Sweida - eine syrische Friedensinsel?
Nur scheinbar hat der Krieg die Stadt im Süden bisher verschont
Von Karin Leukefeld, Damaskus *
Sweida, ganz im Süden Syriens gelegen,
ist von Unruhen bisher verschont
geblieben. Doch Folgen des anhaltenden
Bürgerkriegs sind auch dort
nicht zu übersehen.
»Taxi, Madame? Taxi to Amman,
Beirut?« Gut ein Dutzend Fahrer
warten vor dem Sumariya-Busbahnhof
in Damaskus. Hartnäckig
bieten sie ihre Dienste an, versuchen
die einzige Ausländerin weit
und breit mit Freundlichkeiten und
Scherzen zu ködern. Sie haben
kaum noch Arbeit, seit Touristen
Syrien meiden. Zuletzt haben sie
syrische Familien befördert, die
bei Verwandten in Jordanien oder
Libanon Zuflucht vor den Kämpfen
in ihrer Heimat suchen.
Vom Sumariya-Busbahnhof
fahren Taxis und Busse nach Libanon,
Jordanien und in den Süden
Syriens.
Normalerweise
geht es dort zu
wie in einem
Taubenschlag.
Fahrzeuge
kommen, andere
fahren ab,
Kleinhändler
bieten Süßigkeiten,
Getränke
und kleine Geschenke
an, die
Reisende für ihre
Lieben mitnehmen
können. Kinder schreien,
Mütter zetern, Männer schleppen
Taschen und Koffer hinterdrein.
An diesem Augustmorgen aber
ist es ruhig. Die Händler sind an
einer Hand abzuzählen, die großen
Überlandbusse fehlen gänzlich auf
dem Parkplatz, nur weiße Minibusse
warten auf Fahrgäste.
Zu fünft im Bus nach Jaramana
Die Schalterhalle liegt verwaist.
Nur zwei der vielen Schalter sind
geöffnet, einer gehört zum Busunternehmen
TARIQ, das stündlich
von Sumariya über Jaramana nach
Sweida fährt. »Haben Sie Freunde
in Sweida?«, fragt der junge Mann
verwundert, als er die Fahrkarte
für 100 Syrische Pfund, umgerechnet
etwa 1,20 Euro, für die
rund 80 Kilometer lange Strecke in
die südliche Provinz Syriens ausstellt.
»Herzlich willkommen, ich
wünschen Ihnen eine gute Zeit in
Sweida!« Ein 50-Sitze-Bus des
Unternehmens ist inzwischen eingetroffen,
wenige Minuten später
startet er mit nur fünf Fahrgästen
in Richtung Jaramana.
Die Fahrt geht über die südliche
Ringstraße von Damaskus, Richtung
Südosten. Nördlich und südlich
der Ringstraße, auch als Hafez-
Assad-Straße bekannt, kam es
seit Mitte Juli immer wieder zu
heftigen Kämpfen zwischen bewaffneten
Aufständischen und regulären
Streitkräften. Mehrmals
wurden Militärbusse angegriffen,
wiederholt wurde die Straße gesperrt.
An diesem Morgen aber
wirkt alles ruhig.
Bauern gehen auf den Feldern
ihrer Arbeit nach, Kinder tragen
große Mengen Brot nach Hause,
andere treiben Ziegen und Schafe
vor sich her. Der Verkehr ist chaotisch
wie eh und je. Nach etwa 15
Minuten biegt der Bus von der Autobahn
nach Jaramana ab, einer
südöstlich von Damaskus liegenden
Trabantenstadt, die in den
vergangenen
20 Jahren auf
mehrere Hunderttausend
Einwohner angewachsen
ist.
Jaramana ist
bisher von
Kämpfen verschont
geblieben,
was vermutlich
an der
multireligiösen
und multiethnischen
Zusammensetzung
der Bevölkerung
liegt. Christen, Drusen, Alawiten
und städtisch orientierte Sunniten
haben kein Interesse an bewaffneten
Gruppen in ihrem Ort.
Die Armee und örtliche Volkskomitees
teilen sich die Kontrolle
von Fahrzeugen, die in den Ort
fahren und die ihn verlassen.
Während das Militär an wichtigen
Kreuzungen außerhalb der Stadt
stationiert ist, wird die Kontrolle
im Ort meist von Volkskomitees
vorgenommen. Oppositionelle beschimpfen
die Männer im Internet
und auf Facebook als »Schabiha«,
womit irreguläre Milizen des syrischen
Regimes gemeint sind. Doch
ein Mann, der sich selbst an den
Wachen beteiligt, erklärt mir, die
Volkskomitees seien zunächst eine
Nachbarschaftsinitiative gewesen,
inzwischen erhielten die Männer
ein kleines Salär.
Auf dem Busbahnhof in Jaramana
steigen weitere Fahrgäste
zu, nach zehn Minuten geht es
weiter. Ein junger Mann serviert
Wasser und Süßigkeiten. Später
wird ein Fernseher angeschaltet,
der die Passagiere mit einem
Spielfilm und anschließend mit einem
Kabarettstück unterhält.
Thema: die Medien und eine Sitzung
der Arabischen Liga.
Jedes Mal, wenn auf der Gegenfahrbahn
ein Militärfahrzeug
oder ein Konvoi vorbeikommt,
winkt der Busfahrer hinüber.
Zweimal wird der Bus gestoppt.
Einmal werden die Passagierlisten
kontrolliert, beim zweiten Mal geht
ein Soldat durch den Bus, um die
Ausweise der männlichen Passagiere
zu kontrollieren. Frauen
bleiben, wie bei allen Kontrollen,
die ich in Syrien erlebt habe, unbehelligt.
Bevor der Soldat mit der
Kontrolle beginnt, bleibt er abseits
von seinen Kollegen kurz stehen,
als wolle er sich besinnen. Dann
holt er tief Luft und steigt in den
Bus: Jede Kontrolle ist heute mit
Unsicherheit verbunden.
Die Trauergesellschaft am Straßenrand
»Sweida – frei vom Analphabetentum
«, steht auf einem großen
Transparent, das am Stadtrand
quer über die Straße gespannt ist.
Die Provinz Sweida ist nur indirekt
von den Unruhen betroffen, die
Syrien seit März 2011 erschüttern.
In der mehrheitlich von Drusen
und Christen bewohnten Provinzhauptstadt
und den umliegenden
Dörfern geht das Leben auf den
ersten Blick seinen gewohnten
Gang. Doch kaum hat der Bus die
Stadtgrenze passiert, ist am Straßenrand
eine Trauergesellschaft
zu sehen. Einige Männer halten
Bilder des Verstorbenen – ein junger
Mann in Uniform – empor und
recken sie den Fahrgästen im Bus
entgegen, der kurz zum Stehen
kommt. Die Leute von Sweida haben
schon viele Soldaten und Offiziere
zu Grabe getragen.
Opposition gibt es auch, ist zu
erfahren. Doch nach einem ersten
harten Durchgreifen der Sicherheitskräfte
im März 2011 treffe die
sich nur noch privat und diskutiere,
berichtet die Teilnehmerin eines
örtlichen Diskussionszirkels.
Auch jenseits von Debatten und
täglichen Beisetzungen sind die
Folgen des innersyrischen Konflikts
unübersehbar. Auf privaten
Grundstücken und in Kirchen leben
Vertriebene aus der Nachbarprovinz
Deraa. »Wir helfen allen,
die in Not geraten sind«, sagt Tarik
H., der in einem alten Haus und in
einer renovierten Scheune eine
vierzigköpfige Großfamilie beherbergt.
Auch in Kharba, einem Ort
nahe der Provinzgrenze zwischen
Sweida und Deraa, sind Vertriebene
untergebracht. In drei von
vier Kirchen leben Dutzende Familien.
Fotografieren sei strikt
verboten, sagt einer der Männer,
aber sprechen könne man mit den
Frauen und Kindern.
Umm Abdo, wie eine der Frauen
sich vorstellt, die »Mutter Abdos
«, lebt schon seit zwei Monaten
mit ihrer Familie in einer der Kirchen.
Sie ist voll Zorn, Angst und
Misstrauen. Drei Wochen habe sie
im Keller verbracht, während Geschosse
über ihr Haus hin- und
herflogen, erzählt sie. »Die Kinder
wachen oft im Schlaf auf und weinen
vor Angst.« Sie hoffe, nach
dem Ende des Fastenmonats Ramadan
zurückkehren zu können.
»Mitte September beginnt die
Schule wieder«, sagt die Frau angespannt.
»Ich will doch nur, dass
die Kinder wieder ihren gewohnten
Alltag erleben können.«
Ein bisschen davon ist zu spüren,
als die Kleinen, die sich um
Umm Abdo drängen, ein Lied anstimmen:
»Lauf Pferdchen lauf,
spring über Stock und Stein, lauf
Pferdchen lauf.«
Umm Abdo fühlt sich nur
noch in der Kirche sicher
Plötzlich verstummen sie, Umm
Abdo sieht unsicher zu einem
Mann hinüber, der sich schimpfend
einen Weg durch die Menschengruppe
bahnt. »Wer ist das
überhaupt? Wer weiß, ob die nicht
vom Geheimdienst sind und euch
ausfragen und schließlich hier
wegschleppen wollen«, ruft er
zornig und stößt die Frauen beiseite.
Ein anderer sucht ihn zu beruhigen.
Das sei doch nur für die
Presse in Deutschland, versucht er
zu erklären – ohne Erfolg. Es sei
besser, das Interview abzubrechen,
bedeutet ein Begleiter. »Lass
uns hier weggehen, die Männer
sind sehr nervös.«
Der Pfarrer der Kirche, ein Iraker,
sei vor zwei Tagen nach Irak
ausgewiesen worden, erklärt ein
Gemeindehelfer später beim Gespräch
im Pfarrhaus. Auch wenn
die Menschen weiter mit Nahrung,
Strom, Wasser und gesundheitlich
versorgt würden, fühlten sie sich
ohne den Geistlichen schutzlos.
»Wir sind alle Muslime«, erklärt
Umm Abdo, die es sich nicht
hat nehmen lassen, das Gespräch
in sicherer Entfernung von den
aufgebrachten Männern fortzusetzen.
Sie streicht einige Haare
unter ihr Kopftuch, knetet ein Taschentuch
in den Händen und fügt
hinzu: »Unsere Heimat war immer
so sicher und ruhig! Heute haben
wir nur noch die Kirchen, wo wir
uns sicher fühlen.«
* Aus: neues deutschland, Freitag, 31. August 2012
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