Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Eskalation in Syrien

Türkei und USA wollen "Schutzzone" im Norden des arabischen Landes errichten. Washington kündigt Verteidigung "gemäßigter Rebellen" gegen Regierungstruppen an

Von Karin Leukefeld *

Der türkische Präsident Recep Tayyib Erdogan kann sich freuen. Nach jahrelangen Bemühungen hat er die US-Armee dort, wo er sie seit 2011 haben wollte: in einem vollen Kampfeinsatz in Syrien. Nichts anderes bedeutet die Durchsetzung einer »Schutzzone«, wie sie nun von Ankara und Washington im Norden des arabischen Landes geplant ist. Der Fernsehsender CNN berichtete in der Nacht zum Montag, dass US-Präsident Barack Obama die Luftwaffe angewiesen habe, die von dort aus operierenden »gemäßigten Rebellen« auch gegen mögliche Angriffe der syrischen Armee zu verteidigen. Russland kritisierte die Pläne. Ein solches Vorgehen schwäche die Möglichkeiten der Regierung in Damaskus, die Banden des »Islamischen Staates« (IS) zu bekämpfen, und führe zu einer weiteren Destabilisierung des Landes, sagte ein Sprecher des Präsidialamtes in Moskau.

Bisher hatte das US-Militär eine direkte Konfrontation mit den syrischen Truppen vermieden. Umgekehrt schossen diese nicht auf Kampfflugzeuge der von Washington geführten Allianz, die IS-Stellungen bombardierten. Noch Anfang Mai warnte US-Verteidigungsminister Ashton Carter im Senat, dass eine »Schutzzone« einen »vollen Kampfeinsatz« der US-Streitkräfte erfordere. Voraussetzung dafür sei, dass die US-Luftwaffe Zugang zur türkischen Militärbasis Incirlik bei Adana bekomme. Den hat Ankara nun gewährt.

Den lang ersehnten Vorwand für die Eskalation der militärischen Einmischung im Nachbarland lieferte der Anschlag von Suruc mit 32 Toten und vielen Verletzten Mitte Juli. Innerhalb von Stunden gestattete Ankara der US-Armee die Nutzung von Incirlik, im Gegenzug gab es aus Washington grünes Licht für Ankara, Angriffe auf die kurdischen Selbstverteidigungskräfte (YPG) im Norden Syriens und auf Lager der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) im Nordirak zu fliegen.

Entgegen der lautstarken Propaganda geht es Erdogan nur am Rande darum, den »Islamischen Staat« zu bekämpfen. Der türkische Staatschef will vor allem den syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad stürzen und die kurdische Partei der demokratischen Union (PYD) bekämpfen. Dagegen hatten die USA zuletzt die kurdischen Organisationen direkt oder indirekt gegen die Dschihadisten unterstützt und als inoffizielle Verbündete betrachtet. Diese hatten mit Leib und Leben den Vormarsch der Terroristen gestoppt. Während die nordirakischen kurdischen Peschmerga die Jesiden westlich von Mossul erst entwaffneten und dann im Stich ließen, um sich dem Schutz der Ölförderanlagen bei Kirkuk zu widmen, kamen YPG und PKK den bedrängten Menschen zu Hilfe.

Die von Ankara geplante »Schutzzone« soll Basis für in der Türkei und durch die USA ausgebildete »moderate syrische Rebellen« werden. Diese sollen von dort aus den Kampf vor allem gegen die Regierungstruppen ausweiten. Die von den im wesentlichen aus Golf- und NATO-Staaten bestehenden »Freunden Syriens« gesponserte »Exilregierung« soll in dem Gebiet außerdem eine Gegenverwaltung zu Damaskus aufbauen. Ihr Talent dafür kann sie unter Beweis stellen, wenn die Türkei die Flüchtlinge, die derzeit im Grenzgebiet campieren, in die »Schutzzone« abschiebt. Dort sollen sich die jungen Männer unter den Flüchtlingen bei den von den USA ausgebildeten »Neuen Syrischen Streitkräften« verdingen.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 4. August 2915


Zurück zur Syrien-Seite

Zur Syrien-Seite (Beiträge vor 2014)

Zur Türkei-Seite

Zur Türkei-Seite (Beiträge vor 2014)

Zur USA-Seite

Zur USA-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage