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Tauziehen um Syrien

Die Arabische Liga will die Beobachtungsmission aussetzen *

»Überrascht und mit Bedauern« hat das Außenministerium hier in Damaskus auf die Entscheidung des Generalsekretärs der Arabischen Liga reagiert, die Beobachtermission vorerst auszusetzen. Offensichtlich habe der Bericht der Mission »einigen Ländern in der Liga nicht gefallen, weil darin die Anwesenheit bewaffneter Gruppen dokumentiert ist, die die Zivilbevölkerung, die Armee und staatliche Sicherheitskräfte ebenso angreifen, wie öffentliche und private Einrichtungen sowie Gas- und Ölpipelines«, zitierte die syrische Nachrichtenagentur SANA eine »offizielle Quelle« aus dem Außenministerium. Syrien sei weiter entschlossen, mit der Beobachtermission zusammenzuarbeiten, um den mit der Arabischen Liga vereinbarten Plan umzusetzen und jede Gewalt zu beenden, egal von welcher Seite.

Erst eine Woche zuvor hatte das Außenministertreffen der Arabischen Liga die Mission ihrer Beobachter in Syrien um einen weiteren Monat verlängert, nachdem der Leiter der Mission dem Gremium den ersten Bericht vorgelegt hatte. Kurz nach der Entscheidung erklärten Saudi-Arabien und die anderen Staaten des Golfkooperationsrates jedoch, sie würden ihre Beobachter abziehen. Syriens Präsident Baschar al-Assad wurde aufgefordert, seine Macht an einen Stellvertreter zu übergeben und in drei Monaten freie Wahlen abzuhalten. Katar und der Generalsekretär der Arabischen Liga, Nabil al-Arabi, beantragten dafür die Unterstützung des UN-Sicherheitsrates.

Der russische UNO-Botschafter Witali Tschurkin erklärte hingegen, der Text werde von Russland nicht mitgetragen, weil es die Forderung nach einem »Regimewechsel« ablehnt. Der Sicherheitsrat solle sich »nicht zum Werkzeug machen, um Ländern bestimmte Lösungen aufzuzwingen.« Russlands Außenminister Sergej Lawrow bezeichnete am Sonntag (29. Jan.) die Äußerungen westlicher Länder, die Beobachtermission der Arabischen Liga sei nutzlos, als »unverantwortlich«.

Die Entscheidung der Arabischen Liga, die Beobachtermission auszusetzen, stärke »die Hardliner auf beiden Seiten«, sagte George Jabbour, der Vorsitzende der Syrischen UNO-Gesellschaft auf nd-Anfrage. Ein Damaszener, der namentlich nicht genannt werden möchte sagte mir, Russland und andere europäische Staaten könnten eine Garantie für einen Dialog in Syrien und die Umsetzung von dessen Ergebnissen übernehmen. »Lieber zwei Jahre warten, als eine schwarze Zukunft vor sich zu haben.«

* Aus: neues deutschland, 30. Januar 2012


Eskalation nach Abzug

Von Karin Leukefeld, Damaskus **

Die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppen in Syrien haben am Wochenende erneut viele Tote gefordert. Die Armee hatte am Donnerstag (26. Jan.) eine Offensive in den von Aufständischen kontrollierten Teilen der Stadt Homs gestartet. Die Kämpfe hielten das ganze Wochenende an. Gefechte und Explosionen wurden auch aus verschiedenen Vororten der syrischen Hauptstadt Damaskus gemeldet. Aus Kreisen syrischer Oppositioneller hieß es, daß bis zu 200 Menschen getötet worden seien. Überprüfen lassen sich die Angaben nicht. Die staatliche syrische Nachrichtenagentur SANA berichtete am Sonntag wiederum von Dutzenden getöteten Soldaten und Sicherheitskräften. Im Osten des Landes wurde bei Deir Ezzor eine Ölpipeline gesprengt.

Die Berichte von Aufständischen, sie hätten in Homs fünf iranische Militärs festgenommen, die »unter dem Kommando der Geheimdienste der Luftwaffe« stünden, waren vom syrischen Elektrizitätsminister Imad Khamis bereits am Samstag (28. Jan.) zurückgewiesen worden. Die gezeigten Männer seien Ingenieure der iranischen ­MAPNA-Gruppe, die in Syrien im Energiesektor arbeite. Sie seien mit zwei weiteren Mitarbeitern Ende 2011 in Jandar entführt worden, wo ­MAPNA ein Elektrizitätswerk betreibe. Die Regierung bemühe sich seit Wochen vergeblich um ihre Freilassung.

Beobachter führen die Militäroffensive der syrischen Armee darauf zurück, daß sich die Zahl der Anschläge bewaffneter Gruppen in den vergangenen Wochen deutlich erhöht hat. Der im Aktionsplan der Arabischen Liga vorgesehene Rückzug der Armee aus Wohngebieten habe nicht zum Abzug der bewaffneten Gruppen geführt, konstatierte Syriens Außenminister Walid Mouallem in der vergangenen Woche in Damaskus. Die Angriffe hätten sich vielmehr verdreifacht. Die britische BBC traf in Douma und Sheba, Vororten der Hauptstadt, mit bewaffneten Kämpfern zusammen, die angaben, der »Freien Syrischen Armee« anzugehören. Die Armee, so BBC-Korrespondent Jeremy Bowen, sei in den Zentren dieser Orte nicht zu sehen gewesen.

Die Arabischen Liga erklärte am Samstag (28. Jan.), ihre erst vor einer Woche verlängerte Beobachtermission in Syrien auszusetzen. Die syrische Regierung zeigte sich »überrascht« und bedauerte die Entscheidung. Rußland verurteilte sie, da die Beobachter ein »nützliches Instrument« seien. Die Entscheidung der Liga und die neuen Forderungen aus dem UN-Sicherheitsrat stärkten »die Hardliner auf beiden Seiten«, kritisierte der Historiker und frühere syrische Präsidentenberater George Jabbour gegenüber junge Welt in Damaskus. Am Freitag hatte das 15köpfige UN-Gremium hinter verschlossenen Türen über einen weiteren Resolutionsentwurf beraten, der von den europäischen Ratsmitgliedern in Zusammenarbeit mit der Arabischen Liga vorgelegt worden war. Alle Staaten werden darin aufgefordert, Wirtschaftssanktionen gegen die syrische Führung zu verhängen. Präsident Baschar Al-Assad solle seine Macht an einen Stellvertreter abgeben, eine Regierung der nationalen Einheit bilden und Neuwahlen einleiten.

Der russische UN-Botschafter Witali Tschurkin erklärte, sein Land könne dem neuen Entwurf nicht zustimmen, »weil er die Position Moskaus nicht berücksichtigt«. Rußland lehnt Sanktionen, ein Waffenembargo, die Forderung nach einem »Regimewechsel« und jede militärische Einmischung in Syrien ab. Moskau macht die syrische Führung wie Teile der Opposition für die Gewalt verantwortlich. China, Südafrika, Brasilien und Indien teilen diese Auffassung und werben ebenfalls für einen Dialog.

** Aus: junge Welt, 30. Januar 2012


Beobachtung unerwünscht

Von Roland Etzel ***

Die Arabische Liga habe die Geduld mit Syrien verloren und werde ihre Beobachter vermutlich abziehen, lautete die schmallippige Erklärung aus dem Kairoer Hauptquartier der Organisation. Freimütiger war die syrische Exilopposition. Sie feierte das Ende der Mission, weil sich ihre Vermutung - wie die Deutschlands und anderer westlicher Staaten - bestätigte: Mit neutraler Beobachtung lässt sich die erwünschte Dämonisierung der syrischen Führung nicht bewerkstelligen.

Der schleichende Bürgerkrieg in Syrien läuft in einer Grauzone ab, in der die tatsächlichen Geschehnisse schwer erkennbar sind; damit auch die Frage, wer mehr Interesse haben könnte, dass das so bleibt: Assad oder seine Gegner. Letztere waren von Anfang an gegen die Mission, beklagten abwechselnd, die Beobachter kämen aus Diktaturen, seien zu unerfahren, sympathisierten mit dem Regime oder würden von ihm massiv behindert. Der Westen mochte die Beobachter vor allem deswegen nicht, weil er keinen direkten Zugriff auf die arabischen Offiziere hat. Assads syrische Gegner sahen in ihnen ein Element, dass eine bewaffnete Intervention des Auslands in Libyen nur unnötig verzögert, wenn nicht gar verhindert.

Die Dominatoren der Liga, die Monarchen vom Persischen Golf, sind wahrlich keine Freunde Assads. Sie hatten deshalb auch nicht vor, ihm mit den Beobachtern zu helfen. Aber sie wollten die Regie in Sachen Regimewechsel in Syrien nicht völlig dem Westen überlassen.

*** Aus: neues deutschland, 30. Januar 2012 (Kommentar)


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