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Kriegstreiberfront geschwächt

Unterhaus: Syrien-Angriff ohne britische Teilnahme *

Das britische Parlament ist gegen eine Beteiligung des Landes an einem möglichen Angriff auf Syrien. Die Abgeordneten lehnten mehrheitlich eine Vorlage der Regierung von Premier David Cameron ab. Cameron erklärte, er werde die Entscheidung respektieren.

Die US-Regierung zeigte sich trotz des Londoner Votums kriegsentschlossen. Sie verfolge nach wie vor den Ansatz, eine »internationale Koalition zu finden, die gemeinsam handelt«, sagte Verteidigungsminister Chuck Hagel am Freitag in der philippinischen Hauptstadt Manila. In Washington erklärte die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrates, Caitlin Hayden, US-Präsident Barack Obama werde sich von den »Interessen der USA« leiten lassen. Die »New York Times« berichtete auf ihrer Internetseite unter Berufung auf Regierungskreise, Washington halte die vorliegenden Beweise gegen Syriens Führung für ausreichend.

Zum Zeitrahmen sagte Frankreichs Präsident François Hollande der Zeitung »Le Monde«, er schließe einen Militärschlag gegen Syrien bereits vor Mittwoch nicht aus. An diesem Tag berät das französische Parlament über Syrien, über einen Militäreinsatz entscheidet allerdings allein der Staatspräsident. Frankreich könnte somit zum wichtigsten Bündnispartner für die USA werden.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle wandte sich gegen eine deutsche Beteiligung. Diese sei »weder nachgefragt worden noch wird sie von uns in Betracht gezogen«, sagte er der »Neuen Osnabrücker Zeitung«. Die LINKE forderte die Regierung auf, sich generell gegen einen Militärschlag zu stellen. »Es kann nicht sein, dass die deutsche Bundesregierung zu einem möglichen Militärangriff unter Führung der USA weiterhin stillschweigende Zustimmung signalisiert«, erklärte Parteivize Jan van Aken.

Russland begrüßte das britische Votum. Ein Militärangriff ohne UN-Mandat wäre ein »schwerer Rückschlag für das gesamte System der Weltordnung«, ließ Präsident Wladimir Putin mitteilen. Die polnische Regierung warf Moskau vor, am Aufbau des syrischen Giftgasarsenals mitgewirkt zu haben.

Im UNO-Sicherheitsrat endete eine Krisensitzung nach nur 45 Minuten erneut in der Sackgasse. Es wurde keine Erklärung abgegeben. Neben Russland gilt auch China als entschiedener Gegner eines militärischen Vorgehens gegen die syrische Führung.

In Syrien schlossen die Chemiewaffen-Experten der UNO ihre Untersuchungen ab. Informationen aus Damaskus zufolge fuhr das Team am Freitag nicht in die von Regierungsgegnern kontrollierten Dörfer im Umland der Hauptstadt, in denen am 21. August Hunderte mit Giftgas getötet worden sein sollen, sondern in ein Militärkrankenhaus im Damaszener Bezirk Al-Messe.

Die syrische Führung hatte am Wochenende erklärt, mehrere Soldaten hätten während ihres Vormarsches in eine Rebellenhochburg Erstickungsanfälle erlitten. Die staatlichen Medien berichteten, dies sowie Chemikalien, die von den Soldaten in dem Viertel Dschobar in Damaskus in unterirdischen Verstecken gefunden worden seien, deuteten darauf hin, dass die Rebellen über Chemiewaffen verfügten. Die Vereinten Nationen machten zunächst keine Angaben über die Aktivitäten der Inspekteure und den Besuch in dem Militärkrankenhaus. Nach etwa zwei Stunden seien die Experten am Freitag in ihr Hotel zurückgekehrt. Es ist geplant, dass sie an diesem Samstag das Land verlassen.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 31. August 2013


Untergang im Unterhaus

Mehrheit des britischen Parlaments schmetterte die Kriegspläne von Premier Cameron ab

Von Ian King, London **


Mit 285 gegen 272 Stimmen ist David Camerons Kriegsvorlage gegen Syrien im Unterhaus gescheitert. 30 konservative Hinterbänkler und 9 Liberaldemokraten stimmten gegen den Premier. Eine Demütigung für Cameron, so die »Times« – und auch für die Kriegstreiber in Washington und Paris. Cameron ist als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet.

Erst gegen seinen Willen die Abgeordneten aus dem Urlaub zurücktrommeln müssen, dann seine Parlamentsvorlage zum Syrien-Krieg wegen Widerstands der Labour-Opposition verwässert zu sehen, trotzdem von Nein-Stimmen seiner eigenen Hinterbänkler in eine krachende Niederlage gezwungen: David Cameron hat die Unterhaus-Debatte über den Bombenkrieg nicht genossen. Das zeigte sich schon an seiner trotzigen Wortwahl: Die Irak-Invasion vor zehn Jahren habe die öffentliche Meinung in Britannien »vergiftet«. Die wohl unbeabsichtigte Gleichsetzung des angeblichen Giftgasbenutzers Assad und des eigenen Vorvorgängers Tony Blair ging ins Auge. Denn Blair unterstützt lautstark die US-Angriffspläne: Cameron sollte mit Freunden nicht so grob umspringen.

Das Völkerrecht verbiete den Gebrauch von Chemiewaffen, so Cameron mit Recht. Assad sei ein Diktator, britische Geheimdienstler behaupteten, es sei fast sicher, dass C-Waffen benutzt worden seien und ebenfalls fast sicher, dass der Waffengebrauch von der syrischen Regierung ausgegangen sei. Kurz: Zeit zum Handeln. Genau das bestritt Labour-Chef Ed Miliband. Jawohl, schlimme Untaten seien im Bürgerkrieg begangen worden, auf beiden Seiten. Warum aber vorschnell handeln, wenn man auf das Urteil der UNO-Waffeninspektoren warten könne? Kein prinzipielles Nein, aber zumindest keine fraglose Solidarisierung mit der US-Linie: Blairs Nibelungentreue zu »Dubya« hat bei Labour ausgedient, selbstständiges Denken – und der Glaube an die UNO – sind wieder erlaubt. Die Labour-Vorlage wurde zwar im Unterhaus klar abgelehnt, aber zur allgemeinen Überraschung auch Camerons Kriegsfahrplan. Diese Nicht-Entscheidung bedeutete jedoch das Scheitern von Camerons Plan. Auf Drängen Milibands musste der Premier zugeben: Diesmal wird aus der geplanten britischen Kriegsbeteiligung nichts.

Die Erinnerung an Irak 2003 war in Westminster präsent. Auch damals hieß es, ein Diktator bedränge das eigene Volk und die Nachbarn, bedrohe den Weltfrieden. Auch damals stand die Mehrheit der Briten den Regierungsplänen skeptisch gegenüber: Heute lehnen 50 Prozent auch nach dem Chemieangriff in Damaskus den Bombenkrieg ab, nur 25 Prozent Unentwegter sind von der Regierungsrhetorik überzeugt. Hohe ehemalige Militärs, rechte Journalisten wie der »Daily Telegraph«-Kolumnist Max Hastings sowie linke Labour-Abgeordnete wie Diane Abbott und Jeremy Corbyn verlangen Klarheit über Kriegsziele, zweifeln an der Verhältnismäßigkeit eines Angriffs, denn »chirurgische« Bombardements gibt es nicht. Sogar der ehemalige konservative Außenminister Lord Douglas Hurd wusste im Oberhaus nicht, wie ein Angriff dem syrischen Volk helfen könnte.

Auch die britischen Wähler trauen dem Kriegsherrn Assad nicht. Aber den eigenen Regierenden genauso wenig. Der allein regierende Blair konnte sich vor zehn Jahren gegen den Widerstand im Volk durchsetzen. Der geschwächte Koalitionsvorsitzende Cameron schafft es heute nicht.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 31. August 2013


Krieger brauchen Kontra. Weltweit

Britisches Unterhaus sagt nein zum Angriff auf Syrien. Demonstrationen in zahlreichen Städten

Von André Scheer ***


Weltweit nehmen die Proteste gegen den drohenden Angriff der USA und ihrer Verbündeten auf Syrien zu. Ermutigt durch die Entscheidung des britischen Unterhauses, das am späten Donnerstag abend eine Kriegsbeteiligung des Vereinigten Königreichs abgelehnt hatte, ruft die »Stop the War Coalition« für Samstag zu einer Großdemonstration in London auf. »Wir konnten den Krieg im Irak nicht stoppen, aber wir haben in Britannien eine massenhafte Antikriegsstimmung geschaffen. Diese Welle der Antikriegsstimmung ist in den vergangenen Tagen spürbar gewesen«, heißt es in einer Erklärung des Friedensbündnisses. »Die Parlamentsmitglieder haben endlich die Mehrheitsmeinung in diesem Land wiedergegeben.« Nun müsse es darum gehen, auch die USA zu einem Verzicht auf die geplante Aggression zu zwingen. Dafür will auch in Deutschland die Friedensbewegung in Dutzenden Städten auf die Straße gehen.

Washington will sich bislang jedoch nicht vom Kriegskurs abbringen lassen. Dabei stößt die US-Administration jedoch nicht nur auf die Ablehnung einer Mehrheit der eigenen Bürger. Auch viele Abgeordnete und Senatoren hätten sich auf einer von Obama einberufenen Telefonkonferenz skeptisch geäußert, berichtete die Nachrichtenagentur dpa unter Berufung auf US-Medien. So hätten zahlreiche Parlamentarier das Fehlen handfester Beweise dafür bemängelt, daß tatsächlich die syrische Regierung für den mutmaßlichen Giftgaseinsatz verantwortlich gewesen sei. Als Reaktion darauf kündigte ein Regierungssprecher am Freitag morgen (Ortszeit) an, man werde noch am selben Tag Geheimdienstberichte veröffentlichen, die Damaskus beschuldigen. Demgegenüber hatte sogar der britische Regierungschef David Cameron während der Parlamentsdebatte in London einräumen müssen: »Wir haben keine Beweise, daß die Opposition keine C-Waffen hat und daß das Regime diese eingesetzt hat.«

In Berlin warnte die Diakonie Katastrophenhilfe am Freitag vor einem militärischen Eingreifen des Westens. Ein solches könne »Racheakte in den angrenzenden Staaten zur Folge haben und genau die Regionen destabilisieren, in denen wir viele Flüchtlinge versorgen«, warnte ihr Leiter Martin Keßler.

Unerwartete Unterstützung hat die syrische Armee offenbar aus Venezuela erhalten. Der sozialistische Parlamentsabgeordnete Adel el Zabayar, der selbst aus Syrien stammt, habe sich den Regierungstruppen angeschlossen, meldeten Medien des süd­amerikanischen Landes am Freitag. Er sei bereits vor zwei Wochen in das arabische Land gereist, um seine dort lebende Mutter zu besuchen. »Als er sah, wie die Situation in Syrien ist, entschloß er sich, dort zu bleiben«, berichtete in Caracas seine Assistentin Doris Bautista.

*** Aus: junge Welt, Samstag, 31. August 2013


Barack Obama in der Sackgasse

Nach dem Nein in London wird es für Washington schwer, Angriffe auf Syrien als »Reaktion« der »internationalen Gemeinschaft« zu präsentieren

Von Rainer Rupp ****


Kriege sind für Regierungen viel schwieriger vom Zaun zu brechen, wenn die Bevölkerung und ihre gewählten Vertreter nicht in die von Medien geschürte Hysterie einstimmen, sich nicht mit Spekulationen und Manipulationen abspeisen lassen, statt dessen handfeste Beweise für die angeblichen Untaten der Gegenseite und zudem die Einhaltung des Völkerrechts verlangen. So geschehen am Donnerstag im britischen Parlament, das der konservativen Regierung David Cameron und indirekt auch US-Präsident Barack Obama einen Knüppel ins Kriegsräderwerk geworfen hat.

Wegen der fehlenden völkerrechtlichen Begründung für eine direkte westliche Intervention in den Krieg gegen Syrien und der mangelnden Unterstützung in der Bevölkerung (nur acht Prozent der Briten sind dafür) wollte sich der Premierminister seine Angriffspläne vom Unterhaus abnicken lassen. Doch die Parlamentarier aller Fraktionen ließen sich nicht mit den fadenscheinigen Kriegsgründen abspeisen. Als sie für den der syrischen Regierung unterstellten Einsatz von Giftgas Beweise verlangten, wurde es ziemlich chaotisch. Empört bekämpfte Außenminister William Hague diese absurde Idee der Abgeordneten. Mit einem Basta beschied er, daß die Regierung bereits mehr als genügend Beweise präsentiert habe und nicht beabsichtige, weitere vorzulegen.

Die Parlamentarier blieben hartnäckig. Schließlich willigte Cameron ein, wenigstens die Untersuchungsergebnisse der UN-Chemiewaffenexperten in Syrien Anfang nächster Woche abzuwarten. Über diese Kriegsverzögerung zeigte sich Außenminister Hague besonders unglücklich. Er befürchtete, Washington könnte sich durch das Zaudern Großbritanniens »gezwungen sehen«, der Kriegsbeginn zu verschieben. Daher forderte er die US-Amerikaner auf, nicht auf London zu warten und Syrien anzugreifen, wann immer sie wollten.

Wegen der politischen Symbolik ist Washington jedoch ein US-Alleingang gegen Syrien höchst unangenehm. Die Arabische Liga verweigerte in dieser Woche bekanntlich die Unterstützung einer Intervention. Die Bombardierung Syriens würde in der Region mithin als weiterer Übergriff des Westens auf ein Bruderland gesehen. Und wenn Washington nun auch noch ohne ihre wichtigsten NATO-Verbündeten angreift, dann können die imperialen Kriegspläne vor der Öffentlichkeit nicht wie üblich hinter der humanitären Fassade einer »Schutzverantwortung« der »internationalen Gemeinschaft« versteckt werden.

Andererseits muß die US-Führung zu Recht befürchten, daß durch das britische Zaudern das politische Momentum für den Krieg verlorengeht und sich neben Deutschland, den Niederlanden und Italien noch weitere NATO-Länder ermutigt fühlen, Bedenken oder Kritik anzumelden. Die Dynamik, welche durch die Aufregung der Medien, die schrecklichen Fotos und die Empörung der Politiker unmittelbar nach den jeweils als kriegsauslösend präsentierten Massakern in Gang gesetzt wurde, ist nach einer Periode der Abkühlung in der Regel nur sehr schwer wieder anzuschieben. Dies dürfte diesmal auch in den USA der Fall sein, wo über zwei Drittel der von der Wirtschaftskrise gebeutelten US-Bevölkerung gegen einen neuen Waffengang sind.

Die Sorge um den Verlust der Kriegsdynamik dürfte denn auch der Grund dafür gewesen sein, weshalb die Obama-Administration am vergangenen Sonntag eine Kehrtwende gemacht hatte. Damaskus hatte nur wenige Stunden zuvor für Washington überraschend erklärt, die UN-Inspektoren die Örtlichkeiten der angeblichen Giftgasangriffe untersuchen zu lassen. Statt weiter freien Zugang für die Chemiewaffenexperten der Vereinten Nation zu fordern, versuchte Washington laut Wall Street Journal nun mit allen Mitteln, deren Entsendung zu verhindern. Aus Angst, durch die Untersuchungen könne der angebliche Interventionsgrund verlorengehen, hatte Außenminister John Kerry sogar persönlich Druck auf UN-Generalsekretär Ban Ki Moon ausgeübt. Erfolglos.

Die Obama-Regierung hat sich in eine Sackgasse manövriert. Selbst Frankreich scheint kalte Füße zu bekommen. Und mit der Handvoll zweifelhafter Partner, welche die Kriegspläne der USA noch unterstützen, kann man der Öffentlichkeit keine »internationale Gemeinschaft« vorgaukeln.

**** Aus: junge Welt, Samstag, 31. August 2013


Gestutzter Falke

Von Olaf Standke *****

In Kriegsdingen hatte Tony Blair noch nie ein Gespür für die Stimmung unter seinen Landleuten. Auch in Sachen Syrien tat sich der gescheiterte wie unbeliebte Irak-Krieger mit markigen Worten hervor und plädierte dieser Tage in der konservativen »Times« für einen Militärschlag. Der aktuelle Premierminister David Cameron scheint aus dem Gang der Geschichte nichts gelernt zu haben und machte sich in Anlehnung an Blairs Spitznamen zu Bushs Zeiten als »Obamas Pudel« für eine schnelle Intervention gegen das Assad-Regime stark, auch ohne belastbare Beweise für seinen angeblichen Chemiewaffen-Einsatz, auch ohne Mandat der Vereinten Nationen. Er ist am Donnerstagabend im Londoner Unterhaus grandios gescheitert, weil sich selbst in den eigenen Reihen nach dem Desaster im Zweistromland und am Hindukusch nicht genügend Stimmen für einen neuen Feldzug fanden.

Diese krachende Abstimmungsschlappe sei sowohl ein Signal an die Welt als auch eine innenpolitische Demütigung für den konservativen Regierungschef, wie es in britischen Blättern am Freitag hieß. Nicht die erste in seiner dreijährigen Amtszeit. Doch dürfte diese jüngste Niederlage seine ganze Regierungskoalition in ihre bisher vielleicht schwerste Krise stürzen, denn auch beim liberaldemokratischen Partner gab es etliche Gegenstimmen. Und trotzdem drängt der im eigenen Parlament gestutzte Falke US-Präsident Barack Obama weiter zu einer »harten« Reaktion, ganz im Geiste Tony Blairs.

***** Aus: neues deutschland, Samstag, 31. August 2013 (Kommentar)


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