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Außersyrische Opposition

Die "Freunde Syriens": Erklärung wurde in Paris geschrieben

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Erstmals traf sich am Freitag in Tunis die neu gegründete Gruppe »Freunde Syriens«, um ihr weiteres Vorgehen gegen den syrischen Präsident Baschar Al-Assad und die amtierende Regierung in Syrien zu koordinieren. Als Vertreter eines »neuen Syriens« war eine Delegation des im Ausland agierenden »Syrischen Nationalrates« (SNR) angereist, unabhängige Oppositionelle und Vertreter der innersyrischen Opposition nahmen nicht teil. Auch Rußland und China blieben dem Treffen fern.

Außenminister aus rund 60 Staaten und Vertreter internationaler Organisationen sowie UN-Generalsekretär Ban Ki Moon berieten über weitere Maßnahmen, um »das Massaker (in Syrien) zu stoppen«, wie der französische Außenminister Alain Juppé in einem Interview mit dem französischen Fernsehsender Canal Plus sagte. Für Deutschland nahm Außenminister Guido Westerwelle teil. Die Bundesrepublik setzt sich für weitere, schärfere Sanktionen gegen Syrien ein. Als Sonderbeauftragter der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga für Syrien war in New York am Donnerstag abend (Ortszeit) der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan berufen worden.

Ein in Tunis zur Abstimmung vorliegendes Dokument war in den vergangenen Wochen von dem Sonderbeauftragten für die Angelegenheiten des Mittleren Ostens im US-Außenministerium, Jeffrey Feldman, und dem Ministerpräsidenten und Außenminister Katars, Scheich Hamid bin Jassim al-Thani, ausgearbeitet worden. Bei mehreren Treffen im Elysée-Palast in Paris sei die Abschlußerklärung vorbereitet worden, berichtete Mohammad Ballout, Pariser Korrespondent der libanesischen Tageszeitung As Safir, unter Berufung auf »arabische Quellen«. Bei einem Mittagessen mit ausgewählten, in Frankreich akkreditierten arabischen Botschaftern habe Frankreichs Außenminister Juppé diesen die Grundzüge des Vorgehens erläutert, heißt es in dem Bericht.

Die Initiative des »Freundeskreises« soll sich demnach auf drei Punkte konzentrieren: a) Unterstützung der Arabischen Initiative (Aktionsplan 2: Präsident Al-Assad übergibt die Macht an einen Stellvertreter und leitet einen Übergangsprozeß ein), b) humanitäre Hilfe für Zivilisten und c) Einigung der syrischen Opposition. Letzteres soll unter dem Dach des SNR stattfinden, der »logistisch und finanziell« mehr unterstützt werden solle. Offenbar ist geplant, den Aufbau staatlicher Strukturen durch den SNR voranzutreiben. Um seine Glaubwürdigkeit zu erhöhen, sollen auch unabhängige Oppositionelle wie Michel Kilo, Samir Aita und Fayez Sarah gewonnen werden. Der Freundeskreis wird nach diesen Quellen von elf Staaten, darunter die Vereinigten Arabischen Emirate, Marokko, Jordanien, Tunesien, Katar, Saudi-Arabien sowie Frankreich, die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Deutschland geführt werden, auch die Türkei soll einbezogen werden. Diese Staaten wiederum sollen das weitere Vorgehen mit den im UN-Sicherheitsrat vertretenen westlichen Staaten koordinieren, die zweimal mit einer Resolution an dem Veto von Rußland und China gescheitert waren. Ziel sei u.a. der Aufbau einer internationalen »Friedenstruppe«.

Über die SNR-Forderungen nach Schaffung von »humanitären Korridoren« zur Hilfe für die bedrängte Zivilbevölkerung und zur Linderung einer »humanitären Katastrophe« in Syrien hatten vor dem Treffen internationale Leitmedien prominent berichtet. Der SNR fordert solche Zugänge von Jordanien nach Deraa, von Libanon nach Homs und von der Türkei nach Idlib. Sie entsprechen den bereits vorhandenen Schmuggelrouten für Kämpfer und Waffen nach Syrien. Verschiedentlich wurde aus ausländischen diplomatischen Kreisen in und außerhalb Syriens bestätigt, daß illegale Waffenlieferungen aus arabischen Staaten und aus der Türkei nach Syrien stattfinden. Auch Journalisten werden über diese Route unter Umgehung einer offiziellen Akkreditierung ins Land geschleust.

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) bemüht sich seit Tagen um einen Waffenstillstand in dem umkämpften Stadtteil Baba Amr (Homs), um Nahrungsmittel und medizinische Hilfe zu liefern. Ziel ist, sowohl von der syrischen Armee als auch von den bewaffneten Gruppen in Baba Amr die Zusage für eine tägliche Waffenruhe von zwei Stunden zu erreichen.

* Aus: junge Welt, 25. Februar 2012


Entscheidung offen

Vor dem Referendum am Sonntag in Syrien: Diskussionen über vorgelegten Verfassungstext und verbreitete Skepsis

Von Karin Leukefeld, Damaskus **


Rund 14600000 Syrer können am Sonntag (26. Feb.) per Referendum über den Entwurf einer neuen Verfassung abstimmen. 13935 Wahlzentren sind landesweit, auch an Grenzübergängen und Flughäfen geöffnet, teilte das Innenministerium mit, das den Wahlgang überwachen wird. In Fernseh- und Radiosendungen, in Zeitungen, im Internet und bei öffentlichen Diskussionen beantworteten Mitglieder der Kommission, die in den letzten vier Monaten den Entwurf erarbeitet hatte, auf Fragen und Kritiken. Am Freitag konnte die Autorin an einem Treffen von Freunden in Damaskus teilnehmen, bei dem diese über die Verfassung diskutierten und stritten, Für und Wider austauschten und überlegten, ob man zur Abstimmung gehen solle oder nicht. Alle hatten den Text gelesen, teilweise in Kopie oder auf dem Laptop, die Kritik an einzelnen Artikeln war profund und scharf.

Gleichberechtigung

Die meiste Kritik äußerten die jungen Leute – Studenten, Architekten, Ingenieure, Versicherungskaufleute, alle vermutlich aus der schmalen Mittelschicht Syriens – an der Rolle des Präsidenten, der gemäß dem Entwurf auch in Zukunft »zu viel Macht« auf seine Person vereine. »Der Präsident sollte den Oberbefehl über die Armee abgeben und ein unabhängiges Oberstes Gericht einsetzen, dem auch er als Präsident unterliegt«, meinte S., der Soziologie und Geschichte studiert hat und als Sozialberater arbeitet. Für ihn sei nicht wichtig, was in den einzelnen Paragraphen stehe, sondern wie die Verfassung in Zukunft umgesetzt werde. Ein Freund S. stimmt ihm zu und fügt hinzu, daß selbst die alte Verfassung nicht schlecht gewesen sei, nur sei sie nie angewandt worden. Andere, wie der Student J., kritisieren den Widerspruch, der sich aus den Artikeln 3 und 33 ergebe: »Einmal steht da, der Präsident muß Muslim sein und dann heißt es, alle Syrer seien gleichberechtigt.« Was eindeutig nicht der Fall sein könne, wenn ein Christ oder Druse nicht Präsident werden könne, weil er eben kein Muslim sei. »Ich bin selber Muslim, aber so etwas lehne ich ab«, sagt er mit Nachdruck.

Es folgt eine lange Liste von Kritikpunkten: so sei die Wirtschaftsform Syriens nicht eindeutig festgelegt, ob man in Zukunft sozialistisch oder kapitalistisch wirtschaften werde. In einer »Syrischen Arabischen Republik« würden Kurden, Armenier, Tscherkessen und andere Volksgruppen sich ausgeschlossen fühlen, sagt einer. Ein anderer kontert: »Alle sind Syrer«, Einzelheiten können später konkretisiert werden. Die Frage sei auch, wieviel Prozent der abgegebenen Stimmen gebraucht würden, um den Entwurf als angenommen zu erklären, wirft S., der Soziologe, ein. Und J. meint, die Grenzen Syriens seien nicht eindeutig festgelegt: »Kilikien, Adana, das alles ist noch immer von der Türkei besetzt.« Am Ende zeichnet sich ab, daß zwar die meisten am Referendum teilnehmen werden, und daß das noch immer besser als eine bewaffnete Auseinandersetzung sei. Ob sie aber mit Ja oder Nein stimmen werden, behielten die Leute für sich.

Verhandlungen dringender

Schwierig dürfte die Abstimmung dort durchzuführen sein, wo noch immer bewaffnet gekämpft wird, wie in Homs und Idlib. Unklar ist, wie und wo Flüchtlinge abstimmen können, das gleiche gilt für die Soldaten und Offiziere im Einsatz. Dutzende tote Angehörige von Armee und Sicherheitskräften wurden in den letzten Tagen gemeldet. Auch auf Seiten der bewaffneten Gruppen liegt die Zahl nach Angeben aus Oppositionskreisen im zweistelligen Bereich.

Tausende Menschen sind aus Homs in die umliegenden Dörfer und Städte geflohen, um sich vor den Kämpfen in Sicherheit zu bringen. Sie wolle auf jeden Fall für die Verfassung stimmen, sagt eine junge Frau, die vor einem Monat aus Insha’at, dem Nachbarviertel von Babr Amr aus Homs geflohen ist. Sie habe sich nicht intensiv mit dem Text auseinandergesetzt, nach der Flucht habe die Familie ihr Leben in Damaskus erst neu organisieren müssen.

Die Eile und die innenpolitische Lage, in der die Abstimmung durchgeführt wird, löst bei vielen Befragten Zweifel aus. Skeptisch äußerte sich auch der Jesuitenpater Paolo dall’Oglio, eine laute Stimme für Versöhnung und Gerechtigkeit in Syrien. In »Teilen der Institutionen des alten und herrschenden Systems gibt es ein wirkliches und ehrliches Verlangen nach Veränderung«, sagte der Leiter der Klostergemeinschaft Deir Mar Musa im Gespräch mit der Autorin. Das Referendum über die neue Verfassung und Neuwahlen seien ein gutes Zeichen, doch »solange militärische Auseinandersetzungen anhalten, brauchen wir dringender Verhandlungen und Versöhnung. Und wir brauchen Vermittler.« Internationale Beziehungen basierten »auf einem militärischen Konzept«, kritisiert der überzeugte Gegner der Interventionen in Afghanistan, Irak und Libyen. Auch für Syrien lehne er jede militärische Lösung ab. Stattdessen sollten »50000 Friedensaktivisten« kommen, um die Zivilbevölkerung zu schützen. Doch »für so etwas ist die internationale Gemeinschaft nicht weit genug entwickelt.«

* Aus: junge Welt, 25. Februar 2012


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