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Moskau verlässt sich auf Damaskus

"Der syrische Präsident Bashar al-Asad steht nicht allein in der Weltarena"

Im Folgenden dokumentieren wir eine Analyse der russischen Nachrichtenagentur RIA NOWOSTI zu den sich verschlechternden Beziehungen zwischen den USA und Syrien. Die Resolution 1636 (2005), die am 31. Oktober im UN-Sicherheitsrat angenommen wurde, wäre härter ausgefallen, wenn nicht Russland, China und andere Sicherheitsrats-Mitglieder ihren Text entschärft hätten. Dennoch fühlt sich Syrien ungerecht behandelt und von den imperialen westlichen Mächten bedroht. Die Presse in Syrien spricht von einer "israelisch-amerikanischen Verschwörung" gegen ihr Land. In Damaskus gab es am 1. November bereits die ersten Demonstrationen gegen die UN-Resolution.



Moskau verlässt sich auf Damaskus

Von Marianna Belenkaja, Moskau

Die russischen Diplomaten und ihre Kollegen aus China, Algerien, Indien, Brasilien und einigen anderen Staaten können wohl ihren Sieg feiern. Ihnen gelang es nämlich, die Annahme eines rechtlich unbegründeten Resolutionsentwurfs der USA, Frankreichs und Großbritanniens im UN-Sicherheitsrat zu verhindern.

Der Resolutionsentwurf sah Sanktionen gegen Syrien vor und drohte, einen neuen Konflikt im Nahen Osten zu provozieren. Nun ist die Gefahr vorläufig vorbei.

Allerdings kann es durchaus sein, dass das noch kein endgültiger Sieg ist. Denn Syrien ist nicht unbegründet mit der Resolution unzufrieden. Damaskus bekam einen Aufschub bis zum 15. Dezember. Dann geht das Tauziehen im Weltsicherheitsrat weiter.

Offen bleibt, ob Syrien seinen Befürwortern im UN-Sicherheitsrat kein Bein stellt. Auf der jüngsten Sitzung des Weltsicherheitsrats in New York übernahmen Russland und seine Partner im Grunde eine Bürgschaft für Syrien.

Vorläufig jedoch wurde laut dem russischen Außenminister Sergej Lawrow das Wichtigste erreicht: Die Resolution des UN-Sicherheitsrats Nummer 1636 konzentriert sich auf die Ermittlungen zum Mord am libanesischen Ex-Premier Rafik Hariri. Mit diesen hatte der Sicherheitsrat eine internationale Ermittlungskommission unter dem deutschen Ermittler Detlev Mehlis betraut. Es sei daran erinnert, dass laut einem vorläufigen Mehlis-Bericht syrische Geheimdienste in den Mordanschlag verwickelt sind.

Lawrow sagte, die Co-Autoren der Resolution hätten in genügendem Maße die Vorschläge Russlands und anderer Mitglieder des UN-Sicherheitsrats berücksichtigt, laut denen die Resolution nicht politisiert werden dürfe, nicht über den Rahmen der Ermittlungen hinausgehen, keine unbegründeten Drohungen enthalten und den universellen Grundsatz der Präsumtion der Unschuld nicht in Zweifel ziehen dürfe. Das ist zweifellos ein Erfolg für Moskau.

Russland und seinen Partnern gelang es, aus der Resolution Festlegungen streichen zu lassen, die keinen Bezug auf die Ermittlungen zum Hariri-Attentat hatten. Was für Festlegungen das waren, verriet US-Präsident George Bush in einem Interview für den arabischen Fernsehsender al-Arabia im Vorfeld der Tagung des UN-Sicherheitsrates. Bush forderte unter anderem, Damaskus "verstärkt unter Druck zu setzen", damit den Syrern klar wird, dass sie nicht weiter Terroristengruppen Unterschlupf gewähren können, die den Friedensprozess zwischen Israel und Palästina hintertreiben.

Außerdem sollten die Syrer auf jede Einmischung in die Angelegenheiten des Libanons verzichten und das Einschleusen von Kämpfern nach Irak stoppen, "die dort demokratisch gesinnte Menschen töten". Für den Fall, dass Syrien die Zusammenarbeit mit der Weltgemeinschaft ablehnt, wurden dem Land internationale Sanktionen in Aussicht gestellt. Doch die russischen Diplomaten und deren Kollegen blieben fest: "Syrien mit Sanktionen zu drohen ist kontraproduktiv." Dieser Weg führe in eine Sackgasse.

Die syrische Führung (ebenso wie die Staatsführung eines jeden beliebigen Landes) könne keine Zusammenarbeit eingehen, wenn sie an die Wand gerückt ist und von vorn herein für schuldig gehalten wird. Dank den Korrekturen, die Russland, China und Algerien durchgesetzt haben, wurde der Punkt über mögliche Sanktionen durch einen milderen ersetzt: Wenn Syrien bei der Ermittlung des Mordes nicht zusammenarbeitet, kann der Weltsicherheitsrat nötigenfalls andere Maßnahmen in Erwägung ziehen. Für Damaskus ist auch diese Formulierung weit vom Ideal entfernt, aber besser als die ursprüngliche Variante. Die Resolution sei zwar nicht vollkommen, aber mit ihr könne man schon etwas anfangen, äußerte der russische Außenminister Lawrow.

Die Differenzen zwischen den Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats, die bei den Debatten zum Vorschein kamen, dürfen nicht zum Anlass genommen werden, um die Forderung nach einer effektiven und gewissenhaften Zusammenarbeit aller Staaten mit der Kommission zu vernachlässigen, betonte Lawrow. "Das trifft insbesondere auf Syrien zu", sagte er. Die syrische Führung sei auf eine Zusammenarbeit eingestellt und müsse das nun durch Taten beweisen.

Die Diplomatensprache des russischen Ministers bedeutet im Grunde Folgendes: Jetzt ist es nicht angebracht, spektakuläre Erklärungen abzugeben. Wenn Syrien unschuldig ist, so müsse es sein Bestes tun, um alle anderen davon zu überzeugen. Jetzt ist es so, dass Washington, London und Paris vom Gegenteil überzeugt sind. Diesem Umstand muss Rechnung getragen werden, wie unangenehm er für Damaskus auch immer sein mag. Gegen einen Gegner muss man dessen eigene Methoden einsetzen und ihm die Trümpfe aus der Hand nehmen.

Lawrow versicherte, "Russland wird sich Mühe geben, dass Syrien seine Versprechung, mit der unabhängigen Kommission zusammenzuarbeiten, hält. Diesem Thema war das jüngste Telefongespräch des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit dem syrischen Amtskollegen Bashar al-Asad gewidmet". Zugleich werde Moskau nach Möglichkeit aufpassen, dass die Mehlis-Kommission bei der Untersuchung professionell und unparteiisch vorgeht. Doch alle Anstrengungen Moskaus, Pekings und der Arabischen Liga bringen nichts, wenn sich Syrien in politische Spiele einlässt.

Es sei in diesem Zusammenhang an eine Äußerung des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinejad erinnert: "Der Imam Khomeini hat gesagt: Das zionistische Regime muss von der Landkarte getilgt werden. Mit Gottes Hilfe wird es demnächst eine Welt ohne die USA und ohne Israel geben". Die Reaktion des russischen Spitzendiplomaten war eindeutig: Diese Äußerungen gaben denjenigen, die auf der Weiterleitung des iranischen Atomproblems an den UN-Sicherheitsrat beharren, zusätzliche Argumente in die Hand. Alle Anstrengungen Russlands gegen die Politisierung dieses Problems erwiesen sich als vergeblich. Teheran nutzte einfach Moskaus Vertrauen aus. Dabei werden Parallelen zum Irak deutlich: Saddam Hussein hatte bis zum letzten Moment mit dem UN-Sicherheitsrat gespielt, wobei Moskaus Bestrebungen, einen Krieg im Irak zu verhindern, gescheitert waren.

Deshalb muss Damaskus denkbar vorsichtig und weise handeln. Dem syrischen Präsidenten Bashar al-Asad stehen zweifelsohne harte Zeiten bevor. Aber vorläufig steht er nicht allein in der Weltarena. Er genießt bei der Mehrheit der Weltgemeinschaft Unterstützung. Man glaubt und vertraut ihm. Man verlässt sich auf ihn. Wenn er verliert, verlieren mit ihm viele, unter anderen auch Moskau.

Aus: RIA NOWOSTI, 1. November 2005; http://de.rian.ru


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