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Auf dem Weg ins "Lager der Guten"

Syrien nach dem Irakkrieg

Im Folgenden veröffentlichen wir mit freundlicher Genehmigung des Verlags einen Artikel aus der Zeitschrift "inamo" (Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten e.V.), Heft 34 (Juli 2003).


Von Mustafa Nadim*

Zahlreiche Anschuldigungen der USA gegen Syrien während des Irak-Feldzuges dienten propagandistischen Zwecken: Damaskus liefere Gasmasken und Nachtsichtgeräte an die irakische Armee; der Irak habe seine Massenvernichtungswaffen nach Syrien gebracht. Damaskus fördere Freiwillige, die im Irak kämpfen wollten; Damaskus gewähre flüchtenden Funktionären des irakischen Regimes Zuflucht. Larry Collins malte in der New York Times das Schreckgespenst der 10 000 Raketen (alle auf Tel Aviv gerichtet), mit denen Damaskus Hizbullah ausgestattet habe, an die Wand. Die einzige Tatsache, die von Anfang an bekannt war: In Damaskus sammelten sich Freiwillige aus der arabischen Welt. Dies veranlaßte Robert Fisk (The Independent, 15.04.03) bissig zu kommentieren: "Wann immer Israel in den Krieg zog, strömten Hunderte von Freiwilligen aus den USA nach Tel Aviv, um bei der IDF mitzukämpfen, und Amerika beschwerte sich nie."

Syrien auf dem Weg von der "Achse des Bösen" in das "Lager der Guten"?

Was haben die USA mit ihren Warnungen und Drohungen gegenüber Syrien bezweckt? Ist es darum gegangen, die regionalpolitische Machtpolitik Syriens zu brechen? Oder die syrische Unterstützung der Hizbullah und der palästinensischen Widerstandsorganisationen zu unterbinden? Oder ist es darum gegangen, die von Syrien immer wieder öffentlich betonte Haltung, daß Widerstand gegen eine Besatzungsmacht völkerrechtlich legitimiert sei, zu demontieren? Oder darum, Syrien gefügig zu machen, damit es die israelischen Bedingungen für einen "Friedensvertrag" akzeptiert, vielleicht sogar endgültig auf den Golan verzichtet?

In einem Brief an den Präsidenten vom 3. April 2002 schreiben rechte think tanks des Project for the New American Century, Richard Perle, Daniel Pipes, Norman Podhoretz, William Kristol u.a.: "Niemand soll in Zweifel ziehen, daß Israel und die USA einen gemeinsamen Feind haben. Wir sind beide das Ziel von dem, was Sie korrekt als "Achse des Bösen" bezeichnet haben. Israel ist das Ziel, einerseits weil es unser Freund ist und andererseits weil es eine Insel der liberalen und demokratischen Prinzipien ist, amerikanischer Prinzipien in einem Meer von Tyrannei, Intoleranz und Haß. Wie Verteidigungsminister Rumsfeld ausgeführt hat, sind Iran, Irak und Syrien dabei eine Kultur des politischen Mordes und der Selbstmordattentate gegen Israel zu inspirieren und zu finanzieren. Sie haben auch in den letzten zwei Jahrzehnten Terrorkampagnen gegen die USA unterstützt. Herr Präsident, Sie haben den Krieg gegen den internationalen Terrorismus erklärt, Israel kämpft den gleichen Krieg."[1]

Also rührte Donald Rumsfeld beim Marsch nach Bagdad die Propagandatrommel gegen Syrien. Ministerpräsident Ariel Sharon nutzte ebenfalls die Gunst der Stunde, um darauf hinzuweisen, daß man jetzt die Gelegenheit nutzen müsse, um gegen die beiden "Schurkenstaaten" Syrien und Iran vorzugehen.

Powells Botschaft an Syrien

Die Los Angeles Times beschrieb die Stimmung im US-State Department nach Rumsfeld's Verbalattacken unter dem Titel: "Diplomaten in der Defensive" mit den Worten: "Sie (die Diplomaten) sind in Alarmbereitschaft, weil sie befürchten, daß das Pentagon ihnen die Außenpolitik streitig macht und damit die Rolle ihres Chefs, Außenminister Colin L. Powell, untergräbt."[2]

Colin Powell besuchte Damaskus am 4. Mai. Zuvor hatten die USA schon einen erheblichen ökonomischen Druck ausgeübt: Nachdem Einmarsch in Bagdad, wurden die irakischen Öllieferungen an Syrien sofort gestoppt. Syrien hatte pro Tag 200 000 Barrel aus dem Irak bezogen, unter Umgehung des Oil-for-Food Programms der UNO. Die Verlust dieser Quelle bedeutet für Syrien voraussichtlich einen finanziellen Verlust von rund 500 Mio. Dollar im Jahr. Zudem wird Syrien den eigenen Verbrauch drosseln müssen, denn die eingelagerten Ölreserven reichen nicht lange.[3]

Auch wenn vom syrischen Regime versucht wurde, den durch die USA ausgeübten Druck zu verschleiern, so ist klar, daß Powell eindeutige Worte im Hinblick auf die Vorstellungen und Interessen der USA gesprochen hatte. Powell selbst äußerte nach seiner Rückkehr aus Damaskus: "Die klare Botschaft für Präsident Bashar al-Asad war die, daß in der Region eine neue Situation herrsche ...(nach dem Ende des Husain-Regimes und mit der Durchsetzung der road map. Anm. MN) und daß er ein Teil dieser positiven Entwicklung in der Region sein könne, wenn er nur wolle." "Syrien sollte seine Politik überdenken", so berichtete am 4. Mai CNN.com, "und wissen, daß jegliche Unterstützung für die militärischen Aktionen der Hizbullah oder auch der anderen terroristischen Organisationen [4], die in Damaskus anwesend sind," von den USA nicht geduldet werden.

Da die US-Medien die Frage der Büros der palästinensischen Gruppen hochspielten, regelte das Regime die Angelegenheit "auf syrische Art": Ein paar Tage später gaben Sprecher von Hamas und Jihad bekannt, daß man der syrischen Regierung keine Probleme machen wolle, und daß man die Büros, die ja eh nur repräsentativen Charakter gehabt hätten, schließen würde. Der militärisch Verantwortliche der PFLP, Abu Ahmad Fuad, äußerte sich gegenüber dem Schweizer Journalisten Armin Köhli [5] diplomatisch: "Unsere Situation in Syrien hat sich nicht verschlechtert. Nur unsere Büros sind nicht mehr so offiziell wie vorher."

Für Powells gab es jedoch wichtigere Fragen. Der stellvertretende syrische Außenminister Walid Muallem erörterte dies gegenüber einer Gruppe Schweizer Journalisten: Powell hätte nicht gesagt, schließt dieses oder jenes Büro. Er hätte nur zwei Dinge verlangt: Interveniert nicht im Irak, so wie ihr es im Südlibanon getan habt und stellt euch nicht gegen die road map.

Dies bestätigt auch die Washington Post. Für Syrien ist bei der road map keine Rolle vorgesehen, obwohl es zu den an Israel grenzenden Länder gehört und in Sharm ash-Sheikh auch Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien anwesend waren. Syrien gilt als Land das am konsequentesten arabische Interessen vertritt, man fürchtete, daß seine Anwesenheit, das Spiel verderben könnte, so deutet es die Washington Post vom 12. Mai an. Die Sprecherin des Außenministeriums, Bouthaina Shaaban macht gute Miene zum bösen Spiel: "Es ist Sache der Palästinenser über ihre Zukunft selbst zu entscheiden". Zu Powells Warnung, sich bezüglich des Irak herauszuhalten, heißt es im gleichen Artikel, daß man fürchtet, daß Syrien versucht Einfluß auf irakische Angelegenheiten zu gewinnen - "über die Stammesführer im Norden und kurdische Oppositionsgruppen. Syrien hat auch Verbindung zu Mishaan Jabouri," einer der irakischen Oppositionsführer, der jetzt bei der Bürgermeisterwahl in Mosul scheiterte. Er war zwei Jahrzehnte als Geschäftsmann in Damaskus tätig und kontrollierte den größten Teil des Handels zwischen den beiden Ländern."

Israels Politik gegenüber Syrien

Zu Ariel Sharons Forderungen gegenüber Syrien äußerte sich Verteidigungsminister Shaul Mofaz in Ha´aretz vom 16.4.03: Die palästinensischen terroristischen Organisationen, die von Damaskus aus operieren, müßten demontiert werden; der syrisch-iranischen Kooperation ein Ende gesetzt werden; die Versuche, Waffen an die Palestinian Authority zu liefern und die Araber in Israel aufzuhetzen, müßten beendet werden; die Hizbullah dürfe nicht mehr im Grenzgebiet operieren, ihr Raketensystem dort müsse aufgelöst werden.

Bereits zweimal sind syrisch-israelische Verhandlungen gescheitert: 1996, nach endlosen militärstrategischen Erörterungen (Israels Rückzug aus dem Golan stand gar nicht zur Debatte; im Gegenteil, neue Siedlungsprojekte standen an) beendete Hafez al-Asad die Verhandlungen. 1999 wurden sie wieder aufgenommen mit gemeinsamen Gesprächen in Sheperdstown, USA. Am 9. Januar 2000 publizierte al-Hayat auf der Basis syrischer Quellen eine Zusammenfassung der Positionen. Darin wurde klar, daß Syrien bezüglich der Grenze vom 4. Juni 67 kompromißbereit wäre. Israel bestritt die Authentizität der Zusammenfassung und ließ am 13. Januar 2000 eine vollständige Darstellung in Ha'aretz veröffentlichen. Die israelische Version unterstrich, daß es keinen Rückzug der Armee aus dem Golan geben werde, sondern lediglich eine Umgruppierung. Zusätzlich wurde von seiten Israels der Golan zur Prioritätsstufe A erklärt, [6] d.h. die Siedlungsstätigkeit im Golan wurde verstärkt. Da Präsident Clinton die Position von Ehud Barak in Genf (April 2000) vollständig übernommen hatte, reiste Hafez al-Asad von dort unverzüglich wieder ab.

Die Opposition nutzt die Defensive des Regimes

Anscheinend gibt es in der Baathführung heftige Auseinandersetzungen über den Kurs des Landes. Reform-Baathisten wie Bouthaina Shaaban und Riad Barazi sprechen von äußeren Ereignissen, die man "nutzen kann, die eigene Realität zu formen" oder daß jetzt für Bashar al-Asad eine goldene Gelegenheit sei, den alten Kämpen zu sagen, sie sollen verschwinden. Oppositionelle und Bürgerrechtler teilen diese Illusionen nicht. Sie wissen, daß eine weitere Konfrontation mit den USA auch zum Gegenteil führen kann, die hardliner können die Zügel weiter anziehen, mit dem Hinweis jetzt gäbe es wichtiger Dinge als Reformen. Bisher haben sie jegliche größeren politische und wirtschaftliche Reformen geblockt, bis auf kleinere kosmetische Reformen. [7]

1124 Exilsyrer und Oppositionelle haben nach Rumsfelds Drohungen in einem Manifest verlangt, daß sie bei Gefahr für das Land zurückkehren wollen. Dies veröffentlichte die Website der Opposition in London Akhbar ash-Sharq am 18. April. In einer weiterern Erklärung heißt es -, mit deutlichem Hinweis auf den Irak: "Eine Einparteienherrschaft und geheimdienstliche Repression können die Unabhängigkeit und die Würde eines Landes nicht gewährleisten." Kritische Stimmen im Lande selbst griffen diesen Widerspruch auf: Während einer Versammlung des Rechtsanwaltsverbandes in Raqqa wurde von über 300 Anwälten gefordert, den oppositionellen Exilsyrern die Rückkehr zu erlauben. Tayyib Tizini, Philosophieprofessor in Damaskus, rief das Regime zum Dialog mit den kritischen Kräften auf: "Bitte beginnt den Kreis von innen zu öffnen, bevor eine ausländische Macht ihn von außen öffnet."

Anmerkungen
  1. http://www.newamericancentury.org/Bushletter-040302.htm Siehe auch Irene Gendzier in INAMO: Nr. 33, S. 17.
  2. www.latimes.com, 8.5.2003.
  3. Handelsblatt vom 16.4.03.
  4. Gemeint sind: Islamischer Jihad, Hamas, Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP), PFLP GC und DFLP.
  5. WoZ, 29.5.03.
  6. Amir Oren in Haaretz, 14.1.2000
  7. Die letzten zögernden ökonomische Reformen: Zulassung von fünf privaten Banken, was von syrischen Unternehmern folgendermaßen kommentiert wurde: Privatbanken - sicher, aber man solle in solch einem ökonomischen Umfeld nicht allzu hohe Erwartungen stellen (The Syria Report, Nr. 07, Mai 2003, S. 1). Abschaffung des Militärunterrichts im Curriculum der Oberstufe ab 2004 und Abschaffung der Khaki-Schuluniformen.

* Mustafa Nadim ist INAMO-Mitarbeiter.

Aus: inamo 34, Juli 2003

Anschrift der inamo-Redaktion: inamo-Redaktion, Dahlmannstr. 31, 10629 Berlin, Tel.: 030-86421845;
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