Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

UNO verstärkt Druck auf Syrien

Präsident Assad soll zum Mordfall Hariri persönlich vernommen werden

Von Karin Leukefeld

Das Interview des früheren syrischen Vizepräsidenten Khaddam schlägt weiter hohe Wellen. Der ehemalige syrische Militärgeheimdienstchef Ghasale weist die darin erhobenen Vorwürfe vehement zurück.

»Wenn meine Regierung von mir den Märtyrertod erwartet, bin ich bereit, und wenn sie meinen Rücktritt will, bin ich auch dazu bereit«, sagte der ehemalige Chef des Militärgeheimdienstes, Rustom Ghasale, gestern gegenüber dem Fernsehsender »Al Dschasira«. Ghasale soll in die Ermordung des früheren libanesischen Premier Rafik Hariri verwickelt gewesen sein. Der Militär bestritt gleichzeitig die Vorwürfe des ehemaligen Vizepräsidenten Syriens, Abdul-Halim Khaddam. Der hatte Ende vergangenen Jahres in ungewöhnlich deutlichen Worten die syrische Führung unter Präsident Baschar Assad der Korruption und der Verwicklung in die Morde im Nachbarland Libanon beschuldigt. Ghasale selbst soll laut Khaddam rund 30 Millionen Euro veruntreut haben.

Khaddam gehört zum Urgestein der syrischen Baath-Partei. 1932 geboren, war er seit den 1960er Jahren politischer Weggefährte von Hafis al-Assad. Im Laufe seiner 30-jährigen Parteikarriere wurde Khaddam zunächst Außenminister, bevor der Vater des heutigen Präsidenten ihn 1984 zu seinem Stellvertreter ernannte. Er gilt als Architekt der langjährigen syrischen Dominanz über Libanon, einer Mischung aus militärischer Präsenz und politischer Kontrolle.

Im Juni 2004 zog Khaddam sich von seinen Ämtern zurück und siedelte mit seiner Familie nach Paris über. In einem Interview hatte er damals noch Pläne für einen »Regimewechsel« in Syrien nach irakischem Vorbild abgelehnt. Das werde den Staat aus den Fugen bringen und diene nur den Interessen Israels und anderer »ausländischer Elemente«. Nun hat Khaddam seine Meinung offenbar geändert. Er bestätigte, dass der syrische Präsident Baschar al-Assad den libanesischen Expremier Hariri wenige Monate vor dessen Ermordung massiv bedroht habe. Seinen Glauben an notwendige Reformen in Syrien habe er verloren, so Khaddam im Fernsehen. Er äußerte sich »überzeugt, dass der Erneuerungsprozess und die Reformen, egal ob politisch, wirtschaftlich oder in der Verwaltung, nicht greifen«. Das syrische Regime sei historisch vergänglich, wie andere Regime auch.

Das Interview im vom saudischen Königshaus finanzierten Fernsehsender »Al Arabija« könnte bedeuten, dass die saudische Führung al-Assad ihre bisherige Unterstützung aufgekündigt hat. Politische Beobachter, wie der Politikwissenschaftler Nawaf Kabbara von der Balamand Universität in Beirut, analysieren außerdem einen Bruch innerhalb des syrischen Regimes. Khaddam habe mit Baschar Assad zwar politische Meinungsverschiedenheiten gehabt, sich ansonsten aber mit dem jungen Präsidenten gut verstanden. Offenbar habe er jedoch jeden Einfluss auf Assad verloren, der als Geisel seines machtbewussten Familienclans gesehen wird, in dessen Gefüge er sich kaum durchsetzen kann.

Die Äußerungen Halim Khaddams haben ihre Wirkung auf internationaler Ebene nicht verfehlt. Die UN0-Untersuchungskommission im Mordfall Hariri hat bereits die Befragung von Assad in Damaskus angekündigt und damit den Druck auf die syrische Führung weiter verschärft.

Warum Halim Khaddam sich nach seinem langen Schweigen zu diesem explosiven Interview entschieden hat, ist unklar. Möglich ist, dass er vom Ausland gestützt wird und für den Fall eines »Regimewechsels« als Alternative zu Assad aufgebaut werden soll. In Syrien werden solche Überlegungen kalt zurückgewiesen: »Wenn er davon träumt, nach Syrien auf einem USA-Panzer zurückzukehren, soll er wissen, dass ihn kein Syrer akzeptieren wird«, meinte ein Abgeordneter in Damaskus. Derweil liegen in Libanon nach einer Reihe von Bombenanschlägen die Nerven der Libanesen blank. Die Sicherheitslage in der Hauptstadt Beirut war zum Jahreswechsel äußerst angespannt. Innen- und Verteidigungsministerium hatten einen Notstandsplan erarbeitet, Polizei- und Militärkräfte waren verdoppelt worden.

Doch die einzige Bombe, die zum Jahreswechsel platzte, war das Interview von Khaddam. Es passte zu den Worten, mit denen der libanesische Parlamentsabgeordnete Walid Eido in einer Feierstunde zum Neujahrsbeginn an prominente Mordopfer des vergangenen Jahres eriinerte. Zu ihnen gehörten neben Expremier Hariri, die Journalisten Samir Kassir und Gibran Tueni, die Oppositionspolitiker George Hawi und Bassel Fleih.

Aus: Neues Deutschland, 4. Januar 2006


Zurück zur Syrien-Seite

Zurück zur Homepage