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Schwierige Versorgung

Galoppierende Inflation im dritten "Kriegsramadan" in Syrien

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Mit Beginn des Fastenmonats Ramadan gehört es für Händler und Kaufleute in Syrien fast schon zur Tradition, die Preise zu erhöhen. Beim abendlichen Iftar, dem Fastenbrechen nach Sonnenuntergang, haben die Menschen bisher mehr Geld als üblich ausgegeben, um sich und der Familie mit einer besonderen Speise oder einem Restaurantbesuch eine Freude zu machen. Doch im dritten »Kriegsramadan« wie die Syrer sagen, können sie froh sein, sich überhaupt noch Essen leisten zu können.

Seit Anfang des Jahres hat eine galoppierende Inflation das Land im eisernen Griff. Der Preis des US-Dollars, der vor dem Krieg bei etwa 60 Syrischen Pfund (SYP) lag, klettert inzwischen fast täglich weiter in die Höhe. Anfang 2013 kostete der USD 85 SYP, Ende Juni waren es bereits 190 SYP. Zu Beginn des Ramadans ist er auf 270 SYP gestiegen, mancherorts spricht man schon von über 300 SYP. »Entweder spielt jemand hier mit unserem Geld«, sagt der Geschichtsprofessor Dr. George Jabbour gegenüber jW in Damaskus. »Oder das Ausland hat neben dem militärischen und politischen Krieg gegen Syrien nun auch den Wirtschaftskrieg verschärft.« Der war bereits 2011 mit Sanktionen seitens der USA und Europas eröffnet worden. Europa war bisher der engste Wirtschaftspartner Syriens. Der Krieg hat allein in Aleppo und der Umgebung mehr als 2000 Fabriken, Firmen und Wirtschaftsunternehmen zerstört. Die Arbeitslosigkeit steigt, Privatunternehmen verlassen das Land, wer kann nimmt sein Kapital gleich mit.

»Früher habe ich in einem Privatunternehmen gearbeitet und habe viermal so viel verdient wie heute«, sagt die Mitarbeiterin eines Ministeriums in Damaskus. Sie wolle nicht klagen, es ginge ihr besser, als den meisten Menschen im Land, doch »Extras« könne sie sich nicht mehr leisten. Auch diejenigen, die zu den zehn Prozent der oberen Mittelschicht gehören, wie ehemalige Parlamentsabgeordnete, die durch Pensionen abgesichert sind, drehen jeden Schein zweimal um, bevor sie ihn ausgeben. Wenn das so weitergehe, werde Syrien noch Hungerrevolten sehen, sagt ein Gesprächspartner mit der Bitte um Anonymität.

Die Preise für Gemüse und Obst, Fleisch und Milchprodukte, für Kleidung und Transportkosten klettern täglich. Der Händler in einem kleinen Lebensmittelladen im Stadtteil Mezzeh zuckt mit den Schultern, als er der Hausfrau Najwa H. ein Kilo Reis für ein Vielfaches des früheren Preises verkaufen will. Der Dollar werde immer teurer, entschuldigt er sich. »Und was hat der Reis mit dem Dollar zu tun?« ereifert sich Frau H. »Der Reis liegt seit Monaten in Ihrem Regal, damals haben Sie garantiert nicht bezahlt, was Sie heute von uns Käufern dafür haben wollen«, sagt die unerschrockene Hausfrau und erntet zustimmendes Kopfnicken von den Umstehenden. »Sie brauchen den Reis ja nicht zu kaufen«, gibt der Händler gleichgültig zurück. »Das werde ich auch nicht«, sagt Frau H. und stürmt aus dem Laden.

Um dem Spuk ein Ende zu bereiten, hat Regierungschef Wael Al-Halqi die zuständigen Ministerien für Wirtschaft, Handel und Außenhandel angewiesen, die Versorgung der Bevölkerung mit bezahlbaren Gütern sicherzustellen. Die Bevölkerung müsse vor Händlern und Spekulanten, die die Preisschraube immer höher drehten, geschützt werden, erklärte Al-Halqi am Mittwoch bei der wöchentlichen Kabinettssitzung. Ein Komitee unter Leitung des Industrieministeriums werde sich der wirtschaftlichen Situation in Aleppo-Stadt annehmen, um die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Ölprodukten sicherzustellen, berichtete die Nachrichtenagentur SANA.

Der russische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Wladimier Churkin hat derweil mitgeteilt, daß Rußland die Untersuchungsergebnisse eines Angriffs mit chemischen Substanzen in Aleppo vom 19.3.2013 dem UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon übergeben habe. Nach russischen Erkenntnissen hätten die Aufständischen mit großer Wahrscheinlichkeit eine »nicht industriell hergestellte« Rakete der Sorte Bashair 3 abgefeuert, deren Sprengkopf mit Sarin gefüllt war. Das berichtete Russia Today. Anders als vielfach behauptet, seien nicht die syrischen Streitkräfte dafür verantwortlich. Russische Experten hätten die untersuchten Proben selbständig genommen und den Vereinten Nationen zur weiteren Prüfung übergeben, sagte Churkin.

Für Syrer wird das Reisen in der arabischen Welt derweil immer schwieriger. Ägypten hat erklärt, daß Syrer ab sofort ein Visum zur Einreise brauchen. Katar verweigert selbst Personen mit einer anderen Staatsangehörigkeit die Einreise wenn sie syrischer Herkunft sind.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 11. Juli 2013


Baath-Partei hat an Bedeutung verloren

Bei der Neuformierung der Führungsspitze fiel Syriens Vizepräsident Scharaa heraus

Von Karin Leukefeld, Damaskus **


Die gravierenden Umbesetzungen, die Staatschef Assad vor drei Tagen an der Spitze der Baath-Partei, der führenden des Landes, vorgenommen hat, sind bislang ohne erkennbare Auswirkungen auf die Politik geblieben. Auch vom in der Parteihierarchie offenbar degradierten Vizepräsidenten Scharaa ist nichts zu vernehmen.

Die Veränderungen an der Spitze der Syrischen Arabischen Baath Partei werden in Syrien gelassen registriert. Der letzte Führungswechsel hatte 2005 stattgefunden. Die Baath-Partei regiert Syrien seit 1963. Seit 1972 sind weitere Parteien innerhalb einer Nationalen Progressiven Front an der Regierung beteiligt. In der neuen Verfassung von Mai 2012 war Artikel 8 gestrichen worden. Darin war die »herausragende Rolle« der Baath-Partei, de facto eine Alleinherrschaft, festgeschrieben.

Bei der Tagung des Zentralkomitees der Partei am Wochenende waren die 15 Mitglieder des Regionalkommandos, dem Vorstand der Partei, neu gewählt worden. Dabei war in einem deutlichen Generationswechsel die alte Führungsriege durch eine jüngere Generation ersetzt worden. Präsident Baschar al-Assad, der die Sitzung leitete, behielt sein Amt als Generalsekretär. Ministerpräsident Wael al-Halqi und Parlamentssprecher Djihad al-Laham gehören per Amt automatisch dem Führungsgremium an. Die anderen Mitglieder wurden vom ZK gewählt, das aus 100 Personen besteht. »Diese Partei hat nicht mehr die Bedeutung wie früher«, sagt ein Gesprächspartner, der anonym bleiben will. Früher hatte die Baath-Partei laut Artikel 8 die Führungsrolle im Staat, das sei mit der neuen Verfassung abgeschafft worden.

»Meine Schuhe sind mir wichtiger als das, was in der Baath-Partei geschieht«, sagt ein Regierungsgegner. Die Baath-Partei sei schon lange nicht mehr, was sie bei ihrer Gründung gewesen sei, »Hafez al-Assad hatte sie auf sich zugeschnitten«. Die Bevölkerung leide aber mehr unter dem Auftreten der Geheimdienste, als unter der Baath. »Da brauchen wir viel dringender eine Reform, als bei den Parteien«, so der Mann. Hafez al-Assad, der Vater und bis zu seinem Tode 2000 Amtsvorgänger des jetzigen Präsidenten, hatte 1970 mit einem Putsch die Macht in Syrien übernommen.

Die Neuformierung der Führung der Baath-Partei sei lange überfällig gewesen, meint Dr. George Jabbour, langjähriges Mitglied der Baath-Partei. »Eigentlich sollte schon 2010 das Regionalkommando neu gewählt werden. Gut, dass es nun endlich gemacht wurde.« Soweit er die neuen Vorstandsmitglieder einschätzen kön- ne, seien es Personen, die in den letzten zwei Jahren näher an den Unruhen und Ereignissen in Syrien gewesen seien als der bisherige Vorstand. Assad hatte bei der Sitzung die Partei aufgefordert, mehr auf die Bedürfnisse der Bevölkerung einzugehen. Die Partei solle »eine Kultur des Dialogs« vorantreiben.

Seit Beginn der Unruhen im März 2011 war die Baath-Partei wenig in Erscheinung getreten. Die Basis habe die Parteiführung für ihre »unflexible Haltung vor und während der Krise« kritisiert, sagt Bassam Abu Abdullah vom Zentrum für Strategische Studien in Damaskus.

Zu den neuen Vorstandsmitgliedern gehört auch Ammar Saati, der Vorsitzende der Syrischen Studierendenunion, einer Organisation der Baath-Partei. Saati gilt als scharfer Kritiker des langjährigen politischen Weggefährten von Hafez al-Assad, Faruk Scharaa, der nicht wieder in den Vorstand gewählt wurde. Scharaas Amt als Vizepräsident ist davon nicht betroffen. Saati hatte Scharaa für das Scheitern der Konferenz für den Nationalen Dialog verantwortlich gemacht, die im Juli 2011 unter Scharaas Leitung stattgefunden hatte. Geplant war eine permanente Konferenz mit Teilnehmern aus allen Teilen der Gesellschaft. In den Provinzen, Regionen und Kommunen sollten Komitees eingerichtet werden, um Reformvorschläge zu sammeln. Die Opposition boykottierte bereits das erste Treffen der Konferenz, was Scharaa in der politischen Führung Syriens weitgehend isolierte, die auf eine »militärische Lösung« setzte.

Der 76-jährige Scharaa war von den ausländischen »Freunden Syriens«, die den Sturz Assads anstreben, als potenzieller Kandidat für den Posten eines Übergangspräsidenten genannt worden. Scharaa hat hingegen mehrfach deutlich gemacht, dass er wohl für Vermittlung, nicht aber für ein zukünftiges politisches Amt zur Verfügung stehe.

Zeitgleich mit dem politischen Wechsel in der Baath-Partei wurde die Führung der oppositionellen Nationalen Koalition ausgetauscht. Dort hatten bisher Vertrauenspersonen des Emirats Katar den Ton angegeben. Auch der im März zum Ministerpräsidenten einer Exilregierung gewählte Ghassan Hitto zählte dazu. Es sei ihm nicht gelungen, eine Regierung zu bilden, begründete Hitto seinen Rücktritt.

Dr. Jabbour sieht darin den Niedergang des Einflusses von Katar; nicht nur in der syrischen Auslandsopposition, sondern in der gesamten Region. Saudi-Arabien, wo der neue Präsident der Koalition, Ahmad Assi Djarba, residiert, habe die Nase »mit dem Segen der USA« wieder vorn.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 11. Juli 2013


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