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"Die ausländischen Kämpfer töten die Prinzipien, mit denen wir den Protest begonnen haben"

Karin Leukefeld im Gespräch mit Haytham Manna, Auslandssprecher des oppositionellen Nationalen Koordinationskomitees für demokratischen Wandel in Syrien (NCB)


Haytham Manna ist Auslandssprecher des oppositionellen Nationalen Koordinationskomitees für demokratischen Wandel in Syrien (NCB). Der 1951 geborene Arzt und Psychotherapeut Manna stammt aus Deraa. Während des Aufstandes der syrischen Muslimbruderschaft (1979-1980) mußte Manna Syrien aus politischen Gründen verlassen. Seit 1982 lebt er in Frankreich und konzentriert sich neben seiner beruflichen Tätigkeit als Arzt (nicht mehr praktizierend) vor allem auf die soziale Entwicklung in der arabischen Welt und auf seine Tätigkeit in der Arabischen Kommission für Menschenrechte. [Beachten Sie bitte die Anmerkung ganz unten unter Fußnote 1!]


Wo steht die syrische Opposition heute? Trägt sie Verantwortung für den innersyrischen Krieg?

Haytham Manna: Wir haben in der Opposition Leute, die wir als “Last Minute Revolutionäre” bezeichnen. Sie waren nie Aktivisten. Allein im Syrischen Nationalrat kann ich Ihnen zehn Namen nennen. Vor drei Jahren habe ich diese Leute aufgefordert, eine Petition für Haitham Maleh zu unterschreiben, der damals verhaftet worden war. Sie haben abgelehnt! Mit der Begründung, sie seien Akademiker, objektiv und hätten mit Politik nichts zu tun. Und heute führen genau diese Leute die Extremisten in der Opposition. Sie fordern Macht für die Sunniten und wollen die Alewiten und Schiiten aus Syrien vertreiben. Sie rufen nach Bewaffnung und ausländischer Intervention. Keiner von ihnen spricht offen über die Söldner aus Libyen, Tunesien, Saudi Arabien, die in Syrien kämpfen. Keiner fordert ihren Abzug. Und uns bezeichnen sie als „moderat“, als „Komplizen des Regimes“, weil wir für einen Dialog eintreten.

Sie machen Extremisten im Syrischen Nationalrat für das Scheitern des friedlichen syrischen Aufstandes verantwortlich?

Haytham Manna: Der Nationalrat wird von islamischen Kräften und der Muslimbruderschaft dominiert. Am Anfang war es nur ein Fehler, die paar Dutzend ausländische Kämpfer aus Ägypten und Libyen nicht zu erwähnen. Aber es wurden Hunderte! Und diese Hunderte töten die syrische Revolution. Sie töten die Prinzipien, mit denen wir den Protest begonnen haben. Mit zwei Worten haben wir angefangen: Freiheit und Würde. Und heute gibt es nur noch einen Ruf: Takbir! Allah u’Akhbar. Das bedeutet: Sprecht mir nach: Allah ist groß! Dschihadisten,, syrische Extremisten und Islamisten wollten von Anfang an eine militärische Auseinandersetzung, aber sie wussten, dass wir, die Säkularen, die Humanisten, die Aktivisten der zivilen Bewegung keinen Dschihad, keinen ‚Heiligen Krieg’ wollen. Für uns geht es um eine Veränderung, die dem Leben Wert gibt, nicht dem Tod. Mit allem Respekt für den Tod und allem was danach kommt – heute leben wir. Und wir haben das Recht auf ein Leben in Würde und Freiheit.

Die französische Regierung hat die syrische Opposition aufgefordert, eine Übergangsregierung zu bilden ….

Haytham Manna: Wie können wir als Opposition Respekt von den Syrern erwarten, wenn uns Herr Fabius (franz. Außenminister) den neuen Weg für Syrien vorschreibt. Wie können wir uns selber noch respektieren!

Immerhin ist diese Opposition, die Fabius oder Hollande ansprechen, der Syrische Nationalrat, in den Medien sehr präsent.

Haytham Manna: Uns verweigert man dieses Recht. Wir haben nicht das Recht im CAP, dem Club der Auslandsjournalisten in Paris zu sprechen. Weder ich, noch Michel Kilo noch Fayez Sara, und das im demokratischen Frankreich! Und als wir vor zwei Wochen die Initiative für einen Waffenstillstand gestartet haben, hat nicht einmal die BBC, die als besonders objektiv gilt, über den Inhalt der Initiative berichtet. Stattdessen haben sie die Berichterstattung der Golfstaatensender Al Jazeera und Al Arabiya übernommen: Der Syrische Nationalrat weist die Initiative für einen Waffenstillstand zurück ….“. Sie informieren ihr Publikum, das den Sender respektiert, nicht einmal über den Inhalt der Initiative, sie berichten nur, dass der SNR die Initiative ablehnt.

Gab es denn positive Reaktionen auf die Initiative zum Waffenstillstand?

Haytham Manna: Bewaffnete Gruppen und vor allem Leute aus Aleppo haben positiv reagiert. Allein ich habe, hier in Paris, mehr als 200 Anrufe aus Aleppo bekommen. Leute haben mir gesagt, dass sie einen Waffenstillstand unterstützen und wollen, dass der „Schmutzige Krieg“, wie sie ihn nennen, gestoppt wird. Nichts davon erscheint in den Medien.

Gab es politische Reaktionen auf die Initiative?

Haytham Manna: Ja, Herr Lavrov (russischer Außenminister, Anm. kl) hat den Vorschlag begrüßt und aus dem Büro von Kofi Annan hatten wir sehr gute Reaktionen. Auch Griechenland, Italien, Ungarn, mehr als 10 europäische Staaten haben mit uns Kontakt aufgenommen und wollten wissen, wie der Vorschlag nach dem Amtsantritt von Lakhdar Brahimi umgesetzt werden kann.

Gab es eine Reaktion der (deutschen) Bundesregierung?

Haytham Manna: Nein, Deutschland hat nur Kontakt mit zwei Gruppen. Mit dem SNR und mit einer kleineren Gruppe, die aus dem SNR ausgetreten ist. Aber mit 20 anderen europäischen Staaten haben wir regelmäßigen Austausch.

Gab es denn eine Reaktion der syrischen Regierung?

Haytham Manna: Vizepräsident Faruk Sha’ara und Ali Haidar, der Minister für nationale Versöhnung haben den Vorschlag öffentlich unterstützt. Am 12. September ist eine große Konferenz der syrischen Opposition in Damaskus geplant, dort sollen weitere Schritte der Umsetzung besprochen werden. 21 politische Parteien aus Syrien haben ihre Teilnahme zugesagt, wir hoffen, dass auch Lakhdar Brahimi oder ein Beauftragter von ihm teilnehmen wird.

In Deutschland wurde vor einer Woche von syrischen Oppositionellen ein Plan für “Den Tag Danach” veröffentlicht. Was halten Sie davon?

Haytham Manna: Die Leute, die jetzt den Plan vorgestellt haben, wollen einem das Gefühl vermitteln, dass man sich keine Sorgen machen muss, sollte das Regime morgen fallen. In einer historischen Phase wie jetzt, wird das Morgen aber durch die Entwicklung zwischen heute und morgen bestimmt. Da gibt es viele Szenarien. Wenn es einen Militärputsch gibt, wird die Entwicklung ganz anders aussehen, als das, was die Leute jetzt vorgeschlagen haben. Und wenn die Kämpfer, die aus der Türkei kommen und jetzt Aleppo besetzt halten, morgen versuchen nach Damaskus zu marschieren, wird es wieder ganz anders sein. Die werden niemanden nach einem Plan für den „Tag danach“ fragen. Sie werden niemanden eine neue Regierung wählen lassen. Sie werden – mit all ihren extremistischen Ideen - die Macht übernehmen und die Herrscher des Syriens von morgen werden.

* Eine gekürzte Fassung dieses Interviews erscheint am 3. September in der Tageszeitung "neues deutschland".


Fußnote 1
Um einer evtl. Namensverwechslung zuvorzukommen, weist Karin Leukefeld in einem extra Schreiben auf einen anderen Syrer des Namens Haythem Maleh hin, der doch eine etwas andere Biographie hat als der von ihr interviewte Haythem Manna:
Der 1931 geborene Haythem Maleh ist langjähriger Menschenrechtsanwalt in Syrien. Er wurde mehrfach verhaftet, zuletzt 2009. Maleh kam infolge einer Amnestie von Präsident Bashar al-Assad am 8. März 2011 frei und verließ Syrien. Seitdem engagiert er sich in den Reihen der Opposition, zunächst im Syrischen Nataionalrat, dann in der offen Unterstützung des bewaffneten Kampfes. Im Januar 2012 erklärte Maleh in einem Interview mit dem britischen Daily Telegraph, „Assad und seine Familie wird in Syrien getötet werden, sein Ende wird sein wie das von Gaddafi“. Im Juli rief Maleh in Kairo einen „Rat für die syrische Revolution“ ins Leben, der unter seiner Führung eine Übergangsregierung bilden soll. Maleh will Aleppo zu einer international verteidigten Schutzzone für die syrische Opposition machen, „von dort werden wir nach Hause zurückkehren.“




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