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Koalition kommt zur Konferenz

Syrische Oppositionsgruppe reagierte auf Druck aus Washington und London / Auch Kampfverbände bei Genf II

Von Karin Leukefeld *

Die Nationale Koalition der syrischen Revolution und bewaffneten Kräfte (Etilaf) hat nach monatelangem Zögern ihre Teilnahme an der Syrien-Konferenz zugesagt.

An der Abstimmung der Koalition am Wochenende in Istanbul nahmen von 120 Delegierten nur 73 teil. 58 von ihnen stimmten für die Teilnahme an der Konferenz, 14 lehnten sie ab, 2 Delegierte enthielten sich der Stimme. Die Gruppe reagiert damit auf starken Druck aus den USA und Großbritannien. Sowohl Washington wie auch London hatten erklärt, ihre Unterstützung für die Koalition einzustellen, sollte sie nicht an der Syrien-Konferenz teilnehmen. US-Außenminister John Kerry begrüßte die Entscheidung. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier sagte, die Beschlussfassung sei richtig, »auch wenn ich verstehen kann, dass sie vielen Oppositionellen schwer gefallen ist«. Montreux (der Schweizer Konferenzort) sei »ein kleiner Hoffnungsschimmer für die Menschen in Syrien«. Es müsse »gelingen, dass die Syrien-Konferenz keine Eintagsfliege wird, sondern ein Prozess, in dem wir ebenso zielgerichtet wie geduldig nach Möglichkeiten suchen, einer politischen Lösung näher zu kommen«.

Auch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, der offiziell zu der Konferenz, die allgemein als Genf II bezeichnet wird, eingeladen hatte, äußerte sich zufrieden. Die »mutige und historische« Entscheidung sei im Interesse einer politischen Lösung des Krieges in Syrien. Die Koalition »repräsentiere die syrische Opposition«, ihre Aufgabe sei nun, eine Delegation zu bilden, die »die große Verschiedenheit der syrischen Opposition repräsentiert, einschließlich Frauen«.

Syrische Frauenorganisationen waren im Vorfeld der Konferenz bereits mit ihrer Forderung nach einer 30-Prozent-Quote in der Oppositionsdelegation gescheitert. Mouna Ghanem, die am Wochenende die Position der »Syrischen Frauen für Frieden« in Genf vortrug, wies darauf hin, dass jede Gruppe bei der Genf II-Konferenz »sehr wenig Glaubwürdigkeit und Legitimität« habe, wenn sie ohne »angemessenen Frauenanteil« erscheine. Das Gleiche gelte für »jede Entscheidung, die ohne die Befragung der syrischen Frauen getroffen wird«.

Das Nationale Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel in Syrien (NCB) hatte vorige Woche seine Teilnahme an der Syrien-Konferenz abgesagt. Die Vorbereitungen seien dem Ernst der Lage nicht angemessen, hieß es in einer Stellungnahme des Präsidiums in Damaskus. Die mit der Bildung einer Oppositionsdelegation beauftragte Nationale Koalition zeige sich unentschlossen. Russland habe sich nicht genügend für eine dreigeteilte Oppositionsdelegation eingesetzt, kritisierte das NCB. Der Vorschlag, wonach sowohl die Nationale Koalition als auch das NCB und der Hohe Kurdische Rat die oppositionelle Delegation bilden sollten, war von der UNO unterstützt, von Washington aber abgelehnt worden. Washington sei nie an einer ausgeglichenen und überzeugenden Delegation der Opposition interessiert gewesen, so das NCB.

Während die moderaten Oppositionellen bei der Syrien-Konferenz nicht vertreten sein werden, haben Kampfverbände ihr Kommen angekündigt. Ein Sprecher der Nationalen Koalition kündigte die Teilnahme der »Soldaten der Levante«, der »Syrischen Front der Revolutionäre« und der »Armee der Mudschaheddin« an. Die »Islamische Front«, die mittlerweile die »Freie Syrische Armee« ersetzt, sei noch unentschieden.

Die syrische Regierung hat Pläne für einen lokalen Waffenstillstand in Aleppo und Namenslisten für einen Gefangenenaustausch mit den Kampfverbänden vorgelegt. Beides war zuvor von den Außenministern Kerry (USA) und Sergej Lawrow (Russland) vorgeschlagen worden.

* Aus: neues deutschland, Montag, 20. Januar 2014


Allgemeine Ungewißheit

»Die Großmächte sind alleiniger Herr der Lage«: Eine Erklärung syrischer Oppositioneller

Von Karin Leukefeld **


Bevor sich die vom Westen als legitime syrische Opposition unterstützte Nationale Koalition am späten Samstagabend für die Teilnahme an der Syrien-Konferenz (Genf II) entschieden hatte, hatten verschiedene innersyrische Opposi­tionsbündnisse bereits ihre Teilnahme abgesagt. Der Vorstand des Nationalen Koordinationskomitees für Demokratischen Wandel in Syrien (NCB) erläuterte diese Entscheidung in einer ausführlichen Stellungnahme am Mittwoch.

Darin hieß es, man habe lange mit allen Parteien gesprochen, um eine ausgeglichene, starke und überzeugende Delegation der syrischen Opposition zusammenzustellen. Im Vorfeld der Konferenz habe man für ein Treffen der Opposition plädiert, um ein gemeinsames Programm und eine starke Delegation zu bilden. Nur wenige Tage vor der Genf-II-Konferenz herrsche allgemeine Ungewißheit, die mit der Bildung der Oppositionsdelegation von den USA und Rußland beauftragte Gruppe sei unentschlossen. Die Rolle der »nationalen Opposi­tion« bei der Konferenz werde dadurch geschwächt.

Immerhin solle auf der Konferenz über »das Schicksal des Volkes, des Landes und des Staates« entschieden werden; das derzeitige Vorgehen sei dem Ernst der Lage nicht angemessen. »Alle Teile der syrischen Opposition« würden letztlich mit »vollendeten Tatsachen« (fait accompli) konfrontiert (…) alleiniger Herr der Lage« seien die Großmächte. »Von uns Syrern wird verlangt, dem internationalen Willen zu gehorchen und uns einem vorbereiteten Szenario zu fügen, das über unser Schicksal entscheiden soll.« Nicht nur, daß die (US-)Amerikaner eine syrische Oppositionsdelegation nach ihrem Willen und gemäß ihrer Interessen gebildet hätten, kein Unterzeichnerstaat der Genf-I-Vereinbarung habe sich beeilt, diese umzusetzen. Das syrische Volk habe seitdem mehr als 80000 Tote zu beklagen, der Wert der zerstörten Infrastruktur betrage mehr als 200 Milliarden US-Dollar. Millionen Menschen seien im Land und außerhalb vertrieben, dafür seien aber bis zu 50000 ausländische Kämpfer »aus beiden Lagern« nach Syrien gekommen. Die einen wollten »das Regime verteidigen«, die anderen führten einen »Heiligen Krieg«. Mit den Wünschen und Hoffnungen des syrischen Volkes habe das nichts zu tun.

Die meisten Unterzeichnerstaaten der Genfer Vereinbarung seien »an der Zerstörung, Verwüstung und dem Auseinanderbrechen der nationalen und sozialen Struktur« beteiligt. Man werde es aber nicht zulassen, daß die tragische Situation der syrischen Gesellschaft ausgenutzt werde, »um das Nationale Demokratische Projekt«, für das die Menschen auf die Straße gegangen seien, zu verhindern. Man habe jede Vorbedingungen für die Konferenz abgelehnt, gleichzeitig habe man ein »Klima mit vertrauensbildenden Maßnahmen« gefordert. Dazu gehörten »die Freilassung von Frauen, Kindern und Kranken aus Gefängnissen, die Möglichkeit, Hilfsgüter in belagerte Gebiete zu bringen, die Aufhebung der Europäischen und (US-)amerikanischen Sanktionen für Lebensmittel und Medikamente und die Aufhebung von Reisebeschränkungen für alle Syrer«. Wichtige NCB-Politiker, wie Abdulaziz Al-Khair und Rajaa Al-Nasser, seien nicht frei.

Rußland habe die syrische Führung nicht ausreichend unter Druck gesetzt, um Zugeständnisse zu erreichen, heißt es weiter in der Erklärung. Außerdem habe sich Moskau nicht ausreichend für die Bildung einer Dreier-Delegation der Opposition eingesetzt, in der neben dem NCB und der Nationalen Koalition auch der Hohe Kurdische Rat vertreten sein sollte. Diese zögerliche Haltung habe dazu beigetragen, daß die (US-)Amerikaner die Stimme der syrischen Opposition auf die Nationale Koalition und »deren Orbit« reduzieren konnte. Washington sei nie an einer ausgeglichenen und überzeugenden Vertretung der syrischen Opposition interessiert gewesen.

Als Schlußfolgerung kündigte das NCB die Vorbereitung eines Beratungstreffens an, an dem so viele politische Kräfte aus Syrien und aus dem Ausland wie möglich teilnehmen sollen. Bei dieser »Nationalen Demokratischen Syrischen Konferenz« solle die Rolle der Opposition gestärkt und ihr neues politisches Gewicht verliehen werden.

** Aus: junge welt, Montag, 20. Januar 2014


Kritik syrischer Frauen

Die Plattform der Syrischen Frauen für Frieden (SWPP) hat schwere Kritik an den Vorbereitungen der Syrien-Konferenz (Genf II) geübt, die am 22. Januar im schweizerischen Montreux beginnen soll.

»Jede Gruppe, die keinen angemessenen Frauenanteil hat, und jede Entscheidung, die ohne Befragung der syrischen Frauen getroffen wird, hat sehr wenig Glaubwürdigkeit oder Legitimität«, erklärte Mouna Ghanem, Leiterin einer SWPP-Delegation in Genf. »Alle, die an der Genf-II-Konferenz teilnehmen, sollten sich daran erinnern.« Die syrische Frauenbewegung hatte bereits vor Monaten den Entwurf einer neuen Verfassung vorgelegt. Ihre Forderung nach einer 30-Prozent-Quote für Frauen an den Genf-II-Verhandlungen wurde ignoriert.

Am Wochenende legten die Frauen die Ergebnisse einer Umfrage vor, die sie in zehn der 14 Provinzen Syriens durchgeführt hatten. Mehr als 6000 Frauen im Alter zwischen 15 und 65 Jahren waren zu ihren Lebensumständen aufgrund des Krieges und ihren Forderungen an die Genf-II-Konferenz befragt worden. Fünf Prozent von ihnen waren demnach körperlich mißhandelt worden, 45 Prozent waren mehr als einmal gezwungen, ihre Wohnungen zu wechseln. 52 Prozent der Frauen hatten andere Vertriebene bei sich aufgenommen. 40 Prozent berichteten, daß ihre Wohnungen geplündert worden seien, 44 Prozent hatten alle ihre Ersparnisse verloren. 28 Prozent der Befragten waren gezwungen, ihre Ausbildung abzubrechen.

Die Forderungen an die Genf-II-Konferenz reflektieren eine große Einstimmigkeit der Frauen: 98 Prozent wollten in einem freien und demokratischen Syrien leben, 99 Prozent forderten die Teilnahme von Frauen am Friedensprozeß und stimmten darin überein, daß Frauen wirtschaftlich mehr Macht erhalten müssen. 94 Prozent sagten, daß insbesondere die UN-Resolutionen für die Rechte von Frauen, für Abrüstung und für friedensbildende Maßnahmen respektiert werden müßten. Die Umfrage ergab zudem ein hohes soziales Engagement der Frauen. 58 Prozent der Befragten seien in Hilfsorganisationen aktiv, 68 Prozent seit einem Jahr.

(kl)



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