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Moskau mahnt

Experten zur Zerstörung von Chemiewaffen nehmen in Syrien Arbeit auf. Rußland warnt vor Provokationen der Aufständischen

Von Rüdiger Göbel *

Die Vernichtung der Giftgasbestände in Syrien soll zügig beginnen. Experten der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) werden am heutigen Dienstag in Damaskus erwartet. Schätzungen zufolge verfügt Syrien über rund 1000 Tonnen chemischer Kampfstoffe. Die sollen laut Resolution 2118 des UN-Sicherheitsrates bis Mitte kommenden Jahres allesamt zerstört sein. Syriens Präsident Baschar Al-Assad bekräftigte in einem Interview mit dem italienischen Nachrichtensender Rai News 24 seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit. »Wir machen das nicht wegen der UN-Resolution, sondern weil es unser Wille ist.« Der Staatschef verwies vor dem Hintergrund des seit mehr als zwei Jahren andauernden Krieges in seinem Land gleichzeitig auf »technische Probleme«. Wenn die Aufständischen Hindernisse in den Weg legten, könne es für das OPCW-Team schwierig werden, bestimmte Einrichtungen zu erreichen.

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Der russische Außenminister Sergej Lawrow mahnte diesbezüglich den Westen und die Golfstaaten, auf die von ihnen abhängigen Regierungsgegner in Syrien einzuwirken. »Man sollte ihnen ein Signal senden, daß sie den Prozeß nicht unterminieren dürfen«, so der Moskauer Chefdiplomat in der Tageszeitung Kommersant. Sein Land besitze Hinweise, daß die Aufständischen Provokationen und möglicherweise den Einsatz von Giftgas planen. Gleichzeitig räumte Lawrow ein, die westlichen Staaten sowie Saudi-Arabien und Katar hätten nicht auf alle bewaffneten Gruppierungen Einfluß, die heute in Syrien kämpfen. »Dort bestehen Terroristengruppen, die sich niemandem außer der Al-Qaida unterordnen. Da gibt es wohl keine Kontakte über normale Kanäle. Aber die Oppositionellen, die sich von Außenakteuren beeinflussen lassen, müssen erziehbar sein«, erklärte der Minister laut Ria Nowosti weiter. Und Lawrow bekundete, Rußlands Strategie, von Beginn auf Verhandlungen zu setzen, habe sich als richtig erwiesen. »Wer objektiv auf die Lage schaut, wird wahrscheinlich zum Schluß kommen, daß wir uns auf der ’richtigen Seite der Geschichte’ befinden.«

Im Interview mit Rai News 24 bekräftigte Assad auch die Bereitschaft seiner Regierung zur Teilnahme an internationalen Friedensgesprächen im November in Genf. Der Präsident machte dabei deutlich, wer für die Unterstützung der bewaffneten Aufständischen und damit die Fortdauer der Kampfhandlungen die Hauptverantwortung trägt. »Wenn die USA teilnehmen, sind sie der Hauptgesprächspartner – alle anderen sind Accessoires«, so Assad mit Blick auf Saudi-Arabien, Katar, Kuwait und die Türkei. Auch die meisten europäischen Staaten hätten nicht die Fähigkeit, eine effiziente Rolle zu spielen.

Auf seiten der Regierungsgegner finden derweil Umgruppierungen statt. Wie die Nachrichtenagentur dpa meldete, haben sich mehr als 40 Gruppen unter das Kommando des salafistischen Rebellenführers Sahran Allusch begeben. Sie kämpfen fortan als »Armee des Islam«. Das gehe aus der Videoaufzeichnung von einem Treffen der Anführer der verschiedenen Brigaden hervor. Wo der Kriegsratschlag stattfand, blieb unklar. Allusch (43) war bislang Kommandeur der Gruppe »Liwa Al-Islam«, die im Osten der Hauptstadt mehrere Kleinstädte und Dörfer terrorisiert. Damit verlieren das vom Westen hofierte, im türkischen Istanbul residierende Bündnis »Nationale Syrische Koalition« und die »Freie Syrische Armee« weiter an Bedeutung.

Wie die Agentur Xinhua meldete, wurde am Montag die chinesische Botschaft in Damaskus von Aufständischen mit Granaten beschossen. Durch die Explosionen wurden Fenster eingedrückt und die Schutzwand um die Botschaft beschädigt. Ein Mitarbeiter erlitt leichte Verletzungen. In der vergangenen Woche war die diplomatische Vertretung Moskaus attackiert worden.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 1. Oktober 2013


Auf dem Weg

Von Olaf Standke **

In Beirut sind die rund 20 Experten der Organisation für ein Verbot von Chemiewaffen (OPCW) auf ihrem Weg nach Syrien gestern schon eingetroffen, in einem von der Bundesregierung gecharterten Flugzeug. Von dort sollte es dann über Land weitergehen nach Damaskus. In der nächsten Woche wird eine zweite Gruppe folgen. Erstes Ziel der dann knapp 100 Spezialisten: Einrichtungen des Assad-Regimes für die Produktion sowie das Mischen und Füllen von C-Waffen und Munition zu zerstören. Noch im vergangenen Jahr wurde nach jüngsten Erkenntnissen aus Deutschland chemiewaffentaugliches Material nach Syrien geliefert. Ein Grund mehr, dass Berlin die geplante Kontrolle und Zerstörung der syrischen Giftgase und ihrer Komponenten logistisch und finanziell unterstützen will.

Laut OPCW-Schätzungen verfügt Damaskus über rund 1000 Tonnen Kampfstoffe. Bis Mitte 2014 soll Syrien nach einem Beschluss des UN-Sicherheitsrates nun endlich frei sein von diesen Massenvernichtungswaffen – ohnehin eine schwierige Aufgabe, unter den Bedingungen des gnadenlosen bewaffneten Konflikts im Lande aber besonders kompliziert. Umso wichtiger ist es jetzt, dass die Regierung wie die aufständischen Regierungsgegner gemeinsam gewährleisten, dass die UN-Experten freien und sicheren Zugang zu den fristgemäß gemeldeten Lager- und Produktionsstätten erhalten. Vielleicht sogar als Anfang einer umfassenden Waffenruhe.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 1. Oktober 2013 (Kommentar)


Hollande setzte Bombenangriffe auf Syrien im letzten Moment aus

Frankreich war in der Nacht zum 1. September kurz davor, Syrien anzugreifen. Der Militärschlag wurde im letzten Moment – nach einem Anruf aus Washington – ausgesetzt, wie die Zeitung Nouvel Observateur berichtet.

Die Vorbereitungen auf einen Militärschlag hatten am Morgen des 31. August begonnen, nachdem das Weiße Haus angekündigte hatte, dass Präsident Obama am Abend seinen französischen Amtskollegen Francois Hollande wegen einer wichtigen Angelegenheit anrufen werde, so das Blatt unter Berufung auf Quellen im Élysée-Palast. Weil Hollande glaubte, Obama wolle mit ihm dem Beginn eines Eingreifens in Syrien koordinieren, habe der französische Staatschef den Militärrat einberufen und sei schon bereit gewesen, den Angriff zu befehlen.

Wäre der Befehl ergangen, wären Rafale-Bomber um 03:00 Uhr am 1. September Angriffe auf syrische Raketenbatterien und angeblich für C-Waffen zuständige Kommandozentren geflogen.

Doch musste Hollande zum „Rückzug“ blasen, nachdem Obama in dem Telefonat überraschend einen Aufschub der Intervention und eine Debatte im Kongress angekündigt hatte. Zwei Wochen später vereinbarten Russland und die USA einen Plan zur international kontrollierten Vernichtung der syrischen Chemiewaffen.

In Syrien dauern seit März 2011 Kämpfe zwischen Armee und bewaffneten Regierungsgegnern an. Laut UN-Angaben sind bei den Gefechten bereits bis zu 100.000 Menschen, darunter 7.000 Kinder, getötet worden. Die Opposition, aber auch westliche Staaten wollen Assad zum Rücktritt zwingen. Nach Darstellung der syrischen Regierung kämpft die Armee gegen aus dem Ausland unterstützte Terroristen. Die Kriegsgegner beschuldigen sich gegenseitig, chemische Waffen einzusetzen. Nach der Kampfstoffattacke am 21. August drohten die USA der syrischen Regierung mit militärischer Gewalt.

RIA Novosti, 30. September 2013; http://de.rian.ru




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