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Deutsche Lieferungen für Assads Giftgas-Brauereien?

Geplante zivile Verwendung von über hundert Tonnen Chemikalien wurde laut Bundeswirtschaftsministerium "plausibel dargestellt"

Von Richard Claus *

Sowohl die rot-grüne als auch die schwarz-rote Bundesregierung haben zwischen 2002 und 2006 den Export von Chemikalien an Syrien genehmigt, die zur Produktion von Sarin verwendet werden können.

Der Tod ist ein Meister aus Deutschland, heißt es in einer Zeile des deutschsprachigen rumänischen Lyrikers Paul Celan (1920 -1970). Seine jüdischen Eltern wurden von den Nazis ermordet, er als Arbeitssklave missbraucht. Bisweilen sieht man diesen Gedanken auf Plakaten bei Friedensdemonstrationen.

Gestern bestätigte die Bundesregierung abermals, wie richtig und wichtig die Mahnung ist, die zugleich eine Warnung sein sollte. In der Antwort auf eine Anfrage des Linksabgeordneten Jan van Aken wird bestätigt, dass sowohl die von SPD und Grünen gestellte Regierung in den Jahren 2002 und 2003 sowie die Große Koalition 2005 und 2006 Ausfuhrgenehmigungen für Chemikalien erteilt haben, aus denen der Kampfstoff Sarin hergestellt werden kann. Dieses Giftgas wurde bereits mehrmals im syrischen Bürgerkrieg eingesetzt; am 21. August haben bislang noch nicht eindeutig identifizierbare Verbrecher bei Damaskus damit bis zu 1400 Menschen umgebracht.

Van Aken, der einiges gewöhnt ist in Sachen bundesdeutscher Rüstungsexporte – Leopard-Panzer, Heckler+Koch-Sturmgewehre –, war »vom Donner gerührt«, als er die Antwort der Regierung in Händen hielt. »Ich wollte meinen Augen nicht trauen, als ich las, dass Deutschland über hundert Tonnen Chemikalien an Syrien geliefert hat, mit deren Hilfe man Sarin produzieren kann«, sagte der Abgeordnete im nd-Gespräch. Die Genehmigung sei, so das Wirtschaftsministerium »nach sorgfältiger Prüfung aller eventuellen Risiken, einschließlich von Missbrauch- und Umleitungsgefahren, im Hinblick auf mögliche Verwendungen im Zusammenhang mit Chemiewaffen« erteilt worden. Es geht insbesondere um den Export von Fluorwasserstoff (Wert: 141 563 Euro) und Ammoniumhydrogendifluorid (Wert: 18 549 Euro). Derartige Geschäfte mit sogenannten Dual-use-Gütern, die sowohl zivil wie militärisch verwendet werden können, bergen immer Risiken. Doch gerade im Falle Syriens, von dem man wusste, dass es ein C-Waffen-Programm betreibt und sich der internationalen Kontrolle entzieht, ist die Handlungsweise kritikwürdig. »Nach der Logik der Regierung kann man morgen schon heimlich Uran nach Nordkorea verkaufen, um sich dann öffentlich über den Atombombenbau von Kim Jong Un zu ereifern«, sagt van Aken.

Deutschland ist bereits mehrmals als Beihelfer zur C-Waffenproduktion aufgefallen. So war man dem irakischen Diktator Saddam Hussein gefällig. Die Imhausen-Chemie und Siemens planten und lieferten für die libysche C-Waffen-Fabrik in Rabita, wo die Gifte Lost, Soman und Sarin gebraut werden sollten. Eines der wesentlichen Ziele des Bundesnachrichtendienstes und des Verfassungsschutzes ist die Verhinderung sogenannter Proliferation. Man darf gespannt sein, wie die Dienste ihr Versagen im aktuellen Fall erklären.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 19. September 2013


Rätselhaftes und Erwiesenes

Wer beging den Massenmord in Syrien – Assad, die Rebellen, die Hisbollah? Für eine Anklage braucht es mehr Fakten

Von René Heilig **


»Dieses Ergebnis lässt uns in tiefster Sorge«, schreiben die UN-Chemiewaffen-Inspekteure in dem am Montag veröffentlichten Bericht. Noch immer ist vieles unklar, vor allem die Verantwortung für das Verbrechen.

War es Sarin?

Ohne Zweifel! Der chemische Kampfstoff ist geschmacklos, unsichtbar, geruchlos. Ein Milligramm reicht als letale Dosis. Wer mit ihm in Berührung kommt, verfällt in Kurzatmigkeit, spürt Angst, zittert, es folgen Erbrechen, Krämpfe, Bewusstlosigkeit – und der Tod. Die Toten sind Beweismittel. Aber es gibt auch Überlebende. 34 wurden untersucht, bei 29 entdeckte die Experten Sarin beziehungsweise Abbauprodukte des Giftes im Blut.

Wie gelangte das Gift in die Wohngebiete?

Als Transporteur des Massenmordes wurden Artillerieraketen verwendet. In Moadamiyah konnte die Art nicht eindeutig identifiziert werden. Keine der von den UN-Leuten in diesem Gebiet entnommenen Umweltproben oder die Tests an aufgefundenen Raketenteilen bestätigten beweissicher Sarin-Inhalte. Zudem widersprechen sich die Ergebnisse der beiden von der UNO mit Analysen beauftragten Labore. Eines entdeckte in keiner Moadamiyah-Probe Sarin, das andere fand in einer Bodenprobe sowie an einem Metallstück Abbauprodukte von Sarin.

Was wurde verschossen?

Auf einer Terrasse eines Wohnhauses fand man einen Raketenmotor. Kaliber 140 mm. Darauf waren kyrillische Buchstaben eingeprägt. Es handelt sich offenbar um ein Geschoss für einen sowjetischen Mehrfachraketenwerfer BM-14-17. Der Typ wurde in den 1950 und 1960er Jahren des vergangenen Jahrhunderts massenweise gebaut und in alle Welt exportiert. Es gibt zahlreiche legale und illegale Nachbauten. Syrien hat, so sagen russische Experten, derartige Waffensysteme nur bis zum Jahr 1969 erhalten. Offenbar auch mit Kampfstoff gefüllte Geschosse. Doch deren Haltbarkeit sei längst überschritten. Zudem habe man die Waffensysteme vor Zeiten ausgemustert.

Auf Seite 23 des UN-Berichtes zum Raketenfund in Moamadiyah gibt es einen Hinweis darauf, dass für die ursprünglich russischen Raketen »improvisierte« Sprengköpfe verwendet worden sein könnten. Noch komplizierter werden die Fragen zum Angriff auf Zamalka, wo der Einsatz von Sarin eindeutig bewiesen ist. Auch dort fand man Reste des »Kampfstofftransporters«.

Wer baute die »UMLACAs«?

Diese Raketen geben Rätsel auf. Der Raketenmotor hat einem Triebwerksdurchmesser von 120 mm. Auf dem vorderen Teil sitzt – gleich einem Fass – der Sarin-Sprengkopf mit einem 360 mm Durchmesser. Fassungsvermögen 50 bis 56 Liter Kampfstoff – ein massenmörderischer Mix. Das Sarin ist flüssig, beim Einschlag des Gefechtskopfes verdampft es. Insgesamt seien bis zu 350 Liter eingesetzt worden.

Sowohl an Metallstücken, in Erdkrumen, aber auch durch Wischproben im Inneren des Sprengkopfes wurden Sarin-Abbauprodukte festgestellt. In beiden Labors. An einigen Teilen fand man sogar reines Sarin. Umso rätselhafter sind Videos, beispielsweise im Brown-Moses-Blog, in denen zu sehen ist, wie offenkundig Rebellen so einen Sprengkopf zerlegen und entleeren – ohne Schutzbekleidung.

Mit 310 mm Durchmesser geben die UN-Experten auch den Durchmesser des ungewöhnlichen mit einem Führungsring versehenen Leitwerks an. Derartige Raketen sind auf dem weithin als Quelle akzeptierten Internet-Blog beim Start zu sehen.

Wie werden sie verschossen?

Diese »UMLACA«-Raketen sind nicht gerade truppentauglich konstruiert. Sie entstammen keiner bekannten Serie, sondern deuten eher auf eine »Manufakturherstellung« hin. Es gibt Überlegungen wonach die syrische Armee eiligst solche Billigraketen für Milizgruppen produziert hat. Dennoch, sie haben ein ungewöhnliches Kaliber, sind mit Sicherheit nicht flugstabil und haben eine relativ geringe Reichweite. Interessant – und unbeantwortet – ist die Frage, wie sie verschossen werden. Welches Startgerät kommt infrage? Einige Experten verweisen auf ein zum Beispiel in Russland, China oder Iran vorhandenes 330-mm-Abschuss-System. Doch wenn die UN-Angaben stimmen, passen die Maße nicht.

Das Startgerät muss zudem recht groß sein. Der Abschuss muss also aufgeklärt worden sein – durch Satelliten, durch US-Drohnen oder durch die israelischen Radarstationen auf den Golanhöhen. Gerade Israel kann weit ins Nachbarland schauen und wacht sorgsam, dass es nicht durch einen plötzlichen Raketenstart überrascht werden kann. Doch noch ist nichts aus Geheimdienstkreisen nach außen gedrungen.

Für zwei Raketen haben die UN-Inspektoren eine mögliche Flugbahn errechnet. Einer der Moamadiyah-Flugkörper scheint aus nordöstlicher Richtung gekommen zu sein, eine Zamalka-Rakete aus nordwestlicher Richtung. Doch die Berechnungen scheitern an der unbekannten Reichweite der Waffen. Der ehemalige UN-Waffeninspekteur und heutige Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion Jan van Aken hat recht, wenn er moniert, dass mögliche Peilpunkte der Flugbahn über zehn Kilometer von den Einschlagsorten entfernt liegen. Diese Werte liegen eindeutig außerhalb der Reichweite sowjetischer M14-Raketen.

Wer verschoss die Raketen?

Auf die Kernfrage der Täterschaft gibt es bislang keine belastbare Antwort. Viel spricht für die Skrupellosigkeit syrischer Armeekommandeure – ob sie nun unter Befehl oder auf eigene Faust gehandelt haben. Doch auch Rebelleneinheiten oder Überläufer sind nicht so weit von entsprechenden Fähigkeiten entfernt, wie manche glauben machen möchten.

Und dann kämpfen ja auf Assads Seite noch zahlreiche Hisbollah-Truppen. Sie »besorgen« zumeist den brutalen Häuserkampf, profitieren also zuerst von der Fähigkeit, urbane Gebiete durch Kampfstoffe zu »entvölkern«. Sie haben – wie Israel bitter erfahren hat – einige Erfahrungen im »Raketenbasteln«. War die BND-Information, dass man von den Giftgasangriffen durch einen Hisbollah-Kommandeur erfahren hat, der mit der iranischen Botschaft telefonierte, ein geschickter Fingerzeig? Falls irgendetwas an der Theorie dran ist, fragt sich: Woher hat die Hisbollah das Sarin? Die handfeste Sorge, dass Kampfstoffe durch die Welt vagabundieren, besteht seit den Kriegen in Irak und Libyen.

Es ist an der Zeit, dass die USA, Russland, aber auch Anrainerstaaten ihre Erkenntnisse auf den Tisch legen, damit die Massenmörder und ihre Hintermänner vor den Internationalen Gerichtshof gestellt und verurteilt werden können.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 19. September 2013


Merkel auf Kriegskurs

Bundesregierung will »robustes UN-Mandat«. Substanzen für Chemiewaffen aus Deutschland ***

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die syrische Regierung für den Chemiewaffeneinsatz bei Damaskus verantwortlich gemacht. »Die Indizien (sprechen) klar dafür, daß das Assad-Regime hinter dem Waffeneinsatz steht«, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in Berlin und setzte sich für eine »robuste« Resolution des UN-Sicherheitsrates gegen das Land ein. »Auch die Androhung von Konsequenzen sollte darin enthalten sein«, sagte er. Seibert ließ offen, was damit konkret gemeint ist.

Der russische Vizeaußenminister Sergej Rjabkow erklärte unterdessen am Mittwoch am Rande eines Besuchs beim syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad in Damaskus, die Behörden des arabischen Ländes hätten der russischen Seite neue Beweise dafür übergeben, daß Regimegegner für den Giftgaseinsatz verantwortlich seien. Diese seien »belastbar«, so Rjabkow, und würden nun ausgewertet. Zudem erklärte der russische Minister, die syrische Seite sei in vollem Umfang bereit, Informationen über ihr Arsenal an die in Den Haag ansässige Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) zu übermitteln.

Der Bundestagsabgeordnete Jan van Aken (Linke) warf den rot-grünen und schwarz-roten Kabinetten von Gerhard Schröder und Angela Merkel unterdessen vor, sie hätten Ausfuhrgenehmigungen für Chemikalien nach Syrien erteilt, die unmittelbar für die Herstellung von Sarin benötigt würden. »Allein zwischen 2002 und 2006 haben die damaligen Bundesregierungen die Lieferung von 111 Tonnen sensibler Chemikalien genehmigt«, kritisierte van Aken. »Mitten hinein in ein Land, von dem damals schon alle Welt wußte, daß es ein riesiges Chemiewaffenprogramm betreibt.« Das Bundeswirtschaftsministerium hatte zuvor bestätigt, daß in dem fraglichen Zeitraum der Export von mehreren Tonnen Fluorwasserstoff, Natriumfluorid und Ammoniumhydrogenfluorid im Wert von gut 170000 Euro nach Syrien gebilligt worden sei.

*** Aus: junge Welt, Donnerstag, 19. September 2013


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