Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Krieg ohne Grenzen

US-Regierungsbeamte gestehen Kommandoaktion in Syrien ein. Pentagon reagiert verärgert. Kongreßabgeordnete fordern Luftangriffe

Von Knut Mellenthin *

Die US-Regierung hat am Mittwoch erstmals Einzelheiten über eine Militäroperation auf syrischem Boden mitgeteilt. Die Kommandoaktion, die hauptsächlich von Angehörigen der Spezialeinheit »Delta Force« getragen wurde, fand zu einem nicht weiter präzisierten »früheren Zeitpunkt in diesem Sommer« statt. Zweck des Einsatzes war angeblich die Befreiung mehrerer US-Amerikaner, die sich in der Gefangenschaft der in Syrien und im Irak agierenden Mörderbanden des »Islamischen Staates« (IS) befinden. Zu den Geiseln, deren Befreiung demnach erreicht werden sollte, gehörte vorgeblich auch der im November 2012 entführte US-Journalist James Foley. Seine Enthauptung ist auf einem Video zu sehen, das der IS am Dienstag veröffentlichte.

Schauplatz der US-Kommandoaktion war »eine Ölraffinerie im nördlichen Teil« Syriens. Geiseln hätten sich dort jedoch trotz angeblich handfester nachrichtendienstlicher Erkenntnisse nicht befunden. Nach einer Schießerei von einigen Minuten Dauer seien die Delta-Force-Leute mit Hubschraubern ausgeflogen worden. Einer von ihnen habe leichte Verletzungen erlitten.

Die erstaunlich detailreiche Darstellung des Vorgangs hat, auch wenn die Medien nur anonyme Beamte zitieren, durchaus offiziellen Charakter. Quelle ist eine telefonische Pressekonferenz mit vermutlich hochrangigen Regierungsmitarbeitern, die aber nicht namentlich genannt werden dürfen. Das ist ein in den USA übliches, wenn auch absurd erscheinendes Verfahren. Allerdings ist es äußerst selten, vielleicht sogar präzedenzlos, daß das Weiße Haus so offen und ausführlich über eine bis dahin geheime – und zudem völlig fehlgeschlagene – Kommandoaktion plaudern läßt. Für das Leben der mindestens vier US-Amerikaner, die sich noch immer in der Gewalt des IS befinden, kann diese PR-Aktion ihres Präsidenten kaum förderlich sein. Die New York Times zitierte am Mittwoch zwei anonyme Pentagon-Funktionäre, die sich stark verärgert über die Offenbarungsfreudigkeit der Regierung geäußert hätten: Der IS habe auf diese Weise Dinge erfahren, die er bisher nicht wußte.

Die Erklärung für die Kommandoaktion könnte in dem Verfahren liegen, das in Israel durch die »Hannibal-Direktive« vorgeschrieben ist: In Gefangenschaft geratene Soldaten sind nach Möglichkeit zu töten, um nicht erpreßbar zu sein. Zu ergänzen wäre: Oder die, in deren Gewalt sie sich befinden, sollten dazu provoziert werden, sie zu ermorden. Der Journalist Foley war für die US-Regierung zweifellos ein großes Problem. Der IS oder ISIL, wie er sich bis Juni nannte, hatte seit seiner Entführung vor 20 Monaten immer wieder »angeboten«, ihn gegen Zahlung eines Lösegelds in Millionenhöhe und im Zuge eines Gefangenenaustausches freizulassen. Im Gegensatz zu manchen europäischen Staaten lehnen die USA und Großbritannien – ebenso wie Israel – solche Deals grundsätzlich ab.

Die Republikaner, aber auch manche demokratische Kongreßmitglieder, fordern von Obama schon seit Beginn der Luftangriffe gegen irakische Ziele am 8. August, die Militäroperationen auch auf Syrien auszudehnen. Die Offenbarungen der US-Regierung über ihre Kommandoaktion in Nordsyrien lassen diesen Eskalationsschritt wahrscheinlicher und näher erscheinen, als das bisher angenommen werden mußte.

* Aus: junge Welt, Freitag 22. August 2014


"Zum Schutz unserer Leute"

Im Irak droht eine Eskalation der US-Intervention, die auch Syrien treffen könnte

Von Knut Mellenthin **


Nach der Ermordung des Journalisten James Foley durch den in Syrien und im Irak operierenden »Islamischen Staat« (IS) wird eine weitere Eskalation der US-amerikanischen Militärintervention erwartet. IS hatte am Dienstag ein Video veröffentlicht, das die Enthauptung Foleys durch einen mit eindeutigem britischen Akzent sprechenden, vermutlich aus London oder Südostengland stammenden Mann zeigte. Anschließend drohte der Henker mit der Ermordung eines weiteren gefangenen US-Journalisten, Steven J. Sotloff, der für das Magazin Time gearbeitet hat: »Das Leben dieses amerikanischen Bürgers, Obama, hängt von Ihrer nächsten Entscheidung ab.«

Damit scheint sich der Präsident der USA aber noch etwas Zeit lassen zu wollen. Die erste Stellungnahme, die Barack Obama am Mittwoch in seinem Urlaubsquartier Martha’s Vine­yard abgab, war auffallend kurz und enthielt keine konkreten Ankündigungen. Unter seinen Worten »Die USA werden fortfahren, das Notwendige zum Schutz unserer Leute zu tun. (…) Wenn jemand Amerikanern Schaden zufügt, gleich wo, dann tun wir das Erforderliche, um ihn zur Rechenschaft zu ziehen«, kann man sich alles mögliche vorstellen. Beispielsweise eine Serie von Drohneneinsätzen gegen Orte im Irak, wo IS-Kommandeure vermutet werden. Sotloffs Tod würde das nur beschleunigen.

Vielleicht als erste Reaktion auf die Ermordung Foleys hat das für die Region zuständige Central Command (Centcom) seine Luftangriffe in der Umgebung des Mossul-Staudamms wieder aufgenommen. 14 Ziele wurden am Mittwoch attackiert. Einen Tag zuvor hatte Pentagon-Sprecher John Kirby in seiner regulären Pressekonferenz auf Nachfragen mehrmals erklärt, der Damm befinde sich fest unter Kontrolle kurdischer und irakische Kräfte und es seien keine weiteren Militäroperationen der USA in diesem Raum geplant.

Nach Mitteilung des Centcom vom Mittwoch (Ortszeit) wurden seit Beginn der Angriffe am 8. August insgesamt 84 Luftschläge gegen Ziele im Irak durchgeführt. 51 davon hätten zur Unterstützung irakischer Truppen rund um den Damm gedient.

Nach wie vor ist unklar, wer die US-amerikanische Luftunterstützung für die Rückoberung des Staudamms angeordnet hat, und unter welcher genauen Aufgabenstellung dieser Befehl erfolgte. Obama hatte am 7. August in einer Fernsehansprache nur von zwei Zielen der Luftangriffe gesprochen: erstens dem Schutz US-amerikanischer Bürger, womit hauptsächlich die Diplomaten und ihre Mitarbeiter sowie etwa 1000 »Militärberater« in Bagdad und in der Kurdenhauptstadt Erbil gemeint sind, zweitens der »Unterstützung humanitärer Bemühungen«. Das bezog sich zu jenem Zeitpunkt konkret auf die am Berg Sindschar eingeschlossenen jesidischen Flüchtlinge.

Die Ereignismeldungen des Centcom gaben darüber hinaus seit Sonntag zwei neue Bestandteile des Kampfauftrags an: den »Schutz wichtiger Infrastruktur« und die »Unterstützung irakischer Sicherheitskräfte und kurdischer Verteidigungskräfte in ihrem gemeinsamen Kampf gegen ISIL«, wie sich IS bis Juni nannte.

Im Gegensatz dazu beteuern spätestens seit Dienstag alle Regierungsstellen, daß Gegenstand der militärischen »Mission« im Irak nach wie vor ausschließlich die beiden Ziele seien, die der Präsident schon am 7. August autorisiert hatte. Wie es trotzdem dazu kommen konnte, daß sich das Centcom mehrere Tage lang auf eine eindeutig weitergehende Autorisierung berief, mochte bisher niemand beantworten.

Was wie eine absurde Haarspalterei aussehen könnte, hat politische Gründe. Erstens: Obamas ständig in geradezu aufdringlicher Weise wiederholte zentrale Agitationslinie ist, daß die Luftangriffe hauptsächlich dem »Schutz unserer Leute« dienen. Die Korrektur dient zweitens dazu, die Frage abzuwehren, ob im Irak ein »Mission creep«, eine schleichende Ausweitung des Kampfauftrags, stattfindet. Nach der Ermordung Foleys wird sich allerdings so gut wie jede Militäraktion nicht nur im Irak, sondern auch in Syrien als »Schutz unserer Leute« verkaufen lassen.

** Aus: junge Welt, Freitag 22. August 2014


Zurück zur Syrien-Seite

Zur Syrien-Seite (Beiträge vor 2014)

Zur Irak-Seite

Zur Irak-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage