Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Einzelgespräche in Hinterzimmern

Friedensnobelpreisträger Obama trifft auf breiten Widerstand gegen den von ihm avisierten Krieg gegen Syrien

Von Roland Etzel *

Der Einsatz von Giftgas müsse bestraft werden, fordert US-Präsident Obama. Das sehen die meisten Parteifreunde, Gegner und auswärtige Verbündete durchaus. Allerdings wollen immer weniger dafür an der Seite der USA Krieg führen.

Der avisierte Krieg gegen Syrien, der auf nachdrücklichen Wunsch von US-Präsident Barack Obama nicht Krieg, sondern allenfalls »Militärschlag« genannt werden soll, rückt näher. Hielt Obama noch vor zwei Wochen die »Beweise« für einen Giftgas-Einsatz der regulären syrischen Armee am 21. August, die Frankreich ihm präsentiert hatte, für wenig stichhaltig, so ist er nun selbst zum entschiedensten Einpeitscher dieser These geworden. Die US-Geheimdienste hätten sichere Erkenntnisse über die Schuld der syrischen Regierung. Allerdings haben sie diese bislang keinem neutralen internationalen Gremium vorgelegt, schon gar nicht dem Expertenteam, das das betroffene Gebiet in Syrien inspiziert hat und derzeit seine Erkenntnisse auswertet.

Diese Ergebnisse ist man nicht unbedingt gewillt abzuwarten, doch offensichtlich nötigt die Öffentlichkeit, die nationale wie die internationale, Obama und seine kriegswilligen Partner vor allem in Frankreich und der Türkei, zu der Erkenntnis, dass die erwünschte Kriegsfront noch nicht die gewünschte Breite und Stabilität hat. Obama sieht sich dabei vor allem in eigenen Land gefordert. dafür ist eine Propagandaoffensive geplant. Für den heutigen Montag sind Interviews mit sechs Fernsehsendern angekündigt, bevor sich Obama laut dpa am Dienstagnacht MESZ aus dem Weißen Haus an die Nation wenden wird. Zugleich wollen der Präsident und sein Stab ihre Serie von Einzelgesprächen und -telefonaten hinter verschlossenen Türen mit Kongressmitgliedern fortsetzen. Die »New York Times« sprach vom größten Einsatz dieser Art in Hinterzimmern seit 2009, als es um die Gesundheitsreform ging.

Aber der für Krieg werbende Friedensnobelpreisträger trifft vor allem im Repräsentantenhaus auf Widerstand. 218 Abgeordnete hätten bereits zu erkennen gegeben, dass sie gegen eine Militäraktion stimmen werden oder zu einer Ablehnung neigen. Die nötige Mehrheit für eine Billigung oder Ablehnung liegt bei 217. Im Senat stehen Obamas Chancen angeblich besser. Dort soll deshalb in dieser Woche über einen »begrenzten Militärschlag« abgestimmt werden. Der Präsident beteuert dafür stets, er plane »no boots on the ground«, also keine Stiefel auf syrischem Boden. Nach all den Kriegslügen seiner Amtsvorgänger werden derlei Zusagen aber offenbar nicht sehr hoch bewertet.

Außenminister John Kerry beteuerte in Paris, dass sich Obama noch nicht festgelegt habe, ob er mit einem Militärschlag bis zum Ende der laufenden Untersuchungen der UN-Inspekteure warten will. Frankreichs Präsident François Hollande hatte am Freitag entgegen früheren forschen Ankündigungen erklärt, vor einem Schlag gegen Syrien den Bericht der UN-Chemiewaffeninspekteure abwarten zu wollen. Am selben Tag war eine Umfrage des Pariser »Figaro« veröffentlicht worden, die ergeben hatte, dass zwei Drittel der Franzosen eine Kriegsteilnahme ablehnen.

Den Kriegswilligen zugesellt hat sich am Sonnabend die deutsche Regierung, nachdem ihre Unterschrift dazu auf dem G 20-Gipfel noch gefehlt hatte. Zur Begründung für die eintägige Verzögerung hieß es, man habe erst eine gemeinsame Position der EU-Außenminister abwarten wollen, die in der litauischen Hauptstadt Vilnius tagten. Der angebliche Wunsch nach einem Aufschub der US-Militäraktion bis zur Vorlage des Berichts der UN-Inspekteure, den Außenminister Guido Westerwelle in der EU-Erklärung entdecken will, taucht in deren Text aber nur indirekt auf.

Die Opposition in Deutschland kritisierte das jüngste Vorgehen der Bundesregierung in der Syrien-Politik, allerdings auf recht unterschiedliche Weise. Grünen-Parteichefin Claudia Roth sprach von einem »abenteuerlichen Zickzackkurs«, die SPD kritisierte einen »Totalausfall der deutschen Außenpolitik«. So tragisch es sei, er könne sich im Augenblick keine Aktion vorstellen, die das Leid in Syrien innerhalb kurzer Zeit abstelle, sagte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück am Sonntag der Hamburger »Zeit«. Deutlich gegen den Inhalt der EU-Erklärung stellen sich aber weder Grüne noch SPD. Dagegen sieht die LINKE in dem Papier einen Beitritt zur »Koalition der Kriegswilligen«.

* Aus: neues deutschland, Montag, 9. September 2013


Vom Warner zum Willigen

Von Roland Etzel **

Die Wende vom Warner zum Willigen in der Kriegsfrage, die beim US-Präsidenten mehrere Wochen dauerte, vollzogen die deutschen Regierungsspitzen in 24 Stunden. Die auf dem G20-Gipfel in Russland der Kriegsphalanx noch nicht gegebene Unterschrift wurde einen Tag später – ein bisschen klammheimlich – nachgeliefert. Dazugehören soll Deutschland schon, aber ohne lautverstärkende Gipfelkulisse.

Hollande und Obama haben deutliche Signale, dass ihre Bevölkerungen gegen einen neuen Krieg sind, auch eingedenk der gerade zehn Jahre alt gewordenen Lügen des Weißen Hauses zur Rechtfertigung des Irak-Krieges. Dennoch machen beide nicht den Eindruck, dass sie das sonderlich interessiert. Ihr Vorteil gegenüber Merkel und Westerwelle: Sie haben keinen Wahltag vor der Brust, bei dem ihnen der große Lümmel Volk sofort auf die Finger klopfen kann.

Und so übt sich Berlin in sprachlichen Verrenkungen. »So schnell wie möglich« soll die UNO den Bericht ihrer aus Syrien zurückgekehrten Chemiewaffen-Experten präsentieren. Der deutsche Außenminister drängt die Inspekteure zur Eile, damit, man höre, die Ergebnisse ihrer Untersuchungen noch vor einem möglichen Militärschlag vorliegen. Und dann?

Was sagen die Herausforderer von Schwarz und Gelb? Die Grüne Claudia Roth beklagt deren Zickzackkurs. Hätte sie das jetzige Resultat lieber auf direktem Wege gehabt? Manchmal bietet schon die halbe Wahrheit genug verräterische Sprache.

** Aus: neues deutschland, Montag, 9. September 2013


Zurück zur Syrien-Seite

Zur USA-Seite

Zur Seite "Deutsche Außenpolitik"

Zurück zur Homepage