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Syrien, Iran, die USA und der Frieden

Von Bernhard Trautvetter *

Schon wieder schlittert die Menschheit am Rande des Abgrunds zu einem Krieg, der das Potential hat, außer Kontrolle zu geraten und weltweite Ausmaße anzunehmen. Gerade jetzt käme es im hochexplosiven Nahen und Mittleren Osten darauf an, eine Politik zu betreiben, die deeskalierend und auf nichtmilitärische Lösungen ausgerichtet ist. Hat uns nicht das letzte Jahrhundert gelehrt, dass Kriege nicht im Frieden enden und dass Siegen blind macht? Schauen wir uns nur einmal die folgenden Spotlights auf das Pulverfass Iran aus dem letzten halben Jahrzehnt bis heute an:

2007 schrieb der Spiegel:
„USA gegen Iran – Planspiele für den nächsten Krieg Immer schärfer werden die Vorwürfe der US-Regierung gegen Iran. Die Golfstaaten verschreckt die drohende Eskalation. Sie trauen weder den Amerikanern noch den Machthabern in Teheran.“ (13.2.2007)

Danach wurde Obama Präsident und der Friedensnobelpreis an ihn erwies sich bald schon als voreilig überreichte Hoffnungsdividende. 2010 berichtetete schließlich der Focus: „US-Senator droht mit Krieg – Die Münchner Sicherheitskonferenz wird seit ihrem Beginn am Freitag vom Streit über das iranische Atomprogramm beherrscht. Erstmals drohte am Samstagabend ein US-Spitzenpolitiker dem Iran mit Krieg. Der langjährige demokratische und heute parteiunabhängige Senator Joe Lieberman sagte, die Welt müsse sich entscheiden, ob sie den Iran zum Einlenken bewegen wolle. „Wir müssen uns entscheiden: Entweder für harte Wirtschaftssanktionen, damit die Diplomatie funktioniert, oder wir stehen vor militärischem Eingreifen“, sagte Lieberman.“ (Focus Online 7.2.2010)

Anfang Dezember 2011 war im Spiegel zu lesen:
„Klar ist wohl: Israel, inoffizieller Atomwaffenstaat, wird nicht vor einem Präventivschlag zurückschrecken, um Iran von nuklearer Bewaffnung abzuhalten. Die Sorge der USA: Israel könnte auf eigene Faust handeln und seine Partner nicht vor einem Militärschlag kontaktieren. Der Nachrichtenagentur Reuters antwortete US-Generalstabschef Martin Dempsey auf die Frage, ob Israel die USA zeitig genug vor einem Angriff informieren würde: ‚Ich weiß es nicht.‘ ... Gleichzeitig müssten ... ‚alle Optionen auf dem Tisch bleiben‘.“ (01.12.2011)

Derweil treibt der Iran sein Verwirrspiel um seine Rüstungsprogramme weiter. Er berichtet über Raketentests, droht mit der Sperrung der Straße von Hormuz und die USA antworten postwendend, die Marine werde „für einen freien Schiffsverkehr in der Region sorgen und die strategisch wichtige Straße von Hormuz passieren“ (news.at/articles/1201/12/315620//3.1.2012). Der Iran kann mit seinen außenpolitischen Drohgebärden von innenpolitischen Spannungen ablenken, der Westen nutzt die Spannungen auch für seine Rüstungsindustrie.

Es geht zum einen natürlich um den Ölhahn der westlichen Welt. Durch die Straße von Hormuz werden täglich 17 Mio. Barrel Öl transsportiert (wirtschaftsblatt.at, 7.1.2012). Es geht aber auch um den Weltwaffenhandel, der Öldollar im Visier hat: Deutsche bauen in Saudi-Arabien eine Fabrik für Sturmgewehre (focus 11.8.11) und die USA haben soeben ebenfalls mit den Saudis einen 30 Mrd.- $-Deal abgeschlossen, der 84 F-15-Kampfjets mit einschließt. Das Spiel mit dem Feuer am Rande eines nuklearen Infernos spielen die USA und damit die NATO schon lange im Afghanistankrieg, der schon längst auf das Gebiet der Atommacht Pakistan übergegriffen hat. Neunundneuzig Tage kann man Wasser täglich um ein Grad erhitzen, ohne dass der Deckel auf dem Pott explodiert. Ich frage mich, wann kommt der hundertste Tag und was kommt dann?

Das Schaffen einer atomwaffenfreien Zone ist durch die Verhandlungen über den Atom-waffensperrvertrag auf der Agenda der Weltpolitik (un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol= NPT/CONF.2010). Diese Agenda wird nicht in erster Linie durch Irans Säbelrasseln gefährdet, sondern von Seiten der NATO/USA sowie von Israel selbst, das bekanntlich bereits über Atomwaffen verfügt – ohne es offiziell zuzugeben – und nicht bereit ist, über ihre Atomwaffen auch nur zu sprechen. Würden die Staaten des UN-Sicherheitsrates Frieden sichern wollen, dann wäre schon alleine mit dem Versuch der konkreten Umsetzung einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten ein beachtlicher Schritt zu mehr internationaler Sicherheit getan.

Doch finden 2012 in den USA, in Frankreich und im Iran Präsidentschaftswahl statt. Hard-liner auf allen Seiten erhoffen sich von der Unnachgiebigkeit Vorteile beim Stimmenfang. Diplomatische Kräfte werden seit der Eskalation der militärischen Logik in der Folge der Kriege im Balkan, am Golf und in Libyen schnell als Weicheier an den Rand gedrängt. Passend dazu ein Zitat von Netanjahu: „Wenn jemand dich umbringen will, töte ihn zuerst."(Spiegel, ebd.)

Der Iran-Konflikt brodelt vor dem Hintergrund der „Arabellion“, in deren Verlauf die NATO die Resolution Nr. 1973 des Weltsicherheitsrates, die Maßnahmen zum Schutz der Zivil-bevölkerung Libyens forderte, brach und für einen ‚Regime-Change‘ missbrauchte. Element der entsprechenden Strategie war, dass man Verhandlungsinitiativen der Afrikanischen Union (tagesschau 9.4.11) ablehnte, da sie mit der Regierung Gadaffis hätten stattfinden müssen. ‚Rebellen‘-Angaben sprachen am 30.8.11 (orf.at) von 50 000 Toten, was alleine an-gesichts der berichteten über 20 000 Luftwaffeneinsätze sogar noch eine Verharmlosung darstellen könnte. Die Sherif-Mentalität mit dem „Recht des Stärkeren“ gefährdet die empfindliche Weltarchitektur der Zeit nach dem Ende des Kalten Krieges. Jeder Eingriff kann dem gleich kommen, was geschieht, wenn man mit einer Handbewegung ein Mobile im Kinderzimmer durcheinander wirbelt.

In diesem Zusammenhang sind die Unruhen und die Gewalt in Syrien ein weiterer Anlass zu höchster Sorge. Syrien grenzt an den nach dem zweiten Golfkrieg komplett destabilisierten Irak und an Israel/Palästina sowie an den ebenfalls wenig stabilen Libanon. Zudem berichtet die Berliner Morgenpost vom 5.1.12, dass Gelder für Assads Gewaltregime aus Ägypten, dem Iran und dem Irak geflossen seien. Diese Staaten haben kein Interesse daran, dass Syrien im Chaos versinkt und erhoffen sich möglicherweise, dies mit Finanzspritzen für das autoritäre Regime verhindern zu können. Die Opposition Syriens ist zwischen Exil und inneren Kräften sehr heterogen zusammengesetzt und einem ständigen Wandel unterworfen. Westliche Geheimdienste versuchen genauso Einfluss zu gewinnen wie Israel auf der einen, Iran und die Türkei auf der anderen Seite.

Die Vize-Außenminister von Indien, Brasilien und Südafrika forderten Assad bei einem Treffen in Damaskus nach eigenen Angaben zu einem „sofortigen Ende der Gewalt“ auf. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon ließ verlautbaren, Assad habe jeden Sinn für Menschlichkeit verloren. Es gibt Berichte über Panzer, die in Hochburgen der Opposition um sich schießen. Überläufer aus der Armee sind ebenso bewaffnet, wie andere Kräfte der „Freien Syrischen Armee“. Das ist ein Hexenkessel. Die Forderung nach einer Intervention des Westens findet bei den oppositionellen Aktivisten kaum Widerhall, sie würde auch Assad in die Hände spielen und ihm die Möglichkeit geben, die Gegner als Marionetten des Auslands darzustellen. Das Chaos wäre perfekt. Eine halbwegs sichere Strategie der Befriedung wird mit jedem weiteren Tag immer unerreichbarer. In diesem Gemisch gibt es auf Seiten der westlichen Linken und der Friedensbewegung eine entsprechend große Unsicherheit hinsichtlich der richtigen Strategie, die eher an eine Zerrissenheit erinnert, und zwar nicht einmal nur zwischen verschiedenen Flügeln, sondern teils schon innerhalb einer einzigen Person. Damit meine ich nicht nur mich, sondern z.B. auch Karin Leukefeld, die als westliche Journalistin das Privileg hat, Syrien bereisen zu können:

So sagt sie etwa im weltnetz-tv (4.12.11), das Regime sei nicht wirklich an Reformen interessiert, erste Reformansätze seien durch die Kriege in der Region gestoppt worden, jeder neue Gewaltausbruch gegen die Opposition schwäche Assad. Auf der anderen Seite entlastet sie Assad, wenn sie das Scheitern seiner Reformansätze auf Faktoren außerhalb seiner Gewalt – wie die Kriege in der Region – zurückführt. Sie deutet in ihrem Interview mit weltnetz-tv zwar an, dass die Familie Assad die Fäden in der Hand hat, geht aber nicht darauf ein, dass dieses Demokratiedefizit mit dem Scheitern der Reformansätze etwas zu tun haben könnte.

Eine Analyse der Prozesse muss die Widersprüche beim Namen nennen und darf sie weder verniedlichen, noch mit Abwälzungen auf andere Kräfte (in)direkt entschuldigen.

Zur erwähnten Zerrisssenheit, gehört auch ein Interview Karin Leukefelds mit dem von 1984 bis 1991 verhafteten Schriftsteller Louay Hussein, der seit vielen Jahren zu den politischen Gegnern der Assads gehört. Im Frühsommer 2011 zählte „Hussein zu den Organisatoren der ersten Oppositionskonferenz in Syrien. Anfang Oktober war er Mitbegründer der Gruppe „Aufbau des syrischen Staates“. Sie versteht sich als nationale Opposition, lehnt bewaffnete Aktionen aber ab.

***** *

Hier ein Auszug aus dem Interview:

Wie würden Sie die Lage der Opposition in Syrien beschreiben?

Historisch war die Opposition in Syrien nie in einer guten Situation, daher ist es heute schwierig, in den Protesten gegen das Regime die Führung zu übernehmen. Es ist aber wichtig, dass neue Gruppen entstehen, die künftig eine solche Führungsrolle einnehmen können. Die Proteste auf den Straßen sind bis heute ohne Führung, doch ich bin überzeugt, dass diese Bewegung auch eine eigene politische Führung hervorbringen wird.

Hat Ihre Gruppe Kontakt zur Protestbewegung?

Anfangs hatten wir guten Kontakt, doch weil viele Aktivisten der ersten Stunde inhaftiert wurden, ist der vielerorts verloren gegangen. Die Protestbewegung hat sich sehr verändert. Die Menschen, die in den ersten drei Monaten auf den Straßen waren, waren anders als die, die heute protestieren. Anfangs wurden politische Forderungen formuliert und Werte vermittelt. Die Demonstranten forderten Respekt, Gleichberechtigung, gesellschaftliche und persönliche Freiheit. Als die Gewalt begann und viele Menschen getötet wurden, tauchten andere Leute auf den Straßen auf, sie reagierten und wollten Rache nehmen. Ich befürchte, dass die heutige Bewegung Forderungen stellt, die ihnen selbst und Syrien schaden.

Was meinen Sie?

Zum Beispiel die Forderung nach einer Pufferzone an der Grenze zur Türkei, nach einer Flugverbotszone wie im Falle Libyens oder nach dem Tod des Präsidenten.

Halten Sie einen Dialog mit der Regierung noch für möglich?

Es gibt eine Möglichkeit für Dialog - vorausgesetzt, das Regime ist bereit dazu. Leider sieht man auf der Regierungsseite einen Dialog mehr als Meinungsaustausch. Ein verantwortlicher Dialog muss aber zu einem politischen Wandel führen.

Was ist heute die größte Gefahr für Syrien?

Ein Bürgerkrieg. Es gibt deutliche Anzeichen dafür.

Sie sind pessimistisch?

Nein, ich sehe mir nur die Wirklichkeit an. Wir werden aber alles tun, um Syrien davor zu bewahren.“
(nd-online 26.11.11)

*****

Eine gewisse Hoffnung lag auf der Beobachterkommission der Arabischen Liga, die die Lage an der Jahreswende 2011/12 befrieden wollte, wie es hieß. Sie unternahm das aber mit umstrittenen Kräften wie einem hochrangigen Militär aus dem Sudan namens al Dabi, der selbst in Kriegsverbrechen verstrickt gewesen sein soll (http://derstandard.at/1324501473247/Arabische-Liga-in-Syrien-Beobachter-al-Dabi-in-Kriegsverbrechen-involviert).

Nach neuen Gewaltexzessen warf die Arabische Liga der Regierung in Damaskus nun vor, es tue zu wenig gegen die Gewalt im Land. Diese Kritik untertreibt und zeigt die Hilflosigkeit der Arabischen Liga. „Unterdessen hat die Arabische Liga ‚Fehler‘ bei ihrer Beobachtermission in Syrien eingeräumt und die Vereinten Nationen um ‚technische Hilfe‘ gebeten.“ (nd-online 6.1.12) In der Tat wird es eine Entwirrung der Knäuel ohne die Kooperation aller an einer Befriedung interessierten Kräfte kaum geben. Damit zähle ich aber nicht die NATO. Vielmehr gehören dazu – trotz allem – die Arabische Liga, die Vereinten Nationen und die Kräfte in Syrien selbst, die an der Gestaltung des politischen Gemeinwesens und der Entwicklung der Gesellschaft interessiert sind. Eine Zukunft hat das Land und hat die Nahost-Region nur, wenn sie den Weg der friedlichen Konfliktlösung gehen.

Es bedarf auch eines Druckes auf die Bundesregierung, umgehend die arabische Liga dahin zu drängen, dass sie z.B. Besuche von medico international ermöglicht, Ärzte und Verletzte in Krankenhäusern Syriens durchführen zu können. Patienten mit Schussverletzungen sind wiederholt direkt aus Krankenhäusern verschwunden und irgendwo in Gefängnissen verblieben. Hier eine Liste von ebensolcher Verfolgung betroffener Ärzte:
www.medico.de/media/in-syrien-seit-august-2011-inhaftierte-aerzte.pdf
Die Beendigung dieses Zustandes ist im Sinne der Menschenrechte und des Völkerrechts ein erster Schritt, dem weitere logisch folgen müssen.

* Bernhard Trautvetter ist Mitglied des Sprecherkreises des Essener Friedensforums.


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