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Russische Hightech-Waffen für Syrien

Außenminister Lawrow erklärt Raketenlieferung als »nicht entscheidend« für Ausgang des Bürgerkrieges

Von Roland Etzel *

Das russische Kriegsschiff »Admiral Pantelejew« am Freitag im zyprischen Hafen Limassol. Der Zerstörer hat in den vergangenen Wochen gemeinsam mit einem Begleitschiff und einem Tanker etwa 10 000 Kilometer zurückgelegt. Er gehört zu einem Verband der russischen Pazifikflotte und kam durch den Suezkanal, um demonstrativ die russische Präsenz im östlichen Mittelmeer nahe der syrischen Küste zu stärken.

Die russische Regierung lässt sich von der anhaltend lautstarken Anti-Syrien-Propaganda der westlichen Länder offenbar wenig beeindrucken. Darauf deutet jedenfalls der offensive Umgang mit den eigenen Waffenlieferungen an die Armee von Syriens Präsident Baschar al-Assad hin. Bedurften entsprechende Schiffstransporte in den zurückliegenden Monaten noch der »Enthüllung« durch westliche Medien, um publik zu werden, so ging Moskau diesmal in die Offensive.

Diesmal sind es Raketen verschiedener Typen, die für die strategischen Streitkräfte der syrischen Armee bestimmt sind. Russlands Außenminister Sergej Lawrow bezeichnete dies am Freitag in Moskau als »völlig normale Angelegenheit«. Die Lieferung sei »auf vertraglicher Grundlage« erfolgt. »Wir liefern in erster Linie Verteidigungswaffen, insbesondere zur Luftverteidigung«, sagte er laut AFP. Dies geheim zu halten, sehe er deshalb keinen Grund. Lawrow legte Wert darauf, dass diese Waffen für den Ausgang der innersyrischen Auseinandersetzungen praktisch ohne Bedeutung seien. »Die syrische Führung«, so Russlands Außenminister, »erhält dadurch keinen Vorteil gegenüber den Rebellen.«

Am selben Tag teilte - wohl aus ähnlichem Grunde wie Lawrow - das staatliche russische Waffenexportunternehmen Rosoboronexport mit, es liefere keine Hubschrauber an Syrien. Davon hatte die ehemalige US-Außenministerin Hillary Clinton in Washington gesprochen. Sie verdächtigte laut »New York Times« Russland der Lieferung von Kampfhubschraubern an Syrien, um Antiregierungsaktionen niederzuschlagen. Grigori Koslow, Leiter der Rosoboronexport-Abteilung für den Export von Hubschraubertechnik, begnügte sich nicht mit einem einfachen Dementi, sondern lehnte sich weit aus dem Fenster: »Mein Departement steht in keiner Beziehung zu Syrien. Das heißt, ich habe mit diesem Land nichts zu tun.«

Lawrow hatte seine Erklärung auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon abgegeben. Dieser forderte die syrische Regierung auf, endlich UN-Inspektoren ins Land zu lassen, damit sie - unter voller Bewegungsfreiheit - die gegenseitigen Vorwürfe der Kriegsparteien zum Einsatz von Chemiewaffen untersuchen könnten. Dazu wiederum gab es von Lawrow keinen Kommentar. Vergeblich warteten die Journalisten auch auf einen Hinweis, wie denn der syrische Staat, der auf Grund drastisch gesunkener Exportproduktion und angesichts eines schmerzenden Handelsembargos fast aller bisherigen Hauptpartner am Boden liegt, die sicher nicht billigen Hightech-Waffen bezahlt.

Dass es sich um solche handeln muss, darauf weist eine israelische Erklärung vom Freitag hin. Dort sorgt man sich nun angeblich um die eigene Sicherheit. Das allerdings scheint übertrieben. Israels unumschränkte Lufthoheit in der Region besteht offensichtlich weiter, denn zumindest ein Teil der hier in Rede stehenden hochentwickelten russischen Boden-Luft-Raketen vom Typ S-300, mit denen Kampfflugzeuge abgeschossen werden können, soll sich schon über ein Jahr in Syrien befinden. Als im April die israelische Luftwaffe das angebliche Waffenlager nahe Damaskus bombardierte, war Syriens Luftabwehr jedenfalls zu keiner Reaktion in der Lage.

Die »New York Times« verweist am Freitag auf ein anderes Kampffeld. Russland habe auch Raketen vom Typ Jachont geliefert, die gegen Schiffe eingesetzt werden können. Damit könnten sie eine mögliche Seeblockade gegen Syrien erschweren.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 18. Mai 2013


Richtungsentscheidung

Von Roland Etzel **

Seit sich Russland und die USA prinzipiell auf eine internationale Syrien-Konferenz verständigt haben, herrscht hektische Betriebsamkeit an der diplomatischen Front. Keine der Konfliktparteien steht dem Konferenzgedanken vorbehaltlos positiv gegenüber. Auch Syriens Präsident Baschar al-Assad zögert. Ihm dürfte zwar klar sein, dass ein auszuhandelnder Kompromiss die einzige Möglichkeit für einen schnellen Frieden ist; der Preis dafür beinhaltet allerdings mindestens seinen eigenen Abgang und folgende Präsidentenwahlen ohne ihn.

Das jedenfalls wäre ganz im Sinne der auf friedlichen Protest setzenden Opposition. Wiewohl sie vermutlich die Hoffnungen des größten Teils der syrischen Bevölkerung vertritt, ist nicht einmal sicher, ob ihre Vertreter, zum Beispiel die Intellektuellen-Oppositionsgruppe »Den syrischen Staat aufbauen«, überhaupt zur Konferenz eingeladen werden.

Wenn es nach den Rebellen von der Freien Syrischen Armee geht, ganz zu schweigen von den eingesickerten Gotteskrieger-Brigaden, gibt es keine Konferenz; und wenn, dann sollten die zumeist auch noch säkular orientierten Intellektuellen kein Wort mitzureden haben. Das wird von den in Katar, Saudi-Arabien und der Türkei sitzenden Sponsoren gedeckt. Russland will deshalb, dass sich jene Mächte im Hintergrund, dazu zählt auch Iran, nicht vor der Verantwortung drücken, sondern mit am Verhandlungstisch sitzen. Es hieße dann auch für die EU-Staaten, Position zu beziehen. Und es wäre eine Richtungsentscheidung.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 18. Mai 2013 (Kommentar)


1,5 Millionen haben Syrien verlassen

Jeder vierte Einwohner auf der Flucht ***

Mehr als 1,5 Millionen Syrer sind nach UN-Angaben wegen des Bürgerkriegs inzwischen aus ihrem Land geflüchtet. In den vergangenen vier Monaten habe sich die Lage dramatisch verschlechtert, sagte ein Sprecher des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR am Freitag in Genf.

Fast 250 000 syrische Flüchtlinge würden derzeit pro Monat neu erfasst, sagte UNHCR-Sprecher Dan McNorton. Insgesamt hätten sich mehr als 1,5 Millionen Menschen von Hilfsorganisationen registrieren lassen. Die wahre Zahl liege aber vermutlich höher.

Nach UN-Angaben sind zudem mehr als 4,25 Millionen Syrer innerhalb des Landes auf der Flucht. Das bedeutet, dass insgesamt mehr als ein Viertel der 22,5 Millionen Einwohner, die das Land vor Beginn des Bürgerkriegs hatte, sein Zuhause verlassen musste.

Israel kritisierte am Freitag erneut russische Waffenlieferungen für die syrische Regierung. Diese seien »eindeutig nicht positiv« und trügen nicht zur Stabilisierung der Region bei, beklagte die israelische Justizministerin Zipi Livni nach einem Treffen mit Bundesaußenminister Guido Wes- terwelle in Tel Aviv. Der russische Außenminister Sergej Lawrow wies die Kritik an den Waffengeschäften zurück. Keine Vorhersage wollte Lawrow zum Datum einer von ihm und US-Außenminister John Kerry vorgeschlagenen internationalen Konferenz zur Lösung des Syrienkonflikts treffen.

*** Aus: neues deutschland, Samstag, 18. Mai 2013


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