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Für nationale Versöhnung

Dritte Amtszeit für Assad: Syriens Präsident ruft Opposition zum Dialog auf. Kampf gegen Terrorismus soll aber andauern, bis Sicherheit im Land wieder hergestellt ist

Von Karin Leukefeld *

Syriens Präsident Baschar Al-Assad ist am Mittwoch für eine weitere Amtszeit von sieben Jahren vereidigt worden. Der Staatschef hatte sich bei den Wahlen am 3. Juni klar gegen zwei weitere Kandidaten durchgesetzt, er tritt das Amt zum dritten Mal an. Die Wahl war schon im Vorfeld von den USA, der EU und den Golfstaaten, die in dem Verbund der »Freunde Syriens« ihre Politik gegen das Land koordinieren, als »Farce« verurteilt worden. Wahlbeobachter aus anderen Staaten sprachen von einer »fairen Wahl unter schwierigen Bedingungen«.

Fast die Hälfte der syrischen Bevölkerung ist durch anhaltende Kämpfe innerhalb des Landes vertrieben. Die Wahlkommission hatte angeordnet, daß Wahlberechtigte überall dort, wo sie gerade lebten, zur Abstimmung gehen konnten. Der größte Teil der syrischen Bevölkerung lebt in in den Küstengebieten zwischen Hama, Homs und Damaskus und in der südlichen Provinz Al-Suweida. Diese werden von der syrischen Armee kontrolliert. Im Libanon machten Hunderttausende syrische Flüchtlinge von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Die Bundesregierung, die der Steuerungsgruppe der »Freunde Syriens« angehört, hatte in Deutschland lebenden Syrern die Möglichkeit verwehrt, sich in der syrischen Botschaft oder in Konsulaten an den Wahlen zu beteiligen.

Die Vereidigungszeremonie fand im Präsidentenpalast vor den Mitgliedern des syrischen Parlaments und insgesamt 1000 geladenen Gästen statt. Sie wurde im Fernsehen übertragen. Anschließend schritt Assad, der als Präsident auch Oberkommandierender der Streitkräfte ist, eine Ehrenformation ab. In seiner Amtsantrittsrede versprach er, »den Terrorismus in Syrien zu bekämpfen, bis in jeder Ecke des Landes die Sicherheit wieder hergestellt« sei. Seine politischen Gegner rief Assad zur »nationalen Versöhnung« auf. Drei Jahre und vier Monate seien vergangen, seit einige Menschen in Syrien nach Freiheit gerufen hätten, sagte Assad. »Sie wollten eine Revolution, aber ihr seid die wahren Revolutionäre gewesen. Ich gratuliere euch zu eurer Revolution und zu eurem Sieg.« Die »Maske von Freiheit und Revolution« sei gefallen. Arabische, regionale und westliche Staaten würden noch »einen hohen Preis dafür bezahlen, daß sie den Terrorismus« in Syrien unterstützt hätten, so Assad weiter. Je mehr man die Syrer angreife, desto mehr Widerstand würden sie leisten, doch die Angriffe auf Syrien hätten nicht auf einzelne Personen oder die Regierung gezielt. »Ihr Ziel war die Struktur des Landes, seine Rolle und die Haltung seines Volkes«, das von seinen »nationalen Zielen und dem Streben nach Wohlstand« abgelenkt werden sollte. Assad rief die Bevölkerung auf, gemeinsam am Wiederaufbau des Landes zu arbeiten. Das werde auch die Wirtschaftspolitik bestimmen.

Assad »behauptet, er sei ein legitimer Präsident trotz all der Opfer und Massaker«, kritisierte Samir Nashar von der oppositionellen Exilorganisation »Nationale Koalition« (Etilaf) gegenüber dem Onlineportal Middle East online. Der Staatschef wolle »auf keinen Fall die Macht abgeben«. Salman Scheich vom Thinktank »Brooking Doha Center« in Katar erklärte, die Entwicklung der letzten Monate habe Assad gestärkt. Jetzt versuche er, »diejenigen auf seine Seite zu bringen, die bisher weder für noch gegen ihn waren«. Die Regierung sei aber noch immer eine »Kriegsregierung, und die Rebellen werden weiter gegen die syrische Armee kämpfen«, so Scheich. Assad habe einen »Pyrrhus-Sieg« errungen, zeigte sich Karim Bitar vom Institut für internationale und strategische Beziehungen mit Sitz in Paris überzeugt. Er habe seinen Sieg auf den Ruinen eines Landes teuer erkauft, es werde »nie wieder ein Zurück zu dem früheren Syrien geben«.

Nach mehrwöchigen Debatten hat auch die exiloppositionelle »Nationale Koalition« die Wahl ihres neuen Präsidenten Hadi Al-Bahra bekanntgegeben. Der in Saudi-Arabien lebende Geschäftsmann war erstmals bei den Genfer Gesprächen in Erscheinung getreten. Die Bundesregierung gratulierte Al-Bahra und sagte ihm und seiner Gruppe Unterstützung über den »Syria Recovery Trust Fund« zu. Das Geld solle »die Versorgung der Bevölkerung in den vom Regime aufgegebenen Gebieten sicherstellen«.

* Aus: junge Welt, Donnerstag 17. Juli 2014


Kampf um Rojava

»Islamischer Staat« nutzt türkische Provinz Urfa als Basis für Krieg in syrischen Kurdengebieten

Von Nick Brauns, Istanbul **


Die Kämpfe um den kurdischen Kanton Kobani im Osten Syriens drohen auf die türkische Provinz Sanliurfa überzugreifen. Vor zwei Wochen hatten Truppen der Gruppe »Islamischer Staat« (IS) mit im Irak erbeuteten schweren Waffen einen Großangriff auf den kleinsten der drei selbstverwalteten kurdischen Kantone der Rojava genannten kurdischen Siedlungsgebiete entlang der syrisch-türkischen Grenze begonnen. Seit Beginn der Kämpfe wurden nach Angaben der kurdischen Selbstverteidigungseinheiten (YPG) über 400 der Dschihadisten getötet. Die Zahl der getöteten eigenen Kämpfer bezifferten die YPG zu Wochenbeginn auf rund 40. Einige der Toten wiesen nach Angaben von YPG-Sprecher Redur Xelil Symptome auf, die auf einen Einsatz chemischer Kampfstoffe durch die IS deuten.

Die IS-Kämpfer haben den durch Flüchtlinge auf 400000 Einwohner angewachsenen Kanton von zwei Seiten in die Zange genommen und sind bis auf 35 Kilometer an die Stadt Kobani vorgerückt. Hier tobt nun ein Stellungskrieg mit den verschanzten YPG-Einheiten. Zusätzlich erfolgten in den vergangenen Tagen Angriffe von der türkischen Grenze aus. Die türkische Armee ließ die schwerbewaffneten Dschihadisten nach Angaben der Kantonalregierung von Rojava ungestört die Grenze passierten. Urfa sei zum Hauptquartier von IS geworden, berichtet der örtliche Abgeordnete der linken Demokratischen Partei der Völker (HDP), Ibrahim Ayhan. Die IS-Kämpfer könnten sich in der türkischen Stadt demnach frei bewegen. »Sie benutzen die Stadt als Militärbasis, sie nutzen die Krankenhäuser und transportieren hier militärische Ausrüstung«, so Ayhan. IS kontrolliere inzwischen sogar einige kurdische Dörfer auf der türkischen Seite der Grenze.

Tausende Menschen, darunter Abgeordnete und Bürgermeister der HDP, Künstler und alevitische Geistliche, haben sich seit Wochenbeginn an der türkisch-syrischen Grenze versammelt, um ein weiteres Eindringen der Dschihadisten nach Kobani zu verhindern. Rund 300 Kurden durchbrachen am Dienstag den Grenzzaun, um sich den Selbstverteidigungseinheiten anzuschließen. Sie folgten damit einem Aufruf des inhaftierten Vorsitzenden der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, zur Solidarität mit Kobani. »Der Angriff auf Kobani ist ein Angriff auf das Herz Kurdistans«, warnt unterdessen die PKK vor einer gemeinsamen Strategie der islamisch-konservativen türkischen Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und des IS zur Zerschlagung der Selbstverwaltung in Rojava. Sollte Kobani in die Hände der IS fallen, wäre die Verbindung zu den beiden anderen kurdischen Kantonen, Afrin nördlich von Aleppo und der Cazira im syrisch-türkisch-irakischen Grenzdreieck, abgeschnitten. Bis zu 800 PKK-Guerillakämpfer aus der Türkei seien in den vergangenen Tagen nach Syrien eingesickert, um sich den Verteidigern von Kobani anzuschließen, meldeten türkische Zeitungen. Sie seien in Kobani mit Freudenschüssen gefeiert worden, bestätigte eine Aktivistin namens Hevidar deren Ankunft in der belagerten Stadt gegenüber der französischen Nachrichtenagentur AFP. Um weitere Grenzübertritte von Kurden zu verhindern, hat die türkische Armee ihre Kräfte in diesem Gebiet verstärkt.

»Wir begrüßen den Widerstand der Frauen und Männer von Westkurdistan, die ihre Ziele und ihre Freiheit mit ihrem Blut verteidigen«, verurteilte erstmals auch das kurdische Regionalparlament im nordirakischen Erbil die Angriffe auf die Nachbarregion. Die Regionalregierung von Präsident Masud Barsani wurde dazu aufgerufen, Rojava zu unterstützten. Barsani steht der Selbstverwaltung in Rojava ablehnend gegenüber, seine innerhalb der kurdischen Regierung dominante Demokratische Partei Kurdistans (KDP) hat ein Wirtschaftsembargo gegen die Kurden im Nachbarland verhängt. Hintergrund dieser negativen Haltung ist die wirtschaftliche Abhängigkeit der Region Kurdistan-Irak von der Türkei.

Am Dienstag endete ein zweitägiger Staatsbesuch des kurdischen Präsidenten in Ankara. Der Tageszeitung Yeni Safak zufolge, die der dort regierenden AKP nahe steht, will Barsani innerhalb der nächsten zehn Tage offiziell die Abhaltung eines Referendums über einen unabhängigen kurdischen Staat verkünden. Mit Widerstand Ankaras ist nicht zu rechnen, da Kurdistan-Irak bereits jetzt einem türkischen Protektorat gleicht und die türkische Regierung mit Hilfe des kurdischen Öls ihre energiepolitische Abhängigkeit von Rußland und dem Iran überwinden will.

** Aus: junge Welt, Donnerstag 17. Juli 2014


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