Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Neue Strategie

Gemeinsame Syrien-Entschließung im UN-Sicherheitsrat: USA und Europäer versuchen, Zeit zu gewinnen. Regimewechsel in Damaskus bleibt Ziel

Von Rainer Rupp *

Die Hauptstoßrichtung der westlichen Strategie, nach dem Modell Libyen auch in Syrien den lang betriebenen Regimewechsel herbeizuführen, ist an den wiederholten Doppelvetos von Rußland und China im UN-Sicherheitsrat gescheitert. Das gab der Regierung von Präsident Baschar Al-Assad Zeit zum »robusten Durchgreifen« gegen die schwer bewaffneten »Zivilisten«, wodurch die Bildung sogenannter befreiter Städte verhindert wurde. Diese hätten dann mit einem humanitären US-NATO-Bombenkrieg vor den syrischen Sicherheitskräften geschützt werden müssen. Mit der Vertreibung der von islamistischen Gotteskriegern verschiedener arabischer Länder durchsetzten »Freien Syrischen Armee« aus Homs und anderen Hochburgen des Aufstands sind die Hoffnungen des Westens auf einen baldigen Umsturz in Damaskus geschwunden.

Assad wird nach wie vor von der großen Mehrheit der syrischen Bevölkerung gestützt. Zwar sind nicht alle Anhänger seines politischen Systems. Aber für das Gros der Syrer ist der Staatschef Garant für Schutz vor wirtschaftlichem Chaos und Sicherheit vor marodierenden Banden wie in Libyen. Vom Frieden ist Syrien jedoch noch weit entfernt. Denn die treibenden Kräfte im Westen sind dabei, ihre bisherige Strategie zu ändern. Indem die USA und die Europäer im UN-Sicherheitsrat am Mittwoch ihre einseitige Schuldzuweisung gegen Assad eingestellt haben und auf die Forderung Rußlands und Chinas eingegangen sind, einen Waffenstillstand von allen Seiten zu verlangen, haben sie bewußt einen Strategiewechsel vollzogen.

Der gutgemeinte Vorschlag Moskaus und Pekings, den US-Sondergesandten Kofi Annan als Vermittler zwischen Damaskus und den Aufständischen mit einer gemeinsamen Erklärung des Sicherheitsrats zu unterstützen, hat zwar einerseits den westlichen Kriegstreibern den Wind aus den Segeln genommen, aber zugleich gewinnen diese dadurch Zeit und neue Möglichkeiten, ihre Politik der Destabilisierung auf anderer Ebene fortzusetzen. Denn Annans Plan verhindert, daß die syrischen Sicherheitskräfte, die jetzt ganz klar die Oberhand haben, die Umstürzler gänzlich aus den letzten Städten und grenznahen Gebieten Syriens vertreiben können. Damit wird viel Zeit gewonnen, z.B. für die Aufständischen, sich neu zu gruppieren, um dort, wo sie sich noch behaupten konnten, ihre Positionen zu konsolidieren und »Schutzzonen« auszubauen. Zeit aber auch für westliche Agenten, um Assads Gegner besser auszubilden und zu formieren und so langfristig doch noch den Regimewechsel zu schaffen. Dies kann man in einem soeben erschienen Strategiepapier der US-Denkfabrik »Brookings Institution« nachlesen (siehe Kasten).

Die Hoflieferanten der Washingtoner Außenpolitik haben unter dem Eindruck des Versagens der bisherigen, frontalen US-Strategie eine indirekte Alternative vorgestellt. In dem Papier »Syriens Rettung: Einschätzung von Optionen für den Regimewechsel« heißt es auf Seite vier: »Als Alternative sollten sich die diplomatischen Bemühungen zunächst darauf konzentrieren, der Gewalt ein Ende zu bereiten und humanitären Zugang zu erhalten, wie dies bereits unter Annan getan wird. Dies kann zur Schaffung von sicheren Zonen und humanitären Korridoren führen, die durch begrenzte (westliche, jW) militärische Macht geschützt würden. Dies würde natürlich die US-Ziele für Syrien verfehlen und Assad könnte sich womöglich an der Macht halten. Allerdings wäre dies der Ausgangspunkt, von dem eine breite Koalition mit einem entsprechenden internationalen Mandat weitere Zwangsmaßnahmen durchführen könnte.« An deren Ende stünde der Regimewechsel in Damaskus.

In diesem bösen Spiel erscheint Kofi Annan auf den ersten Blick als nützlicher Idiot des Westens. Tatsächlich ist der frühere UN-Generalsekretär nicht nur ein guter Freund des Wall-Street-Spekulanten George Soros und des Präsidentenberaters Zbigniew Brzezinski, sondern er ist auch gut dotierter Berater und Treuhänder von deren »International Crisis Group«. Dort tummelt sich Annan Seite an Seite mit neokonservativen Konzernlobbyisten und Kriegstreibern, hochrangigen pensionierten US-Militärs und Lobbyisten für die exiliranischen Volksmudschaheddin. Es wäre also mehr als naiv, Annan die Rolle des ehrlichen Maklers abzunehmen.

* Aus: junge Welt, 24. März 2012

Verlängerung bürgerkriegsartiger Zustände in Syrien **

Die in diesem Monat veröffentlichte, 16seitige Studie der US-Denkfabrik »Brookings Institution« über Handlungsmöglichkeiten im Fall Syrien (»Assessing Options for Regime Change«) läßt keinen Zweifel, daß der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan als Sondervermittler lediglich seine zugewiesene Rolle in der Gesamtstrategie zum seit langem vom Westen geplanten Sturz von Präsident Baschar Al-Assad spielt. Die UNO ist lediglich ein Aushängeschild, das Legitimität für Aktionen verleihen soll, die sonst als nackte Aggression und militärische Eroberung fremder Länder verurteilt würden. Tatsächlich räumt »Brookings Institution« in ihrem Syrien-Bericht auch das ein. Auf Seite drei heißt es: »Das Ergreifen von Maßnahmen ohne UN-Mandat würde wahrscheinlich auch zur Auflösung der Doktrin der ›Schutzverantwortung‹ führen, zumal diese die Notwendigkeit von UN-legitimierter Autorität betont.«

Zwar gibt der Brookings-Report zu, daß die syrischen Rebellen zunehmend äußerst brutale, religiös motivierte Gewaltakte begehen. Kofi Annans Mission in Syrien ist es, heißt es auf Seite vier, in den von den Aufständischen besetzten syrischen Gebieten »sichere Schutzzonen« zu errichten – um von dort aus weitere Angriffe zu starten. Bemerkenswert ist die Anerkennung der Tatsache, daß Al-Qaida-Gruppierungen auf der Seite der Rebellen kämpfen. Zugleich heißt es zu Überlegungen, die Aufständischen mit modernen Waffen und Kommunikationsmitteln aufzurüsten: »Alternativ könnten die Vereinigten Staaten zum Schluß kommen, daß es sich lohnt, das Assad-Regime niederzuhalten und auszubluten, also den regionalen Gegner zu schwächen, unter Vermeidung der Kosten einer direkten Intervention.«

Allein dieser Satz, in dem zum politischen Vorteil der USA für eine Verlängerung bürgerkriegsartiger Zustände in Syrien geworben wird, spricht der hehren Prämisse des »humanitären Krieges« Hohn und zeigt, was sich hinter dem Konzept der sogenannten Schutzverantwortung verbirgt. (rwr)

** Aus: junge Welt, 24. März 2012




Zurück zur Syrien-Seite

Zurück zur Homepage