Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Debatten über Strategien für Syrien

Schlagabtausch zwischen Befürwortern und Gegnern einer militärischen Einmischung

Von Karin Leukefeld *

Nach Libyen ist längst auch Syrien ins Blickfeld von Polittechnologen in den USA – und nicht nur dort – geraten. Die Debatte darüber, ob der Westen auch dort militärisch eingreifen sollte, läuft bereits auf vollen Touren.

Joshua Landis, Professor an der Universität von Oklahoma und Leiter des Zentrums für Studien des Mittleren Ostens, ist einer der aufmerksamsten und umsichtigsten US-amerikanischen Beobachter der Entwicklungen in Syrien. Auf seinem Blog Syria Comment (www.syriacomment.com) veröffentlicht Landis Aussagen und Beobachtungen, die es ermöglichen, sich unabhängig von der medialen Meinungsmache über Syrien zu informieren.

Vor wenigen Tagen würdigte Landis eine Debatte in den USA, in der sich Befürworter und Gegner eines militärischen Eingreifens in Syrien einen medialen Schlagabtausch liefern. Zu den Befürwortern gehören demnach neokonservative Politiker wie der frühere US-amerikanische UNOBotschafter John Bolton, der ehemalige Direktor des Nationalen Sicherheitsrates Michael Doran und Elliott Abrams, der durch seine Verwicklung in die Iran-Contra-Affäre (1986) unter Präsident Ronald Reagan sowie in Menschenrechtsverletzungen in El Salvador und Nicaragua bekannt wurde.

Der Sturz des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad und seines Regimes ist ihrer Ansicht nach ein »lebensnotwendiges strategisches Ziel« in der Region, analysiert Joshua Landis. Es gehe ihnen darum, »Freunden zu helfen und dem Feind zu schaden«. Israel und Saudi Arabien seien die wichtigsten Freunde der USA in der Region, also gelte es, sie zu stärken. Syrien, Iran, die Hisbollah und die Hamas müssten dagegen zerstört werden. Schließlich gehe es im Nahen und Mittleren Osten um einen »Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Freiheit und Tyrannei«.

Ziel der Neokonservativen sei es, die syrische Opposition zu bewaffnen und »für eine umfassende militärische Option« auszubilden. Dafür sei die Unterstützung der USA und der NATO gefragt. Nach ihren Vorstellungen wird die Verwirklichung dieser Strategie durch Wirtschaftssanktionen eingeleitet. »Wenn die Syrer anfangen zu hungern, wird das moralische Argument für Intervention und militärische Eskalation auf fruchtbaren Boden fallen«, schlussfolgert Landis und verweist auf Irak als Vorbild. Für das Leid der ärmsten Syrer werde man das syrische Regime verantwortlich machen, und um dieses Leid zu beenden, werde die öffentliche Meinung schließlich einer militärischen Intervention zustimmen.

Eine weniger radikale Haltung nehmen die sogenannten Realisten ein, die für »Nichteinmischung« plädieren. Anthony Cordesman vom Zentrum für Strategische und Internationale Studien geht davon aus, dass weder die USA noch ihre Verbündeten große militärische Möglichkeiten in Syrien hätten. Cordesman sieht keinen Aufstand, den man unterstützen könnte, zudem habe Syrien »anders als Libyen« einen Militärapparat, mit dem man rechnen müsse.

Die »Realisten« warnen vor einem Bürgerkrieg, zumal Präsident Assad noch Unterstützung im Land genieße. Sollten sich die USA einmischen, werde es teuer und es sei auch mehr als fraglich, ob eine solche Einmischung »im Interesse der USA« sei. Man solle sich nicht zu eng an Israel und Saudi- Arabien binden, meinen die »Realisten«, auch sei es nicht ratsam, sich in einen Religionskrieg in der Region verstricken zu lassen.

Die syrische Opposition – insbesondere im Exil – zeigt sich derweil weiter zerstritten. Denjenigen, die das System zerschlagen wollen, stehen diejenigen gegenüber, die zwecks friedlichen Übergangs zu einem demokratischen System einen Dialog mit dem Regime befürworten. Die erste Gruppe, die in westlichen Medien ungleich mehr Aufmerksamkeit findet, schließt sich zunehmend den Ideen der Neokonservativen an. Der in den USA lebende syrische oppositionelle Menschenrechtsaktivist Radwan Ziadeh meint, der Erfolg der Rebellen in Libyen lasse auch in Syrien den Ruf nach Bewaffnung der Opposition lauter werden.

Landis betrachtet auch die Haltung der EU-Regierungen. Sollten sie Handelssanktionen gegen Syrien verhängen, meint er, dürfe man getrost davon ausgehen, dass auch in Europa ein militärisches Engagement akzeptiert werde, »um die humanitären Probleme zu lösen, die durch die Sanktionen erzeugt werden«. Auch wenn die Europäer möglicherweise keine Bodentruppen entsenden wollten, könnten sie einer Flugverbotszone zustimmen und einen »ordentlichen syrischen Aufstand« bewaffnen und ausbilden, wie in Libyen.

Zu bedenken gibt Landis allerdings, dass die syrische Armee stärker ist als die in Libyen. Außerdem habe Syrien – anders als Libyen – keine großen Vermögen auf westlichen Banken liegen, die man für die Finanzierung der Opposition ausgeben könnte.

* Aus: Neues Deutschland, 1. September 2011


Zurück zur Syrien-Seite

Zurück zur Homepage