene Woche der Strafgerichtshof in der Provinzhauptstadt Mardin erstmals einen YPG-Kämpfer wegen »Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation« zu einer Freiheitsstrafe von siebeneinhalb Jahren. Der Mann war 2013 verhaftet worden, als er zur Behandlung einer Verwundung illegal in die Türkei eingereist war. Weiterhin gehen Armee und Polizei gewaltsam gegen Solidaritätsmahnwachen an der Grenze zu Kobani vor. Bei einem Angriff auf eine grenzüberschreitende Menschenkette wurde vergangene Woche die in einer sozialistischen Organisation aktive 28jährige Istanbuler Studentin Kader Ortakaya von türkischen Soldaten erschossen. In den letzten Tagen verhaftete die türkische Polizei zudem bei Razzien in mehreren kurdischen Städten zahlreiche Menschen aufgrund ihrer Teilnahme an Solidaritätsdemonstrationen für Kobani im Oktober.

Rund 200.000 Flüchtlinge aus Kobani, die sich in der türkischen Provinz Sanliurfa aufhalten, sind durch den baldigen Wintereinbruch bedroht. Viele von ihnen hausen in Zeltlagern, Garagen, Industrieanlagen und provisorisch umgebauten Viehställen. Ihre Versorgung ist unzureichend. Es bestehe dringender Bedarf an Zelten, Heizstrahlern und Winterkleidung, um die Flüchtlingslager wintertauglich zu machen, rief Halil Akbas von der linkskurdischen Partei der demokratischen Regionen DBP in Sanliurfa gegenüber der Agentur FIRAT zu verstärkter Solidarität auf.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 13. November 2014


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