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"Die Aufständischen machen die Regierung für alles verantwortlich"

In Syrien fehlt es an Benzin, Heizöl und Kochgas. Von Karin Leukefeld, Beirut/Damaskus

Von Karin Leukefeld, Beirut/Damaskus *

Ein langes Wochenende hat begonnen in Syrien. Eingeleitet wurde es am Donnerstag von religiösen Feiern zum Geburtstag des Propheten Mohammad, Freitag ist Feiertag und am Samstag bleiben die meisten staatliche Einrichtungen ohnehin geschlossen. Restaurants und Geschäfte hingegen sind geöffnet, jedes syrische Pfund, das umgesetzt werden kann, ist willkommen. Bei dem wenigen Verkehr bleibt die Verkehrspolizei zu Hause, nur Soldaten und Sicherheitskräfte halten Wache vor militärischen und öffentlichen Einrichtungen. An den vielen Straßensperren kontrollieren sie Fahrzeuge und Fußgänger. Bei dem fast frühlingshaften, sonnigen Wetter, spazieren Familien und Paare entspannt die Straßen entlang, um sich abzulenken oder vielleicht, um den einen oder anderen günstigen Kauf tätigen zu können. Die meisten Geschäfte versprechen in ihrer Außenwerbung großen Preisnachlass.

Die Idylle trübt. Am Himmel mischen sich schwarze Rauchschwaden unter die weißen Schäfchenwolken, in der Ferne sind seit den frühen Morgenstunden Explosionen und Kanonendonner zu hören. Ab und zu kreist ein Kampfjet über der Stadt, bevor er seine tödliche Fracht über Daraya oder Maadamiya abwirft. Offizielle Stellen bestätigten am Donnerstag auch schwere Einsätze in den Vorstädten Abdeen und Haifoon sowie in dem ort Deir Atiyeh, der im Umland von Damaskus liegt.

Daraya und Maadamiya sind seit November Schauplatz heftiger Kämpfe zwischen Armee und den bewaffneten Aufständischen. Rund 50.000 Einwohner allein aus Daraya haben Zuflucht im Zentrum von Damaskus, in Jdeide Artuz oder Sehnaya gefunden, diese beiden Orte liegen bis zu 20 km von Damaskus entfernt. Im Oktober hatte es eine Vereinbarung zwischen Aufständischen und Armee in Dareya gegeben, der vom Ältestenrat der Stadt – Scheich, Priester, Richter, Lehrer und andere angesehene Persönlichkeiten - vermittelt worden war. Weil die Einwohner nicht wollten, dass ihr Ort durch die Kämpfe zerstört wird, forderten sie beide Seiten auf, sich zurückzuziehen. Nachdem die Aufständischen abgezogen waren, zog auch das Militär sich zurück. Kurz darauf allerdings kehrten bis zu 5000 bewaffnete Aufständische (nach Daraya) zurück, berichtet ein Einwohner (der Autorin in Damaskus). Von dort griffen sie den benachbarten Militärflughafen Mezzeh an. Dabei wurde Mitte November die Wohnung des Mannes beschädigt, als eine fehl geleitete Granate der Aufständischen in dem Haus einschlug, in dem er mit seiner Familie wohnt. Armee und Luftwaffe schlugen daraufhin härter zu, als zuvor. Inzwischen liegt das gesamte Gebäude in Schutt und Asche.

„Wollen Sie wirklich zum Yussef Asem Platz, ich habe nur wenig Benzin.“ Im Schleichtempo biegt der Taxifahrer von der Hauptstraße in Mezzeh auf den Ommayyaden Platz ein und fährt langsam auf eine Straßensperre auf der Malki Straße zu. Erneut vergewissert er sich, wo der Fahrgast nun hin möchte, im Innenraum des Fahrzeugs riecht es wie auf einer Tankstelle. Vermutlich hat der Mann am Morgen mit einem Schlauch aus dem Wagen des Bruders etwas Benzin abgezweigt, um wenigstens ein paar Stunden zu fahren und Geld verdienen zu können.

Seit einer Woche gebe es kein anderes Gesprächsthema mehr, sagt der Geschäftsführer eines Cafés im Zentrum der Stadt. Kilometerlange Schlangen winden sich um die Tankstellen, von denen es heißt, es gebe Benzin. Manch einer fährt – sofern er noch genug Benzin im Tank hat - 50 km weit, wenn er die Nachricht bekommt, dass es dort Benzin gebe. Betroffen sind alle Syrer, ob Bus-, LKW- oder Taxifahrer. Ob Mann oder Frau, die mit dem Wagen zur Arbeit fahren, ob Angestellte, Schüler und Studierende, die auf den öffentlichen oder staatlichen Busservice angewiesen sind. Neben Benzin fehlt es an Heizöl und Kochgas, ein besonderes Problem im Winter, wo es nachts weit unter Null Grad kalt werden kann.

Die Gründe für den Energiemangel sind vielfältig. Die Kämpfe beeinträchtigen Transportwege und Produktionsstätten, die EU-Sanktionen haben den syrischen Ölhandel gestoppt, der zu 90 Prozent mit Deutschland, Frankreich und Italien abgewickelt worden war. Neuerdings gibt es Vereinbarungen mit Russland und Iran, die die Ausfälle mit dem europäischen Markt ausgleichen können. Sabotage und Diebstahl sind ein weiterer Grund, sagt ein ausländischer Diplomat, der seit Jahren in Syrien lebt. „Die Aufständischen können militärisch nicht siegen, nun wollen sie die Wirtschaft des Landes zum Erliegen bringen, um das Vertrauen der Bevölkerung, die nicht zu ihren Anhängern zählen, in die Regierung zu erschüttern und die Menschen auf ihre Seite zu ziehen“, sagt der Mann (im Gespräch mit der Autorin in Damaskus). Angriffe auf Tanklastwagen, auf die Wasserversorgung und die gesamte staatliche Infrastruktur wurden auch von einer Fact-Finding-Mission des UN-Nothilfeprogramms (OCHA) bestätigt, war auf einer Pressekonferenz (am 22.1.) in Beirut zu erfahren.

Aus Kreisen von Regierungsgegnern im Land und außerhalb wird die Regierung für den Energiemangel verantwortlich gemacht. Die Bevölkerung solle „bestraft“ werden, ist zu hören. Benzin und Heizöl würden für die Militäreinsätze beschlagnahmt, ist ein Mann überzeugt, der namentlich nicht genannt werden möchte. „Die Aufständischen machen die Regierung für alles verantwortlich“, meint der zuvor bereits zitierte Diplomat, der ebenfalls um Anonymität bat. „Selbst wenn eine Einheit Soldaten oder ein Kontrollpunkt angegriffen wird“, werde reflexartig auf staatliche Stellen gezeigt.

Der Minister für Nationale Versöhnung, Ali Haidar, forderte am Mittwoch bei einer Versöhnungskonferenz in Deraa die „bewaffneten syrischen Bürger“ auf, ihre Waffen fortzuwerfen und sich an einem Dialog für eine friedliche Zukunft Syriens zu beteiligen.

* Dieser Beitrag erscheint auch - gekürzt - in der "jungen Welt" vom 25. Januar 2012 (unter dem Titel "Syriens Fluch")


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