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Arabische Initiative kann den Konflikt lösen

Samir Aita über die syrische Opposition und ausländische Interessen


Samir Aita ist Chefredakteur der arabischen Ausgabe von »Le Monde Diplomatique«. Der Ökonom stammt aus Damaskus und hat zehn Jahre lang das syrische Regime bei seinem Reformprogramm beraten. Heute sieht er sich als Berater des patriotischen syrischen Aufstandes. Mit ihm sprach für neues deutschland (nd) Karin Leukefeld.


nd: In Syrien entwickelt sich ein bewaffneter Kampf zwischen Aufständischen und der Armee. Wie bewerten Sie die Lage der Opposition?

Aita: Der Aufstand, oder zumindest Teile davon, haben sich vom ursprünglichen Ziel entfernt. Es ging um Freiheit, Würde, menschliche Werte, heute wird hart gekämpft. Da werden dann auch an einem Tag 40 Soldaten von der so genannten Freien Syrischen Armee getötet. Mit dieser Entwicklung kommt der »Syrische Frühling« vom Kurs ab. Indiz dafür sind auch die Freitagsparolen, die einen humanitären Inhalt hatten und den nationalen Zusammenhalt forderten. Nun werden Luftangriffe gefordert, Flugverbotszonen. Wo kommt das her? Die Revolution will menschliche Werte umsetzen, das ist mehr, als das Regime zu stürzen.

Das heißt, die Protestbewegung hat sich verändert?

Die Hauptverantwortung dafür tragen die Assad-Familie und das Regime. Die Bewegung forderte Freiheit, Würde und das Recht, als Volk den Staat zu kontrollieren. Ein Staat repräsentiert das Volk, nicht eine Familie. Doch die Antwort war Gewalt, viele der politischen Führer mittleren Alters wurden verhaftet. Sie hatten sich im »Damaszener Frühling« politisiert, waren moderat, säkular. Nun haben unverantwortliche Personen die Führung übernommen. Und wenn die politischen Kräfte, wenn die Intellektuellen ihrer Verantwortung nicht gerecht werden und sagen, dass es um politische Ziele geht, nicht um Rache, dann wird es aus dem Ruder laufen.

Die bewaffneten Gruppen im Lande sollen Geld und Waffen aus dem Ausland bekommen. Können Sie das bestätigen?

Ja, das Ausland hat seine Interessen. Syriens geografische Lage im Mittleren Osten ist dabei sehr wichtig. Durch Syrien verläuft die Straße zwischen der Türkei und dem Golf. Manche Staaten wollen auf dem Rücken von Syrien ihre Probleme mit Iran oder mit der Hisbollah austragen, oder ihre Konkurrenz zur Türkei. Manche Staaten wollen den Golfstaaten einen Gefallen tun, weil diese ihnen aus ihrer finanziellen Krise helfen. Ich habe europäischen und US-Politikern gesagt, sie sollen ihre geopolitischen Interessen von dem trennen, was in Syrien geändert werden muss. Wenn sie Teile der Opposition anfeuern, ihr Spiel zu spielen, wird die ganze Region in die Luft fliegen.

Und was ist die Antwort?

Sie lächeln, sie spielen ein doppeltes Spiel. Niemand kann mich davon überzeugen, dass sie so viel Druck auf Syrien machen, weil sie Gutes für die Menschen wollen.

Und warum wird so viel Druck für eine Resolution des UN-Sicherheitsrats gemacht?

Es gibt eine Konkurrenz zwischen denen, die den UN-Sicherheitsrat einschalten wollen, und denen, die eine Lösung durch die Arabische Liga wollen. Der arabische Plan will Beobachter ins Land bringen, die Gewalt von allen Seiten stoppen und die Gefangenen befreien. Dann soll es Verhandlungen zwischen der Opposition und dem Regime geben, damit es wirkliche Änderungen einleitet. Das ist ein Prozess. Diejenigen aber, die zum UN-Sicherheitsrat drängen, wollen mit einer Resolution nur einen Vorwand, um das libysche Beispiel zu wiederholen. Die Russen spielen mit einer eigenen Resolution mit, um ihnen diesen Vorwand nicht zu geben.

Welche Rolle spielt dabei der Syrische Nationalrat (SNR)?

Der SNR wollte von Anfang an den Weg zum Sicherheitsrat. Er wollte den Ausschluss von Syrien aus der Arabischen Liga, um selber als souveräner Vertreter Syriens anerkannt zu werden - als nicht gewähltes Gremium, nach libyschem Vorbild. Darauf hat sich die Arabische Liga nicht eingelassen. Bis heute versucht man, die arabische Initiative zu stoppen und stattdessen eine ausländische Militärintervention unter humanitären Vorwänden durchzusetzen.

Bagdad hat seine Vermittlung angeboten, gibt es Aussicht auf Erfolg?

Das irakische Regime versteht sich mit Iran, mit der syrischen Regierung und mit der Hisbollah. Gleichzeitig gibt es einen Gesprächskontakt mit Washington. Das Wichtigste ist, die ausländischen Interessen an Syrien und die internen Probleme auseinanderzuhalten. Es gibt einen türkischen, einen französischen, einen katarischen Plan. Iran, Russland, die USA haben ihren Plan, mit all diesen Interessen muss verhandelt werden. Die Initiative der Arabischen Liga ist der beste Plan, um den Konflikt in Syrien zu lösen. Jedes Land, das dabei hilft, die Bedingungen für einen Dialog umzusetzen, ist willkommen.

* Aus: neues deutschland, 27. Dezember 2011

Todenhöfer: Gewalt in Syrien geht von beiden Seiten aus **

„Über die Hälfte der Meldungen aus Syrien ist falsch." Das sagte der Autor und Manager Jürgen Todenhöfer im Deutschlandfunk und bezieht sich dabei auf Beobachtungen, die er bei seinen Reisen ins Land gemacht hat. Freie Medien gebe es nicht mehr. Viele Meldungen würden frei erfunden. Daher sei es gut, dass nun durch die Arabische Liga Beobachter ins Land kämen, die objektiv berichten könnten.

Todenhöfer sagte, er wisse nicht, welche Seite schlimmer sei – die Regierung oder die Rebellen. Von beiden gingen Angriffe auf Zivilisten aus. Es sei nötig, die Opposition innerhalb und außerhalb Syriens zusammen mit der Regierung an einen Verhandlungstisch zu bringen. Seiner Meinung nach sollten führende westliche Politiker solche Verhandlungen anstoßen. Die Argumentation „Mit Mördern darf man sich nicht an einen Tisch setzen" sei inakzeptabel. Sonst hätte auch niemand mit Breschnew oder Bush verhandeln dürfen.

** Meldung in DRadio, Dienstag, 27. Dezember 2011, 09:21 Uhr; http://wissen.dradio.de




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