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Diffizile Gemengelage

Analyse. Die nationale, regionale und internationale Ebene des Syrien-Konflikts

Von Karin Leukefeld *

Der Konflikt in Syrien hat drei Ebenen: eine nationale, eine regionale und eine internationale. Sie sind jeweils in weitere Konfliktebenen unterteilt. Hinzu kommen islamische Spannungsbögen von Nord nach Süd (Sunniten) und von Ost nach West (Schiiten), die sich in Syrien kreuzen. In diesem Feld leben religiöse und ethnische Gruppen, die es lange vor der Entstehung des Islam im 7. Jahrhundert gab. Beduinen und andere Stämme bilden über die derzeitigen internationalen Grenzen hinaus seit Jahrhunderten in der Region eine lebendige gesellschaftliche Struktur. Verschiedene Nationalitäten (Tscherkessen, Armenier, Assyrer, Palästinenser, Iraker) wanderten im Laufe der letzten Jahrhunderte auf der Flucht vor Verfolgung ein. In diesen Gruppen wiederum spiegeln sich weitere religiöse Verschiedenheiten, jenseits derer, die sie in ihrer Wahlheimat Syrien vorfanden.

Anders als Rußland, Iran, Indien und China, die ähnlich vielfältige Gesellschaften haben, tragen weder die oppositionellen bewaffneten Kräfte, noch die oppositionelle Nationale Koalition, noch die Golfmonarchien, die EU-Staaten und die USA der komplexen Realität in Syrien Rechnung. Angst und militärische Gewalt lassen für politische Lösungen keinen Raum. Die mangelnde Bereitschaft aller Akteure – national, regional und international –, den Krieg zugunsten einer politischen Lösung zu beenden, kann Syrien und seine kulturell vielfältige und tolerante Gesellschaft auf lange Zeit zerstören.

Die nationale Ebene

Die nationale Ebene des Konflikts in Syrien reicht weiter zurück als die ihn eröffnenden Ereignisse in Deraa im März 2011 es offenlegen, wo Re­gimegegner und Sicherheitskräfte sich über Tage Kämpfe lieferten. Seit dem Ende der französischen Mandatszeit im Jahr 1946 hat eine Fülle von Konflikten das souveräne Syrien, seine Gesellschaft, Wirtschaft und Politik begleitet.

Der tiefste und älteste Konflikt auf nationaler Ebene ist das ausgeprägte Stadt-Land-Gefälle. Ursache dafür ist die unterschiedliche Entwicklung der modernen Stadt- und der konservativen Landbevölkerung. Soziologen wie der aus Aleppo stammende Yousef Courbage machen den unterschiedlichen Entwicklungsstand an der Geburtenzahl pro Familie und der Mobilität bzw. Bildung und Berufstätigkeit der Frauen fest. Während die städtischen Familien selten mehr als drei Kinder haben, sind es bei den Familien auf dem Land oft bis zu zehn. In den ländlichen Gebieten lebt die Bevölkerung in Stammes- und Großfamilien, die Autorität des religiösen Scheichs oder Stammesführers zählt oft mehr als die des Staates. Es gibt ein Bildungs- und Einkommensgefälle zwischen der ländlichen und der städtischen Bevölkerung. Soziokulturell liegen die städtische und ländliche Gesellschaft Syriens ganze Jahrhunderte auseinander, sagt Courbage.

Durch rasches Bevölkerungswachstum und große Landflucht infolge einer fast zehnjährigen Dürre im östlichen Mittelmeerraum sind Hunderttausende Menschen vom Land in die Städte gezogen. Um die Provinzhauptstädte Deir Ezzor, Aleppo, Hama, Homs und Damaskus entstanden Satellitenstädte und informelle Siedlungen, deren Bevölkerungszahlen bald die der ursprünglichen Städte um ein Vielfaches übertrafen.

Dem Staat, der sich politisch und wirtschaftlich seit 2000 in einer rasanten Umbruchphase befindet, gelang es nicht, diese ländliche Bevölkerung in das städtische Leben einzubeziehen. Zwar entstanden Krankenhäuser, Schulen und Wohnungen, Strom-, Wasser-, Telefon- und Internetleitungen wurden gelegt. Doch es fehlte eine Arbeitsperspektive für die überwiegend junge Bevölkerung. Die Umwandlung der Ökonomie von der staatlichen Plan- zur liberalen Marktwirtschaft überforderte Millionen Menschen, aber auch die nationale Ökonomie. Als das Land sich 2005 für ausländische Investoren öffnete und vor allem die Türkei davon profitierte, mußten Klein- und Familienbetriebe reihenweise schließen.

Zu den weiteren Konflikten auf der nationalen Ebene gehören die Spannungen zwischen der säkular orientierten Arabisch-Sozialistischen Baath-Partei Syriens (gegründet 1947, in Syrien 1966) mit so ziemlich allen anderen Parteien des Landes. Ob Kommunisten, Sozialisten, Liberale, Nasseristen oder Monarchisten, die Baath-Partei beanspruchte die Alleinvertretung, die sich schließlich in der Verfassung wiederfand. Angehörige anderer Parteien, selbst Andersdenkende in den eigenen Reihen wurden ausgegrenzt, verfolgt, inhaftiert, getötet, viele verließen das Land. Mit der Bildung einer Nationalen Progressiven Front 1972 konnten einige der Parteien offiziell und auch auf parlamentarischer Ebene wieder arbeiten.

Herausragender innenpolitischer Konflikt ist der zwischen der säkularen Partei und der Muslimbruderschaft. Diese Organisation des politischen Islam war 1928 in Ägypten gegründet worden; in Syrien entstand sie 1937. Ein Aufstand der Muslimbruderschaft zwischen 1978 und 1982 wurde in Hama mit Armee und Luftwaffe blutig niedergeschlagen. Tausende flohen in den Norden Jordaniens, nach Ägypten oder in die Golfstaaten. In Aachen in Westdeutschland fand die Führung der Muslimbruderschaft Zuflucht.

Wichtig ist auch der Konflikt zwischen der Baath-Partei und der kurdischen Nationalbewegung, die mit dem Erstarken der Kurden im Nord­irak in den 1960er Jahren auch in Syrien an Bedeutung gewann. Im Laufe der Jahre differenzierte sich die kurdische Bewegung in verschiedene Gruppen. Heute ist die Partei der demokratischen Union, die der Kurdischen Arbeiterpartei PKK nahesteht, die stärkste Partei und Bewegung für die Interessen der Kurden in Syrien.

Der Konflikt zwischen der Baath-Partei mit der Muslimbruderschaft einerseits und der kurdischen Nationalbewegung andererseits verweist exemplarisch auf grundlegende Prinzipien, nach denen Syrien politisch unter der Baath-Partei ausgerichtet wurde. Jeder Syrer hat das Recht und die Freiheit, eigene kulturelle, nationale und religiöse Werte zu leben. Verboten ist es, kulturelle, nationale oder religiöse Prinzipien für eine politische Mobilisierung einzusetzen. Das Prinzip, Religion oder nationale Zugehörigkeit von Politik zu trennen, wurde auch in der neuen Verfassung verankert, die 2012 per Referendum angenommen wurde. Der Vorgang war umstritten, da zu dem Zeitpunkt weite Teile des Landes umkämpft waren und viele Syrer sich nicht an dem Referendum beteiligen konnten oder wollten.

Weitere nationale Besonderheiten

Wie in jedem Staat und jeder Gesellschaft, gibt es auch in Syrien einen Generationenkonflikt, der sich in der aktuellen Lage widerspiegelt. Dabei ist wiederum das Stadt-Land-Gefälle zu berücksichtigen. Männliche junge Erwachsene aus den Satellitenstädten und informellen urbanen Siedlungen sowie aus ländlichen Gebieten, wo Stämme über mehr Autorität als der Staat verfügen (Deir Ezzor, Idlib), schließen sich rasch den bewaffneten Gruppen an, oft gegen Rat oder Gebot der Eltern. Es gibt Familien mit einem Sohn bei den Aufständischen und einem anderen bei der Armee. Junge Frauen haben bei den Islamisten oft als Ehegattinnen von Kämpfern herausragende Aufgaben übernommen. Die städtische Jugend zeigt eine andere Herangehensweise an die aktuelle Auseinandersetzung. Analytisch, kreativ und humanitär orientiert, haben viele sich am Anfang an Protesten beteiligt, mit zunehmender Gewalt haben sie sich von Aktivitäten zurückgezogen.

Ein weiterer nationaler Konflikt entstand nach der israelischen Invasion und Besetzung der Golanhöhen 1967, was zu einer starken Militärpräsenz in der Umgebung der Hauptstadt Damaskus führte. Agrarflächen, Grund und Boden von Klein- und Großgrundbesitzern wurden verstaatlicht, um Flughäfen, Truppenübungsplätze und militärische Stellungen samt Kasernen und Unterkünften für das zivile Personal und die Militärangehörigen zu bauen. Die Landbesitzer wurden damals zu sehr geringen Sätzen entschädigt. Mit dem wirtschaftlichen Boom nach 2000 stiegen die Grund- und Bodenpreise enorm, also wurde die Enteignung erneut von unzufriedenen ehemaligen Grundbesitzern vorgebracht, die weitere Entschädigungen forderten. Konflikte entstanden auch durch die Enteignung von Land zugunsten ausländischer Investitionen.

Ein zentraler Konflikt besteht zwischen der Bevölkerung und den verschiedenen Geheimdiensten, die sich jenseits staatlicher Gesetze und Vorgaben Autorität anmaßen. Da diese Geheimdienste wiederum unterschiedliche Terrains für sich abgesteckt haben (regional, politisch, wirtschaftlich und anderes mehr), entstehen Interessenkonflikte auch unter diesen Diensten. Die bereits beschriebenen Konflikte – insbesondere das Stadt-Land-Gefälle – spiegeln sich in den Geheimdiensten wider.

Die Abwesenheit einer zivilgesellschaftlichen und öffentlichen politischen Debatte ist auf politische Repression zurückzuführen. Die Entstehung einer zivilgesellschaftlichen Opposition, Gewerkschaften oder anderer Gruppen – wie sie beispielsweise in Ägypten zu finden ist – wurde weitgehend verhindert. Gewerkschaftliche Organisierung gibt es – staatlich kontrolliert – eher im Angestellten- und Kulturbereich. Da Syrien ein Agrarstaat ist, gibt es keine Industriegewerkschaft. Die Arbeiter im Agrarbereich sind – jenseits von Kleinbauern und Nomaden – ebenfalls staatlich organisiert. Seit dem Jahr 2000 konnten zwar – unter der Schirmherrschaft von Asma Al-Assad, der Ehefrau von Präsident Baschar Al-Assad – neue Medien und damit neue zivilgesellschaftliche Gruppen entstehen, mit Beginn der unorganisierten Protestbewegung allerdings zogen sie sich zurück. Beispiel für das neue Klima war das monatlich in englischer Sprache erscheinende Magazin Syria Today, das in den Städten und Hotels (für ausländische Gäste) zu finden war. Ende 2012 mußte das Magazin sein Erscheinen einstellen.

Die beschriebenen innenpolitischen Konflikt­ebenen werden durch die politische Umbruchsituation verstärkt, in der sich Syrien seit der Auflösung der Sowjetunion befand. Das Land war eng mit der Sowjetunion sowie anderen sozialistischen Staaten verbündet und gehört bis heute der Bewegung der Blockfreien Staaten an.

Seit 1979 verbindet Syrien eine strategische Partnerschaft mit dem Iran. Baschar Al-Assad, der im Jahr 2000 die Regierungsgeschäfte nach dem Tod seines Vaters übernahm, leitete umfassende Reformen ein. Sie stießen auf strukturelle und finanzielle Probleme, machten aber auch Unterschiede innerhalb des Regimes deutlich, das Hafez Al-Assad seit den 1970er Jahren zur Stabilisierung und Kontrolle Syriens – und seiner Machtposition – aufgebaut hatte. Die veränderte außenpolitische Situation nach den Anschlägen des 11. September 2001 in New York machten den gesamten Mittleren Osten zur Zielscheibe US-amerikanischer Angriffe, die sich im Krieg gegen Afghanistan und Irak und in permanenten Kriegsdrohungen gegen Iran (seitens Israels) zeigten. Das Reformprogramm von Al-Assad kam vor diesem Hintergrund nicht voran.

Die regionale Ebene

Die regionale Ebene des Konflikts in Syrien hat eine historische Dimension in der Konkurrenz der großen Regionalstaaten Türkei, Iran, Saudi-Arabien um die Vorherrschaft. Diese geostrategische Konkurrenz wird heute mit angeblichen religiösen Konflikten verdeckt. Türkei und Saudi-Arabien werden sunnitisch-islamisch geführt, Iran von schiitisch-islamischen Klerikern. In Syrien kreuzen sich seit der Spaltung des Islam im Jahr 680 beim Kampf um die Nachfolge des Propheten Mohammad bei Kerbala der sunnitische Bogen (Nord-Süd) mit dem schiitischen Bogen (Ost-West).

Als Präsident eines säkularen, dem eigenen Anspruch nach sozialistischen Staates war Hafez Al-Assad das Bündnis mit dem Iran eingegangen, um sich gegen die mit dem Westen alliierten Türkei (NATO) und den mit den Golfstaaten und dem Westen verbündeten Irak abzusichern. Saudi-Arabien stand dieser strategischen Partnerschaft Syriens mit dem Iran von Anfang an skeptisch gegenüber. Der Iran ist seit der Islamischen Revolution 1979 ein von schiitisch-islamischen Klerikern geleiteter Staat, ein religiöses Gegenmodell zu den historischen Herrschern der arabischen Welt, den sunnitischen Königshäusern und Autokratien, die schon vor dem Ende des Osmanischen Reichs im Jahr 1918 (Besetzung großer Gebiete durch die Siegermächte des Ersten Weltkrieges) enge Beziehungen mit den USA und Europa aufgenommen hatten. Syrien hatte dagegen seit dem Sykes-Picot-Abkommen Großbritanniens und Frankreichs, mit dem im Mai 1916 die geographische Region von Groß-Syrien (Syrien, Libanon, Palästina) in zwei Interessensphären beider Länder aufgeteilt worden war, eine ablehnende Haltung zur westlichen Politik. Mit der Balfour-Deklaration vom 2. November 1917 wurde von den Briten der zionistischen Weltbewegung eine »jüdische Heimstätte in Palästina« zugesagt, was die Syrer vehement ablehnten. Die französische Mandatsmacht in Syrien endete 1946. Die britische Mandatsmacht zog sich aus Palästina kurz vor der Gründung Israels im Mai 1948 zurück. Als enger Verbündeter des Westens spaltet Israel die arabische Welt.

Gegenspieler um die regionale Vorherrschaft in der Region mit dem Iran ist das ölreiche sunnitisch-wahhabitische Königshaus der Ibn Saud. Als »Beschützer der Heiligen (islamischen) Stätten von Mekka und Medina« beansprucht Riad eine herausragende Autorität in der arabisch-islamischen Welt. Eine ähnliche Konkurrenz um regionalen Einfluß besteht zwischen der Türkei und dem Iran. Syrien, das über Jahrzehnte mit der Sowjetunion eng verbündet war und dieses Verhältnis mit Rußland bis heute fortführt, liegt im Spannungsfeld dieser regionalen Großmächte. Mit dem Sturz des irakischen Staatspräsidenten Saddam Hussein während der US-Invasion im Jahr 2003 konnte der Iran – durch seine enge Verbindung mit schiitisch-muslimischen Organisationen im Irak, die der Iran früher geheim, nun offen unterstützte – seinen Einfluß im überfallenen Land erweitern. Der jordanische König Abdullah II. warnte 2004 als erster vor einem »schiitischen Halbmond« von Teheran über Bagdad, Damaskus bis zur Hisbollah im Libanon. Vermutlich war es kein Zufall, daß dieser »schiitische Halbmond« mit US-Präsident George W. Bushs »Achse des Bösen« übereinstimmte.

Die Spannungen zwischen Iran und Saudi-Arabien verschärften sich nach dem Krieg im Irak eher indirekt in den Staaten der Region, in denen die beiden Konkurrenten ihren Einfluß ausweiten wollen: Irak, Syrien, Libanon, kleinere Golfstaaten wie Bahrain sowie Jemen sahen unterschiedliche Ebenen von Gewalt und Kämpfen. Wahhabitische und salafistische Prediger, die von Saudi-Arabien unterstützt werden, bezeichneten öffentlich schiitische Muslime und deren Ausrichtungen (z.B. Alawiten) als Ungläubige. Die Auseinandersetzungen nahmen verbal die Form eines Religionskrieges an. Der saudische Obermufti Abdul-Aziz ibn Abdullah al Asch-Sheikh forderte im März 2013 die Zerstörung von Kirchen auf der arabischen Halbinsel. Drei Monate später rief er zum »Heiligen Krieg« gegen die (schiitisch-muslimische) Hisbollah auf. Von einem Aufruf zum »Heiligen Krieg« in Syrien nahm der Großmufti Abstand. Das erledigten sunnitische Kleriker zur selben Zeit mit einer Fatwa, die sie in Kairo bekanntmachten. Sunniten müßten mit allen Mitteln gegen die Ungläubigen in Damaskus kämpfen, hieß es.

Mit Beginn des »Arabischen Frühlings« zur Jahreswende 2010/11 in Tunesien und Ägypten, stieg die Muslimbruderschaft (mit finanzieller, medialer und militärischer Unterstützung des reichen Emirats Katar, einem Gegenspieler von Saudi-Arabien) zum neuen Machtfaktor auf. Das rief die Türkei auf den Plan, deren regierende AKP ebenfalls eine Partei der Muslimbruderschaft ist. Mit Ermunterung des Westens – der angesichts des Sturzes seiner langjährigen Verbündeten in Ägypten und Tunesien zunächst ratlos schien – beanspruchte die Türkei erneut ihre Führungsrolle in der Region. Allerdings besteht in der arabischen Bevölkerung ein Bewußtsein über die 400 Jahre lange Herrschaft des Osmanischen Reichs, als dessen Nachfolger die heutige türkische Führung immer offener agiert.

Die wichtigsten regionalen Akteure im syrischen Krieg sind heute die Türkei, Saudi-Arabien, Katar, Ägypten und der Iran. Libanon und Jordanien dienen als Aufmarschgebiet der Aufständischen unter ausländischer Kontrolle; Israel hält sich mit öffentlichen Stellungnahmen zurück. Trotz Kriegszustand zwischen Syrien und Israel war die Grenze zwischen beiden Staaten jahrzehntelang ruhig. Aus Kreisen des im Juni 2013 teilweise abgezogenen österreichischen UNDOF-Kontingents (seit Mai 1974 die UN-Mission zur Überwachung der entmilitarisierten Zone auf dem Golan) war kürzlich zu hören, daß Israel aktiv – logistisch, medizinisch, humanitär und militärisch – die bewaffneten Kämpfer unterstützt, die aus Jordanien über die entmilitarisierte Zone des Golan nach Syrien vordringen. Seit Anfang des Jahres hat Israel mehrfach Luftangriffe gegen Stellungen der syrischen Streitkräfte geflogen. Angeblich seien »Waffenkonvois an die Hisbollah« das Ziel gewesen.

Die internationale Ebene

Der von den USA ausgerufene »Krieg gegen den Terror« nach 9/11 teilt die Welt in Freunde und Feinde der Hegemonialmacht. Im Mittleren Osten und auf der Arabischen Halbinsel schlossen sich nahezu alle arabischen Staaten dem US-Lager an – auch die Türkei, dem NATO-Frontstaat in der Region. Syrien und Irak wurden vom damaligen US-Präsidenten George W. Bush als Teil der »Achse des Bösen« verdammt, auf der sich auch der Iran und die libanesische Hisbollah befinden. Alle vier »Bösen« verbindet eine historisch und geostrategisch bedingte Politik des Widerstands gegen westliche Hegemonialansprüche in der Region. Die wird vor allem von Israel, aber auch durch zahlreiche Militärabkommen und eine massive westliche Militärpräsenz im östlichen Mittelmeerraum und rund um die Ölquellen der Golfstaaten hervorgerufen. Sowohl der frühere Irak unter Saddam Hussein als auch die Außenpolitik des heutigen Irak entsprechen – wenngleich aus unterschiedlichen Gründen – nicht den westlichen Interessen in der Region. Ebenso der »schiitische Halbmond« (Iran, Irak, Syrien, Hisbollah/Libanon), mit dem angeblich Muslime gegeneinander aufgehetzt werden sollen. Das sei die »Achse des Bösen«, die von den USA und ihren Verbündeten bekämpft wird.

Der militärische Konflikt, der sich in Syrien 2011 aus der Protestbewegung entwickelte, wurde zunächst (regional aus Jordanien, Libanon und der Türkei) von der (in Syrien verbotenen) Muslimbruderschaft geschürt. Heute soll es weit über 1000 bewaffnete Gruppen in Syrien geben, eine gemeinsame militärische Führung fehlt. Geld und Waffen fließen mit Hilfe und unter Beobachtung westlicher Geheimdienste aus Katar, Saudi-Arabien, Libyen, Jordanien und Kroatien an die Kämpfer in Syrien. Ziel des westlichen Auslands und der Golfstaaten ist die Entmachtung des Präsidenten Al-Assad, der die strategische Partnerschaft mit dem Iran und der Hisbollah, vor allem aber die nationale Souveränität Syriens erhalten will. Ziel westlicher internationaler Interessen ist die Schwächung, Zerstörung oder Teilung Syriens, um den Iran und die Staaten West- und Zentralasiens zu schwächen. Rußland, China, Indien und Iran unterstützen Assad aus geostrategischen Interessen. Sie wollen eine Ausweitung von US-amerikanischen Hegemonialansprüchen nach Zentralasien verhindern.

US-Präsident Barack Obama bekräftigt, einzige Weltmacht zu sein. Der frühere nationale Sicherheitsberater von US-Präsident James Carter, Zbigniew Brzezinski, kritisierte kürzlich, daß die Kriege in Afghanistan, Irak und Libyen die Welt instabil gemacht und in ökonomische Turbulenzen geführt hätten. Die USA müsse »den Dialog mit Rußland und China, Japan und Indien« suchen, um die Krise in Syrien zu lösen. Statt dessen werde eine »Massenpropaganda betrieben«, mit der der »Krieg in Syrien als demokratischer Krieg« dargestellt werde, sagte Brzezinski dem Sender MSNBC am 13.Juni 2013. In seinem 1997 erschienen Buch »Das Große Schachbrett« führte er die US-amerikanischen Interessen als »einzige Weltmacht« und die damit verbundenen geopolitischen Zielsetzungen für die kommenden 30 Jahre aus. Eurasien – Eurasien reicht von Europa im Westen, Rußland im Norden, der Arabischen Halbinsel und Indien im Süden und China im Westen – mit seinen reichen Rohstoffen wird demnach »das Schachbrett (sein), auf dem der Kampf um globale Vorherrschaft auch in Zukunft ausgetragen wird«.

* Aus: junge welt, Dienstag, 9. Juli 2013


Die jüngste Meldung aus Syrien:

Assad entlässt Führung der Baath-Partei / Regierungstruppen greifen Homs an

Die gesamte Führung der syrischen Baath-Partei mit Ausnahme von Präsident Baschar al-Assad ist entlassen worden. Die Mitglieder der Parteiführung seien neu bestimmt worden, hieß es am Montag auf der Website der Partei. Unter den abgesetzten Parteichefs war auch Vizepräsident Faruk al-Scharah, der Kritik an der Politik Assads geäußert hatte. Scharah hatte Mitte Dezember öffentlich geäußert, dass er Verhandlungen mit den syrischen Rebellen für sinnvoll halte und damit im Widerspruch zu Assad stehe. Seiner Ansicht nach könne keine der Bürgerkriegsparteien den Konflikt militärisch gewinnen. Scharah war 22 Jahre lang syrischer Außenminister

Die syrischen Regierungstruppen machen bei ihren Angriffen auf die Rebellenhochburg Homs nach Angaben einer Nichtregierungsorganisation Fortschritte. Die Regierungstruppen seien in Teile des bisher von den Rebellen gehaltenen Stadtviertels Chaldijeh vorgedrungen, hieß es am Montag telefonisch aus der umkämpften Stadt. Dabei setze die Armee »jede Art tödlicher Waffen« von Flugzeugen über Raketenwerfer bis zu Panzern und Artillerie ein. Es seien die schwersten Kämpfe in Homs seit dem Beginn des Aufstands gegen Assad im März 2011.

Die Zeitung »Al-Watan« berichtete unter Berufung auf Militärkreise, die Armee habe den größten Teil von Chaldijeh unter ihre Kontrolle gebracht. Auf der Online-Videoplattform YouTube eingestellte Aufnahmen zeigten massive Zerstörungen rund um eine Moschee in dem Ortsteil. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in London berichtete von heftigen Kämpfen zwischen Rebellen und Regierungstruppen am Rand von Chaldijeh. Die syrische Armee hatte vor zehn Tagen mit ihrem Vorstoß auf Homs begonnen.

(neues deutschland, Dienstag, 9. Juli 2013)




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