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Die Waffen nieder

Initiative syrischer Oppositioneller für ein Ende des Bürgerkriegs. Assad-Regime soll einbezogen werden

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Syrische Oppositionelle haben zu einem Waffenstillstand aufgerufen. Weder die Streitkräfte noch der bewaffnete Aufstand seien in der Lage, den Gegner zu besiegen, schätzte das Nationale Koordinationsbüro für Demokratischen Wandel in Damaskus (NCB) auf einer Pressekonferenz ein. Um das Leid der Zivilbevölkerung zu mindern und um zu verhindern, daß die Infrastruktur Syriens und die nationale Einheit weiteren Schaden davongetragen, schlägt das NCB vor, daß sämtliche bewaffneten Kräfte einem befristeten Waffenstillstand zustimmen. Die solle zu einer dauerhaften Einstellung der Kämpfe und einem nationalen Dialog in Syrien führen. In der ersten Woche des Waffenstillstandes sollten »beide Seiten ihre Gefangenen, Geiseln und Entführte freilassen« und jede militärische Provokation unterlassen, erklärte Abdulaziz Al-Khair vom NCB-Vorstand im jW-Gespräch in Damaskus. Danach sollten Festnahmen ohne juristische Grundlage und Entführungen verboten sein, wer dem zuwiderhandele, solle strafrechtlich verfolgt werden. In einem dritten Schritt sollten – mit Hilfe des Syrischen Arabischen Roten Halbmonds und des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) – Hilfslieferungen an betroffene Menschen verteilt und Verletzte behandelt werden. Sollten dieses Vorgehen von beiden Seiten eingehalten werden, sei eine »Atmosphäre geschaffen, in der eine politische Lösung möglich ist«, so das NCB. »Mitglieder der Opposition und eine Delegation des Regimes« könnten Gespräche aufnehmen. Letztere müßte für Verhandlungen autorisiert sein. Vertreter des Regimes »mit Blut an den Händen« würden nicht akzeptiert.

Man habe positive Rückmeldungen von einigen bewaffneten Gruppen erhalten, sagte Al-Khair. Die Gegner einer politischen Lösung unter Einbeziehung des Regimes aber hätten den Vorschlag vehement abgelehnt. Kopien der Erklärung gingen an die EU-Mission in der syrischen Hauptstadt mit der Bitte um Weiterleitung an alle Mitgliedsländer. Auch China, Rußland, die USA und die Arabische Liga wurden informiert. Von staatlicher syrischer Seite ging die Erklärung an das Büro von Vizepräsident Faruk Schaara, der 2011 den ersten Prozeß für einen nationalen Dialog in Syrien geleitet hatte. Auch der neu ernannte Minister für Versöhnung, Ali Haidar, wurde informiert und um Unterstützung gebeten.

Die Erklärung sei der UN-Mission in Damaskus übergeben worden, deren Beauftragter die Umsetzung der Initiative überwachen soll. Das könnte demnächst der ehemalige algerische Außenminister Lakhdar Brahimi sein, dessen Ernennung zum Nachfolger von Kofi Annan offenbar nichts mehr im Wege steht. Die Mission der Vereinten Nationen wird vermutlich auf ein »Verbindungsbüro« herabgestuft. Der UN-Sicherheitsrat wird voraussichtlich am Wochenende über ein neues Mandat in Syrien entscheiden.

US-Außenministerin Hillary Clinton hat sich derweil im Rahmen des in Berlin in amerikanisch-deutscher Kooperation mit einigen Syrern ausgearbeiteten Vorhabens für »den Tag danach« kürzlich in Istanbul erstmals mit Oppositionellen jenseits des Syrischen Nationalrats (SNR) getroffen. Clinton habe sich »mit einer anderen Facette der Kräfte der syrischen Revolution treffen wollen, mit Aktivisten und Führern der Zivilgesellschaft«, sagte ein namentlich nicht genannter Sprecher des US-Außenministeriums. Mit dem SNR werde man sich beim nächsten Treffen der »Freunde Syriens« wieder beraten. Letztere gehen davon aus, daß die Führung in Damaskus nur noch 30 Prozent des Landes kontrolliert und bald zusammenbricht. Es sei an der Zeit, sich mit innersyrischen Kräften für die »Nach-Assad-Ära« zu beraten. Die USA seien besorgt über die wachsende Zahl von islamistischen Kämpfern, sagte der Sprecher weiter. Zwischen den »Zielen des syrischen Volkes und denen der Extremisten gibt es keine Überschneidung«.

* Aus: junge Welt, Samstag, 18. August 2012


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