UNO verstärkt Druck auf Syrien
Präsident Assad soll zum Mordfall Hariri persönlich vernommen werden
Von Karin Leukefeld
Das Interview des früheren syrischen Vizepräsidenten Khaddam schlägt weiter hohe Wellen. Der
ehemalige syrische Militärgeheimdienstchef Ghasale weist die darin erhobenen Vorwürfe vehement
zurück.
»Wenn meine Regierung von mir den Märtyrertod erwartet, bin ich bereit, und wenn sie meinen
Rücktritt will, bin ich auch dazu bereit«, sagte der ehemalige Chef des Militärgeheimdienstes,
Rustom Ghasale, gestern gegenüber dem Fernsehsender »Al Dschasira«. Ghasale soll in die
Ermordung des früheren libanesischen Premier Rafik Hariri verwickelt gewesen sein. Der Militär
bestritt gleichzeitig die Vorwürfe des ehemaligen Vizepräsidenten Syriens, Abdul-Halim Khaddam.
Der hatte Ende vergangenen Jahres in ungewöhnlich deutlichen Worten die syrische Führung unter
Präsident Baschar Assad der Korruption und der Verwicklung in die Morde im Nachbarland Libanon
beschuldigt. Ghasale selbst soll laut Khaddam rund 30 Millionen Euro veruntreut haben.
Khaddam gehört zum Urgestein der syrischen Baath-Partei. 1932 geboren, war er seit den 1960er
Jahren politischer Weggefährte von Hafis al-Assad. Im Laufe seiner 30-jährigen Parteikarriere wurde
Khaddam zunächst Außenminister, bevor der Vater des heutigen Präsidenten ihn 1984 zu seinem
Stellvertreter ernannte. Er gilt als Architekt der langjährigen syrischen Dominanz über Libanon, einer
Mischung aus militärischer Präsenz und politischer Kontrolle.
Im Juni 2004 zog Khaddam sich von seinen Ämtern zurück und siedelte mit seiner Familie nach
Paris über. In einem Interview hatte er damals noch Pläne für einen »Regimewechsel« in Syrien
nach irakischem Vorbild abgelehnt. Das werde den Staat aus den Fugen bringen und diene nur den
Interessen Israels und anderer »ausländischer Elemente«. Nun hat Khaddam seine Meinung
offenbar geändert. Er bestätigte, dass der syrische Präsident Baschar al-Assad den libanesischen
Expremier Hariri wenige Monate vor dessen Ermordung massiv bedroht habe. Seinen Glauben an
notwendige Reformen in Syrien habe er verloren, so Khaddam im Fernsehen. Er äußerte sich
ȟberzeugt, dass der Erneuerungsprozess und die Reformen, egal ob politisch, wirtschaftlich oder in
der Verwaltung, nicht greifen«. Das syrische Regime sei historisch vergänglich, wie andere Regime
auch.
Das Interview im vom saudischen Königshaus finanzierten Fernsehsender »Al Arabija« könnte
bedeuten, dass die saudische Führung al-Assad ihre bisherige Unterstützung aufgekündigt hat.
Politische Beobachter, wie der Politikwissenschaftler Nawaf Kabbara von der Balamand Universität
in Beirut, analysieren außerdem einen Bruch innerhalb des syrischen Regimes. Khaddam habe mit
Baschar Assad zwar politische Meinungsverschiedenheiten gehabt, sich ansonsten aber mit dem
jungen Präsidenten gut verstanden. Offenbar habe er jedoch jeden Einfluss auf Assad verloren, der
als Geisel seines machtbewussten Familienclans gesehen wird, in dessen Gefüge er sich kaum
durchsetzen kann.
Die Äußerungen Halim Khaddams haben ihre Wirkung auf internationaler Ebene nicht verfehlt. Die
UN0-Untersuchungskommission im Mordfall Hariri hat bereits die Befragung von Assad in
Damaskus angekündigt und damit den Druck auf die syrische Führung weiter verschärft.
Warum Halim Khaddam sich nach seinem langen Schweigen zu diesem explosiven Interview
entschieden hat, ist unklar. Möglich ist, dass er vom Ausland gestützt wird und für den Fall eines
»Regimewechsels« als Alternative zu Assad aufgebaut werden soll. In Syrien werden solche
Überlegungen kalt zurückgewiesen: »Wenn er davon träumt, nach Syrien auf einem USA-Panzer
zurückzukehren, soll er wissen, dass ihn kein Syrer akzeptieren wird«, meinte ein Abgeordneter in
Damaskus. Derweil liegen in Libanon nach einer Reihe von Bombenanschlägen die Nerven der
Libanesen blank. Die Sicherheitslage in der Hauptstadt Beirut war zum Jahreswechsel äußerst
angespannt. Innen- und Verteidigungsministerium hatten einen Notstandsplan erarbeitet, Polizei-
und Militärkräfte waren verdoppelt worden.
Doch die einzige Bombe, die zum Jahreswechsel platzte, war das Interview von Khaddam. Es
passte zu den Worten, mit denen der libanesische Parlamentsabgeordnete Walid Eido in einer
Feierstunde zum Neujahrsbeginn an prominente Mordopfer des vergangenen Jahres eriinerte. Zu
ihnen gehörten neben Expremier Hariri, die Journalisten Samir Kassir und Gibran Tueni, die
Oppositionspolitiker George Hawi und Bassel Fleih.
Aus: Neues Deutschland, 4. Januar 2006
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