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Idlib im Visier

Was die Assad-Gegner als "Befreiung" feiern, wird von den UN als Kampf zwischen Extremisten und der syrischen Armee beschrieben

Von Karin Leukefeld *

Die in der Türkei residierende »Nationale Koalition der oppositionellen und revolutionären Kräfte in Syrien« feiert auf ihrer Internetseite etilaf.org seit dem vergangenen Wochenende, dass »Rebellen den größten Teil der syrischen Stadt Idlib befreit« hätten. Am Montag hieß es dann, die Stadt Idlib sei »befreit« worden. Adnan Rahmoun, Mitglied der »Nationalen Koalition« und Vertreter der »Lokalräte der Provinz Idlib« begrüßte, dass die Kampfverbände einen »Regierungsrat« bilden wollten und forderte die »Lokalräte« auf, die staatlichen Institutionen für Bildung und Gesundheit zu übernehmen. Die Stadt sei »durch die Zusammenarbeit von Rebellen und Zivilbevölkerung befreit worden«, erklärte Rahmoun in Istanbul. Die »Befreiung von Idlib« sei »ein wichtiger Sieg auf dem Weg zur Befreiung der ganzen syrischen Erde«, fügte die »Nationale Koalition« am Sonntag hinzu und forderte erneut, »dem Assad-Regime jegliche Anerkennung zu entziehen«.

Der UN-Koordinator für humanitäre Hilfe in Syrien, Yacoub El Hillo, warnte dagegen vor den Auswirkungen der Kämpfe auf Hunderttausende Zivilisten. Die Kämpfe zwischen extremistischen Gruppen und den syrischen Streitkräften hätten bereits zur Vertreibung von mindestens 30.000 Menschen geführt, sagte El Hillo am Montag in Damaskus. Der UN-Diplomat appellierte an »alle Parteien, ihre Feindseligkeiten einzustellen und humanitären Helfern Zugang« zur hilfebedürftigen Zivilbevölkerung zu ermöglichen.

Die Kampfverbände, die am vergangenen Samstag in Idlib eingedrungen waren und sie zu ihrer »Hauptstadt« erklärten, bestehen aus einer Koalition unter Führung der Nusra-Front, die vom UN-Sicherheitsrat als »terroristische« Al-Qaida-Gruppe gelistet ist. Dass ein Großteil der Einwohner Idlibs in den letzten Monaten nicht verlassen hatte, wird von der »Nationalen Koalition« dahingehend interpretiert, dass die Bewohner mit den Kampfverbänden gemeinsame Sache gemacht hätten. Möglich ist aber auch – wie in vielen anderen Gebieten Syriens – dass die Bevölkerung in Idlib geblieben war, weil sie sich durch die syrischen Streitkräfte vor den Kampfgruppen geschützt fühlte. Die UNO warnte davor, dass bei anhaltenden Kämpfen Zehntausende aus Idlib fliehen könnten.

Die beiden größten Kampfverbände in Syrien sind die Nusra-Front und der Islamische Staat (IS). Während beide Gruppen sich bis zum Frühjahr 2014 in Konkurrenzkämpfen gegenseitig schwächten, scheinen sie – vermutlich durch Intervention ihrer Geldgeber – die Kampfzonen in Syrien aufgeteilt zu haben. Der IS hat demnach die Kontrolle über das Gebiet um die ostsyrische Stadt Rakka und Teile des nordwestlichen Iraks übernommen. Die Nusra-Front kämpft gegen die syrische Armee um die Kontrolle der Provinz Deraa im Süden an der Grenze zu Jordanien, der Golan-Höhen, aus denen sie die UN-Blauhelme vertrieben hat, des Grenzgebiets zum Libanon und um die Provinz Idlib bis an die Grenze zur Türkei.

In einem Interview mit dem US-Fernsehsender CBS warf der syrische Präsident Baschar Al-Assad seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan vor, die »Terroristen, die nach Syrien kommen nicht nur zu ignorieren«, sondern sie auch zu unterstützen und zwar »logistisch und militärisch, direkt, täglich«. Im Februar hatte der Gouverneur der türkischen Provinz Denizli bestätigt, dass ein hochrangiger IS-Kommandant in einem türkischen Krankenhaus versorgt worden sei. Der Mann sei türkischer Staatsbürger und habe vollen Anspruch auf medizinische Versorgung in seiner Heimat, so der Gouverneur. Die türkische Zeitung Aydinlik hatte im September 2014 berichtet, dass die Regierung für verwundete Kämpfer aus Syrien 75 Betten in türkischen Krankenhäusern reserviert habe.

Im Emirat Kuwait wurde derweil die 3. Internationale Geberkonferenz für Syrien eröffnet. Vertreter aus 78 Staaten sollen spenden, um den Syrern zu helfen, die in Syrien vertrieben sind oder in Nachbarländern Zuflucht vor den anhaltenden Kämpfen suchen. Die UNO bittet um die Zahlung von 8,4 Milliarden US-Dollar (7,7 Milliarden Euro) für das Jahr 2015. Im Jahr 2014 betrug die erbetene Summe 2,4 Milliarden US-Dollar (2,2 Milliarden Euro). Nur 62,5 Prozent des zugesagten Geldes waren tatsächlich überwiesen worden.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 1. April 2015


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