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Tödliche Gewalt in Syrien

Wahlbeteiligung soll bei über 50 Prozent gelegen haben

Von Karin Leukefeld *

An den syrischen Parlamentswahlen vom 7. Mai haben 51,26 Prozent der Wahlberechtigten teilgenommen. Das teilte am Dienstagvormittag der Leiter der Wahlkommission, Richter Khalaf al-Azzawi, mit.

Die aus fünf Richtern bestehende Kommission hatte die Aufsicht über die Wahlen, an denen erstmals auch sieben neu gegründete Parteien teilnehmen konnten. Viele Oppositionsgruppen jedoch boykottierten den Urnengang. Sie gehen von einer Wahlbeteiligung von maximal 20 Prozent aus. Laut Politikern in Damaskus sollen die Baath-Partei von Präsident Baschar al-Assad und ihre Verbündeten 200 der 250 Mandate errungen haben. Insgesamt mussten die Wahlen in 16 Zentren (in Hasake und im Umland von Damaskus) wegen Verstößen gegen das neue Wahlgesetz wiederholt werden.

Die UN-Beobachtermission in Syrien wird derweil weiter aufgestockt. Nach letzten Meldungen sind inzwischen 186 zivile und militärische Beobachter im Land. Bis Ende Mai sollen es 300 sein. Ausländische Diplomaten und Oppositionelle sagten in Damaskus gegenüber »nd«, dass für den langfristigen Erfolg der Mission eine Verlängerung und personelle Aufstockung unabdingbar sei.

Die EU-Außenminister verschärften erneut Sanktionen gegen Syrien; andererseits unterstützt die EU die UN-Mission logistisch mit technischem Gerät und gepanzerten Fahrzeugen. Deutsche Medien hatten berichtet, dass sich die Bundesrepublik mit bis zu zehn Soldaten beteiligen könnte. Auf eine nd-Nachfrage beim Auswärtigen Amt lag gestern bis Redaktionsschluss keine Antwort vor.

Unterdessen gehen die Kämpfe in Syrien weiter. Bewaffnete Aufständische sollen in Rastan, in der Provinz Idlib, 23 Soldaten der regulären syrischen Streitkräfte getötet und 15 festgenommen haben. Die Nachrichtenagentur SANA berichtete vom Mord an Abdelaziz al-Hafl und einem seiner Söhne in der Erdölregion Deir Ezzor im Osten Syriens. Der einflussreiche Stammesführer hatte sich geweigert, dem Druck von Aufständischen nachzugeben, sie gegen die Regierung zu unterstützen. Die »Al-Nusra-Front zum Schutz der Levante« hat ihre Verantwortung für den jüngsten schweren Anschlag in Damaskus bestritten. Das Bekennervideo sei »gefälscht«, hieß es in einer Erklärung am Dienstag. Die im Ausland operierende Opposition hatte die syrische Regierung beschuldigt, den Anschlag selber verübt zu haben. 55 Menschen waren getötet worden.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 16. Mai 2012

Dokumentiert: Wie die US-Regierung die Wahlen in Syrien beurteilt

Es bedarf keiner besonderen Erwähnung, dass die Wahlen in Syrien im Westen von Anbeginn als Farce betrachtet wurden. Interessant ist immerhin der Aspekt, dass die Wahl deshalb für "rechtswidrig" gehalten wurde, weil sie zu einem Zeitpunkt abgehalten wurde, "während die Gewalt im Land andauerte". Würde man dieses Kriterium etwa in Afghanistan gelten lassen oder in Irak, so hätte es dort - unter Kriegsbedingungen! - nie und nimmer Wahlen geben dürfen. Sie wurden dort aber auf Drängen und mit Unterstützung der USA wiederholt durchgeführt und als Beweis für die Festigung der Demokratie in diesen Ländern gewertet.

Im Folgenden dokumentieren wir einen Artikel von Stephen Kaufman, Autor des Büros für internationale Informationsprogramme, in dem er die Erklärung der Sprecherin des US-Außenministeriums, Victoria Nuland, zu den Wahlen in Syrien vom 15. Mai 2012 zusammenfasst. Die Übersetzung haben wir dem Amerika Dienst zu verdanken.


USA verurteilen "lächerliche" Wahlen in Syrien

Von Stephen Kaufman

Die Sprecherin des US-Außenministeriums, Victoria Nuland, bezeichnete die Parlamentswahlen in Syrien am 7. Mai als „rechtswidriges Verfahren” zum schlechtesten Zeitpunkt, während die Gewalt im Land andauerte. Die Vereinigten Staaten sähen die Wahlen weder als frei, gerecht und transparent noch als repräsentativ für den Willen der Syrerinnen und Syrer an.

„Wir finden es ziemlich lächerlich, inmitten dieser Art von Gewalt, fehlender Übereinstimmung und Einigkeit die wir in Syrien momentan sehen, Wahlen abhalten zu wollen. Wir halten also nicht viel von diesen Wahlen”, sagte Nuland am 15. Mai vor Journalisten.

Schätzungen der Vereinten Nationen zufolge sind seit Beginn der pro-demokratischen Demonstrationen gegen das Regime von Baschar al-Assad im März 2011 fast 9.000 Menschen ums Leben gekommen.

Die Vereinigten Staaten sind laut Nuland „zutiefst besorgt über die eskalierende Gewalt und die zunehmende Spaltung des Landes“ sowie die Weigerung des Assad-Regimes, einen politischen Übergang zuzulassen wie im Friedensplan des UN-Sondergesandten Kofi Annan dargelegt. Der Plan sieht einen „von Syrien geleiteten politischen Prozess vor, der die Hoffnungen und Anliegen der Syrerinnen und Syrer aufgreift“ und fordert ein Ende der Gewalt, die Freilassung politischer Gefangener, das Recht, friedlich zu demonstrieren sowie freien Zugang für humanitäre Hilfe und Journalisten zum ganzen Land.

Das Regime Assad hat bisher keinen Teil des Annan-Plans erfüllt. „Nicht nur schießt das Regime noch immer auf das eigene Volk, nicht nur hat es seine schweren Waffen nicht abgezogen, sondern es hat auch ein Klima geschaffen, in dem Gewalt durch andere Unruhestifter zunehmend an der Tagesordnung ist”, sagte Nuland in Bezug auf die jüngsten Angriffe auf syrische Sicherheitskräfte.

Nuland erklärte, der oppositionelle syrische Nationalrat habe sich von den gewalttätigen Angriffen und Explosionen außerhalb von Damaskus und an anderen Orten distanziert, und andere Gruppen hätten Verantwortung für die Gewalt übernommen.

Sie fügte hinzu, dass es schon lange die Befürchtung gäbe, „je länger Assad selbst Gewalt ausübt und ein Klima der Gewalt zulässt und fördert, desto mehr Menschen, denen es nicht um die Interessen Syriens gehe, werden die Situation ausnutzen. Das erleben wir bereits“.

Sie bezeichnete die Angriffe auf UN-Beobachter im Land außerdem als „beklagenswert".

Die Beobachter „sind unbewaffnet vor Ort und versuchen zunächst, das Assad-Regime und alle Akteure in Syrien zu einem Waffenstillstand zu bewegen. Auf sie zu schießen ist ein Angriff auf die Zukunft der Syrer“, sagte Nuland.

Aktuell befinden sich etwa 250 UN-Beobachter in Syrien. Nuland stellte fest, dass man dort, wo sie präsent sind, „ein Ende der Gewalt und die Wiederaufnahme friedlicher Demonstrationen beobachtet; Menschen reden wieder miteinander und sprechen über einen Übergang.“

„Aber wenn die Beobachter gehen, kommt die Gewalt zurück. Wir sind also weiter besorgt darüber, dass es immer noch ein Regime gibt, dass seinen Verpflichtungen nicht nachkommt”, erklärt Nuland.

Um Druck auf das Assad-Regime auszuüben, die Gewalt zu beenden und einen friedlichen Übergang zu ermöglichen, haben die Vereinigten Staaten, die Arabische Liga und die Europäische Union Sanktionen erlassen, die „schwerwiegende“ Auswirkungen auf die syrische Wirtschaft hatten, Assad gezwungen haben, „mehr als die Hälfte seiner Reserven aufzubrauchen“ und die syrische Währung abstürzen ließ, so Nuland.

Die Vereinigten Staaten hoffen, dass die Sanktionen die „Denkweise“ derjenigen in der syrischen Politik und Wirtschaft „beeinflussen“ werde, die Assad immer noch unterstützen und die „einsehen müssen, dass es für sie, ihre Familien und ihr Land keine Zukunft gibt, wenn sie weiter an diesem Mann und denjenigen im Militär festhalten, die seinen Schießbefehl ausführen”, erklärte Nuland.

Zugleich, so fügte sie hinzu, desertierten mehr Soldaten aus den Sicherheitskräften des Regimes und mehr Syrer verließen mit ihren Familien und ihrem Vermögen das Land.

* Originaltext: U.S. Condemns “Ridiculous” Syrian Elections Held Amid Violence; siehe: http://iipdigital.usembassy.gov/st/english/article/2012/05/201205155698.html#axzz1v1GcVqka

Herausgeber: US-Botschaft Berlin, Abteilung für öffentliche Angelegenheiten; http://blogs.usembassy.gov/amerikadienst/





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