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Waffenruhe vereinbart?

Syrien: Oppositionelle wollen Regierungstruppen militärisches Gerät übergeben

Von Karin Leukefeld *

Unbestätigten Meldungen zufolge sollen in verschiedenen Vorstädten von Damaskus kämpfende bewaffnete Oppositionsgruppen mit den Regierungstruppen lokal eine Waffenruhe vereinbart haben. So meldeten verschiedene Nachrichtenagenturen am Mittwoch, daß sich »Einwohner« dieser Viertel bereit erklärt hätten, »schwere Waffen« zu übergeben und die nationale syrische Fahne als Zeichen ihrer Bereitschaft zur Waffenruhe zu hissen. Im Gegenzug würden die Streitkräfte die Belagerung lockern, mit der die Freizügigkeit, der Warenverkehr und alle Sorten von Hilfslieferungen blockiert worden waren. Vermutlich haben lokale Vermittlerkomitees die Vereinbarungen ausgehandelt. Die Armee hatte zu dem drastischen Mittel der Belagerung gegriffen, um die bewaffneten Gruppen zum Abzug aus Wohngebieten oder zur Aufgabe zu zwingen. Die Maßnahme war als »Kriegsmittel des Aushungerns« international scharf kritisiert worden.

Sollten sich die lokal vereinbarten Waffenruhen durchsetzen, könnten sie möglicherweise regional ausgeweitet werden. Viele Kampfverbände scheinen erschöpft und kampfesmüde, vor allem seit die blutigen Kämpfe untereinander in den letzten Monaten immer mehr zunahmen. US-Außenminister John Kerry und sein russischer Amtskollege Sergej Lawrow hatten am Montag für Waffenruhe-Vereinbarungen in Teilen Syriens als ersten Schritt auf dem Weg zu einer Friedenslösung geworben.

Bei einer internationalen Geberkonferenz in Kuwait bezifferte die UNO am Mittwoch die Kosten ihrer Hilfsprogramme für rund neun Millionen Syrer im Land und außerhalb auf 6,5 Milliarden US-Dollar. UNO-Flüchtlingskommissar Antonio Guterres sagte, der Bedarf für die Flüchtlinge aus Syrien für das Jahr 2014 sei »größer« als im Vorjahr. Die Staaten der Europäischen Union forderte Guterres auf, mehr Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen. Das Welternährungsprogramm (WFP) braucht nach eigenen Angaben wöchentlich 35 Millionen Dollar (25,6 Millionen Euro), um mehr als sieben Millionen Syrer zu versorgen. 2011 verfügte Syrien noch über eine strategische Getreidereserve für zwei Jahre, die allerdings von bewaffneten Gruppen im Zuge der Kämpfe systematisch zerstört und geplündert würde.

Erste Meldungen von der Geberkonferenz in Kuwait-Stadt sprachen von »großzügigen Hilfszusagen« der Teilnehmerstaaten. Kuwait kündigte die Zahlung von 500 Millionen US-Dollar für Flüchtlinge an, die USA wollen 380 Millionen US-Dollar bezahlen. Auch Katar und Saudi-Arabien wollen für Flüchtlinge und Inlandsvertriebene aufwenden. Beide Staaten finanzieren gleichzeitig die Kampfverbände, die in Syrien die Menschen, die sich ihnen nicht anschließen, aus ihren Wohnungen und Wohnvierteln vertreiben. Allein aus Aleppo, wo vor dem Krieg etwa drei Millionen Menschen lebten, sind mindestens zwei Millionen Menschen in die syrische Küstenregion, in die Türkei oder in den kurdischen Nordirak geflohen.

Der syrische Vize-Außenminister Feisal Al-Mekdad sagte in der britischen BBC am Dienstag, daß verschiedene westliche Geheimdienste in Damaskus gewesen seien, um sich über die Zusammensetzung der bewaffneten Kampfgruppen in Syrien zu informieren. Aus gut informierten, namentlich aber nicht genannten Kreisen war zu erfahren, daß zumindest Vertreter der britischen, deutschen und französischen Geheimdienste sich in Damaskus mit dem nationalen Sicherheitschef General Ali Mamluk getroffen haben. Aus Deutschland sollen sich mindestens 240 Männer den Kampfgruppen im Norden Syriens angeschlossen haben. Der französische Präsident François Hollande bestätigte am Dienstag, daß 700 Franzosen namentlich bekannt seien, die in Syrien kämpften. Al-Mekdad bestätigte gegenüber der BBC, daß etliche Staaten in Damaskus angefragt hätten, ob sie ihre Botschafter nach Syrien zurückschicken könnten. »Natürlich warten einige auf die Ergebnisse der Genfer Konferenz«, so Al-Mekdad. Doch eine Reihe von Staaten wolle nur auf der Ebene von Sicherheitsfragen kooperieren, »weil diese Terroristen, die sie aus dem Westen über die Türkei nach Syrien schicken, nun eine wirkliche Gefahr für sie selbst geworden sind«.

Nach Gesprächen in Libanon, Jordanien und Irak ist der iranische Außenminister Mohammad Jawad Sarif am Mittwoch in Damaskus mit dem syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad zusammengetroffen. Bei seiner Ankunft auf dem Internationalen Flughafen von Damaskus sagte Sarif, sein Land wolle dazu betragen, daß die Ergebnisse der bevorstehenden Syrien-Konferenz in der Schweiz »im Interesse des syrischen Volkes« ausfallen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 16. Januar 2014


1,5 Milliarden Dollar sollen Syrien helfen

Geberkonferenz der UNO in Kuwait mit 70 Staaten und 24 internationalen Organisationen

Von Karin Leukefeld **


Bei einer UNO-Geberkonferenz zu Syrien haben teilnehmende Staaten bis zum Nachmittag 1,5 Milliarden US-Dollar an Hilfsgeldern zugesagt.

70 Staaten und 24 internationale Organisationen nahmen an dem eintägigen Treffen in Kuwait City teil, das am Mittwochmorgen von UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon eröffnet worden war. Ban Ki-Moon hatte bei seiner Eröffnungsrede gesagt, dass die humanitäre Operation für Syrien die größte Hilfsoperation in der Geschichte der Staatengemeinschaft sei. Für ihre Hilfsprogramme brauche die UNO 6,5 Milliarden US-Dollar für das Jahr 2014. Bei einer ähnlichen Veranstaltung im Januar 2013 hatten die teilnehmenden UN-Mitgliedsstaaten 1,5 Milliarden US-Dollar zugesagt, wovon allerdings nur 70 Prozent gezahlt worden sind.

Die größte Summe stellte mit 500 Millionen US-Dollar Gastgeberland Kuwait zur Verfügung, gefolgt von den USA mit 380 Millionen US-Dollar. US-Außenminister John Kerry zeigte sich bei der Konferenz stolz, dass die USA mit 1,7 Milliarden US-Dollar der bisher größte Sponsor der humanitären Hilfe für Syrien sei. Großbritannien, das wie die US-Administration die bewaffneten Aufständischen in Syrien unterstützt, sagte 164 Millionen US-Dollar an Hilfe zu. Deutschland will 80 Millionen Euro in den UNO-Fonds einzahlen. Katar und Saudi Arabien sagten jeweils 60 Millionen US-Dollar Hilfsgelder für die vom Krieg drangsalierte syrische Bevölkerung zu. Beide Staaten finanzieren gleichzeitig Kampfverbände in Syrien, die Menschen, die mit ihrem Vorgehen nicht einverstanden sind, aus Wohnungen, Dörfern und Stadtteilen vertrieben haben.

Die Europäische Union hatte bereits im Vorfeld des Treffens erklärt, ihre humanitäre Hilfe an die Syrer mit zusätzlichen 165 Millionen Euro aufzustocken. Damit hat die EU seit Beginn des Krieges in Syrien zwei Milliarden Euro bezahlt. Mit einer Vielzahl von Sanktionen gegen Syrien trägt die EU gleichzeitig zu einer massiven Verarmung der Syrer und dem Zusammenbruch der syrischen Wirtschaft insbesondere im Ölsektor bei.

Zusätzlich zu den Staaten haben internationale und nationale Hilfsorganisationen die Zahlung von 400 Millionen US-Dollar zugesagt. Allein die kuwaitische Internationale Islamische Hilfsorganisation erklärte, 142 Millionen US-Dollar beitragen zu wollen.

Ein großer Teil des Geldes soll als Nahrungsmittelhilfe an die Syrer gezahlt werden. 10,5 Millionen von ihnen leiden nach Auskunft von Hilfsorganisationen an Hunger, mehr als eine Million Kinder unter fünf Jahren seien unterernährt. Dabei verfügte Syrien noch im Jahre 2011 über eine strategische Getreidereserve für zwei Jahre, die von bewaffneten Gruppen im Zuge der Kämpfe systematisch zerstört und geplündert worden ist.

Die Zahl der vom Krieg betroffenen Menschen in Syrien wird von der UNO inzwischen auf 13,5 Millionen Menschen geschätzt, das ist mehr als die Hälfte der rund 23 Millionen Einwohner Syriens. Etwa drei Millionen Syrer sollen sich nach UNO-Angaben in die Nachbarstaaten Irak, Türkei, Libanon, Jordanien und Ägypten geflüchtet haben. Neun Millionen gelten als Inlandsvertriebene in Syrien. Die Zahl der Flüchtlinge könnte sich nach UNO-Angaben bis Ende 2014 auf 4,1 Millionen Menschen erhöhen.

Von den 6,5 Milliarden US-Dollar, die die UNO für das Jahr 2014 einwerben will, sollen 2,3 Milliarden die neun Millionen Syrer innerhalb Syriens unterstützen. Umgerechnet wäre das eine jährliche Unterstützungsleistung von etwa 25 US-Dollar pro Person. Für die syrischen Flüchtlinge außerhalb Syriens will die UNO 4,2 Milliarden US-Dollar einsetzen. Sollte deren Zahl auf 4,1 Millionen ansteigen, wäre das eine jährliche Unterstützung von knapp 100 US-Dollar pro Person.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 16. Januar 2014


Zahlen und Fakten

Syrien hat rund 22,5 Millionen Einwohner.

Mehr als 130 000 Menschen kamen im Syrien-Konflikt nach Schätzungen von Hilfsorganisationen bis Ende 2013 ums Leben.

UNICEF unterstützt provisorischen Schulunterricht für 3,9 Millionen Mädchen und Jungen in Syrien und für 1,3 Millionen Flüchtlingskinder in den Nachbarländern.

Der Auftakt einer seit Monaten immer wieder verschobenen Friedens-Konferenz ist nun für den 22. Januar in Montreux geplant.




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