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Syrien: Westliche Unterstützer der Aufständischen wollen Einfluß der Muslimbrüder zurückdrängen

Von Karin Leukefeld *

Im Westen wächst offenbar die Kritik an der einseitigen Parteinahme zugunsten der oppositionellen »Nationalen Koalition« in Syrien. Die früheren Botschafter der USA und Frankreichs in Damaskus, Robert Ford und Eric Chevallier, haben einem Bericht der libanesischen Tageszeitung As Safir vom Wochenanfang zufolge bei einer dreitägigen Beratung in Paris gefordert, die Zusammenarbeit auf andere Gruppen der syrischen Gesellschaft auszudehnen. Vorgeschlagen wurde dort eine Erweiterung der »Nationalen Koalition« um 25 Sitze, damit »religiöse und ethnische Minderheiten« sowie Frauen zukünftig angemessen vertreten sind.

Mit einem solchen Schritt wollen die ausländischen Förderer eines Umsturzes in Syrien den Einfluß der islamistischen Muslimbruderschaft in der Nationalen Koalition zurückdrängen. Auch der Vertreter des oppositionellen Syrischen Demokratischen Forums, Michel Kilo, der zeitweise an den Diskussionen teilnahm, hatte wenige Tage zuvor im Gespräch mit junge Welt geäußert, die Muslimbruderschaft strebe zu sehr nach der Macht und müsse aufhören, andere Strömungen der Opposition auszugrenzen. Die »demokratische Opposition« verlange »die Erweiterung der Koalition, um ein nationales Gleichgewicht zu schaffen«.

Die Dominanz der Muslimbrüder wird finanziell durch Katar und die Türkei sichergestellt. Mit Hilfe der säkularen und liberalen Oppositionsgruppen wollen die USA nun offenbar verhindern, daß radikale Islamisten und Gotteskrieger wie Al-Qaida weiter unter deren Deckmantel gestärkt werden. Die Diskussion soll Anfang Mai in Kairo im Rahmen der »Nationalen Koalition« fortgesetzt werden, dann steht auch die Wahl eines neuen Präsidenten an. Mouaz Al-Khatib war zurückgetreten, nachdem er sich mit seinem Verhandlungskurs gegen die Muslimbruderschaft nicht hatte durchsetzen können. Sein Nachfolger, George Sabra, hat die Position nur vorübergehend eingenommen.

Die kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD), die im Norden Syriens wichtige Gebiete unter ihrer Kontrolle hat, lehnt eine Übergangsregierung der Opposition und eine Ölförderung unter deren Kontrolle ab. Die PYD, die als syrische Schwesterpartei der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gilt, hat ein Drittel der syrischen Ölförderung unter Kontrolle. Das dort weiterhin von syrischen Stellen geförderte Öl wird in die Raffinerie von Homs transportiert und in Kraftwerken Zentralsyriens eingesetzt. Mit der Begründung, das Öl sei Eigentum des ganzen syrischen Volkes, weigern sich die Kurden bislang, der »Freien Syrischen Armee« (FSA) und deren »Übergangsregierung« die Ölfelder zu überlassen.

Anders sieht es im Osten des Landes in der Region von Deir Ezzor aus. Dort haben Kämpfer der FSA und bewaffnete Stämme einige Ölfelder übernommen. Ein syrischer Oppositioneller erklärte gegenüber As Safir, 5000 Männer aus der Provinz würden in Jordanien von US-Spezialisten ausgebildet, um die Ölgewinnung übernehmen zu können. Jordanien, das selber über keine Bodenschätze verfügt, solle im Gegenzug Öl aus diesen Quellen erhalten.

Syriens Ölminister Suleiman Al-Abbas hatte Anfang April in einem Interview mit der syrischen Tageszeitung Al-Thawra die Schäden und Verluste im Ölsektor in den letzten zwei Jahren mit etwa drei Milliarden US-Dollar angegeben, ausländische Experten schätzen die Verluste auf vier Milliarden. Aufgrund des Embargos der Europäischen Union war das Land gezwungen, Ölprodukte auf dem Schwarzmarkt teuer einzukaufen, der Export von Öl wurde gestoppt. Deutschland, Frankreich und Italien gehörten zu den EU-Staaten, die Öl aus Syrien gekauft hatten. Einige Förderanlagen würden komplett deinstalliert und in die Türkei abtransportiert, sagte Abbas. Andere Fabrikanlagen, aber auch Lager für Weizen, Baumwolle und Rohöl, würden geplündert und an die bewaffneten Gruppen oder in die Türkei verkauft. Mindestens neun Ölquellen brennen teilweise seit November 2012, Versuche, die Brände zu löschen, würden von den Aufständischen verhindert. Manche gelöschten Anlagen gingen wenig später wieder in Flammen auf. Die Verwüstung der Ölfelder sei nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch eine Katastrophe, sagte der Minister. Die immensen Zerstörungen könnten dazu führen, daß eine Ölförderung in Zukunft gar nicht mehr möglich sei.

* Aus: junge Welt, Samstag, 4. Mai 2013


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