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Islamisten in der Offensive

Al-Nusra-Front gibt Einnahme von syrischer Stadt bekannt. Opposition feiert Vormarsch der Dschihadisten als Erfolg. Türkei behindert Waffenruhe

Von Karin Leukefeld *

Bei einem Raketenangriff von bewaffneten Gruppen sind in der syrischen Stadt Aleppo am Sonntag mindestens sechs Menschen getötet worden. Behördenangaben zufolge schlugen die Geschosse im von der syrischen Armee kontrollierten Stadtteil Kasr Al-Baladi ein. Ebenfalls am Sonntag nahmen die Milizen auch weitere Wohnviertel in der Hand der Regierungstruppen mit Mörsergranaten unter Beschuss. Mindestens vier Menschen wurden verletzt, etliche Häuser und Geschäfte zerstört.

Die syrischen Streitkräfte meldeten auch aus der auf den Golanhöhen gelegenen Provinz Quneitra heftige Kämpfe. Von dort hatte die Al-Nusra-Front im Herbst 2014 die UN-Truppen vertrieben und deren Stellungen eingenommen. Bei den jüngsten Gefechten soll ein militärischer Anführer der »Al-Karama-Brigade« getötet worden sein, die zu den »Fadschr Al-Tawhid« gezählt wird, einem der vielen Kampfverbände, die unter dem Banner des politischen Islam agieren. Weitere Kämpfe meldete die syrische Armee am Wochenende aus der Provinz Idlib, die im Norden an die Türkei grenzt. Dort soll es zu besonders schweren Gefechten mit mehrheitlich tschetschenischen Kämpfern der »Eroberungsarme« (»Army of Conquest«) und der Al-Nusra-Front gekommen sein, die am Wochenende nach eigenen Angaben die Stadt Dschisr Al-Schughur eingenommen hatten. Die Eroberung der nahe der türkischen Grenze gelegenen Ortschaft war von der Nationalen Koalition (Etilaf), die von den USA und deren Verbündeten – darunter auch Deutschland – als »legitime Vertretung Syriens« anerkannt und unterstützt wird, begrüßt worden. In einer Erklärung sprach das politische Komitee der Gruppe von »spektakulären Gewinnen der Rebellen« und der »syrischen Revolution«.

Charles Lister vom »Brookings Center« im katarischen Doha sagte der Nachrichtenagentur Reuters, dass die Eroberung der Stadt Dschisr Al-Schughur »die Route von Idlib und Hama nach Latakia für die Opposition öffnet und damit die Möglichkeiten für eine zukünftige Offensive auf Latakia enorm ausweitet«. Dies könne »für das Regime noch sehr gefährlich werden«, auch in der Provinz Aleppo, erklärte Lister. Der Mann steht in Diensten des US-Thinktank »Brookings Institution« und beschäftigt sich der Internetpräsenz der Organisation zufolge vor allem mit »Terrorismus, Aufständen und sogenannten ›substaatlichen‹ Bedrohungen im Mittleren Osten«. Der Golfstaat Katar gilt – neben Saudi-Arabien, Jordanien und der Türkei – als einer der größten Unterstützer bewaffneter Milizen in Syrien.

Der syrische Präsident Baschar Al-Assad beschuldigte derweil die Türkei, die Waffenstillstandsbemühungen des UN-Sondervermittlers für Syrien, Staffan de Mistura, zu torpedieren. Die Türken wiesen die bewaffneten Gruppen an, sich einer Kooperation mit de Mistura zu verweigern, sagte Assad in einem Interview mit der schwedischen Zeitung Expressen am vergangenen Freitag. Die Milizen hatten Anfang März ein »Einfrieren des Kampfes« in Aleppo abgelehnt. Der syrische Botschafter bei den Vereinten Nationen in New York, Baschar Al-Dschafari, betonte am Freitag im UN-Sicherheitsrat erneut, dass die humanitäre Krise in Syrien nicht beendet werden könne, solange einige Staaten ihr Territorium »als sichere Häfen und Passagen für die Terroristen« zur Verfügung stellten.

De Mistura hatte am gleichen Tag die syrische Regierung und Gruppen der syrischen Opposition zu Unterredungen nach Genf eingeladen. Sie sollen am 4. Mai beginnen und könnten vier bis sechs Wochen dauern, teilte UN-Sprecher Ahmet Fawzi mit. Dabei sollen zunächst Einzelgespräche mit den verschiedenen Parteien geführt werden. Der »Islamische Staat« und die Nusra-Front, die international als Terrororganisationen gelistet werden, sind nicht eingeladen. An den Gesprächen sollen dagegen auch Vertreter des Irans teilnehmen. Der stellvertretende syrische Außenminister Feisal Mekdad erklärte, de Mistura müsse »alle regionalen und internationalen Akteure einbeziehen, die guten Willens sind und gegenüber dem syrischen Volk saubere Hände haben«. Die Regierung sei bereit, an jedem Treffen positiv mitzuwirken, das den Weg für eine politische Lösung in Syrien ebnen könne.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 28. April 2015


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