Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Der Ruf nach Krieg wird lauter

Syrien erlaubt UN-Untersuchung des mutmaßlichen Chemiewaffenangriffs

Von Olaf Standke *

Zwar fehlen weiter belastbare Beweise für einen C-Waffen-Einsatz durch Syriens Regierung, doch der Ruf im Westen nach militärischen Reaktionen wird lauter. Derweil hat Damaskus UN-Inspektoren eine »sofortige« Untersuchung erlaubt.

Ob Frankreichs Präsident, Israels Regierungschef oder »Der Spiegel« – sie alle sehen das Assad-Regime in der Verantwortung und fordern ein militärisches Eingreifen. Die Aufständischen in Syrien ohnehin. Wobei die islamistische Al-Nusra-Front nicht auf westliche Hilfe warten will und am Sonntag ankündigte, man werde sich jetzt an der alawitischen Minderheit rächen. Die Exil-Opposition hofft zumindest auf die Einrichtung einer Flugverbotszone. Noch aber zeigen sich viele Regierungen skeptisch gegenüber einer Intervention ohne Mandat des Weltsicherheitsrates, auch in Berlin. Was die Bundesregierung nicht daran hinderte, Generalinspekteur Volker Wieker zu einem Treffen von Generalstabschefs nach Amman zu entsenden, um die Folgen des Konflikts für die Region und Möglichkeiten der Militärkooperation zu beraten.

Entscheidend aber bleibt, wie sich Washington entscheidet. Präsident Barack Obama und der britische Premier David Cameron haben eine »ernste Antwort« angekündigt. Obama beauftragte die Geheimdienste, »Fakten und Beweise« zusammenzutragen. Zuvor hatte Pentagon-Chef Chuck Hagel erklärt, er werde »Optionen für alle Eventualitäten bereitstellen«. Laut CNN verstärkt die US-Marine ihre Präsenz im östlichen Mittelmeer. So kehrt der Zerstörer »USS Mahan« nicht wie vorgesehen in seinen Heimathafen zurück. Damit verfügen die USA nun über vier mit Raketen bestückte Kriegsschiffe in der Region. Eine aktuelle Umfrage zeigt jedoch: Etwa 60 Prozent der US-Amerikaner lehnen ein militärisches Eingreifen in Syrien ab.

Derweil bekräftigte die Führung in Damaskus noch einmal, »niemals Chemiewaffen eingesetzt« zu haben, weder flüssig noch als Gas. Die Armee habe den Einsatz solcher Waffen nicht nötig – tatsächlich beobachteten Experten zuletzt militärische Erfolge der Streitkräfte. Vielmehr habe man in einem Tunnel der Aufständischen im Damaszener Stadtteil Dschobar chemische Kampfstoffe gefunden. Sie hätten im Nordosten der Hauptstadt Giftgas eingesetzt. Nach Gesprächen mit der UNO-Abrüstungsbeauftragten Angela Kane hat die Regierung am Sonntag schließlich eine »sofortige« Untersuchung durch das eingereiste UN-Inspektorenteam erlaubt.

Nach Angaben der Opposition sollen in der Vorwoche in den von Rebellen kontrollierten Vororten bei einem C-Waffen-Angriff über 1300 Menschen getötet worden sein. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte spricht von 170 Toten. »Ärzte ohne Grenzen« wiederum erklärte am Wochenende, dass man in von der Hilfsorganisation betreuten Krankenhäusern 3600 Menschen mit Symptomen von Nervengift behandelt habe; 355 seien gestorben. Der Schweizer Chemiewaffenexperte Stefan Mogl wies jetzt darauf hin, dass Urin- und Blutproben von den mutmaßlichen Opfern nur in einem Zeitfenster von wenigen Tagen einen zweifelsfreien Nachweis erbringen könnten.

* Aus: neues deutschland, Montag, 26. August 2013


Aufmarsch gegen Assad

Eskalation statt Untersuchungen: USA bereiten nach Meldungen über Giftgasangriffe Aggression gegen Syrien vor

Von Knut Mellenthin **


Die USA halten im Mittelmeer zur Zeit vier Zerstörer bereit, die für Militärschläge gegen Syrien eingesetzt werden könnten. Jedes dieser Kriegsschiffe ist mit mehr als 90 Cruise Missiles vom Typ Tomahawk ausgerüstet. Die ­Navy hat die übliche Zahl ihrer Schiffe in der Region kurzzeitig von drei auf vier erhöht; zwei der Zerstörer sind bereits im Ostteil des Mittelmeers stationiert.

Verteidigungsminister Chuck Hagel hatte am Freitag erklärt, er sei von Präsident Barack Obama aufgefordert worden, ihm Pläne für ein gewaltsames Vorgehen gegen Syrien vorzulegen. »Das erfordert, daß wir unsere Kräfte in Stellung bringen, damit wir in der Lage sind, verschiedene Optionen durchzuführen – je nachdem, für welche der Präsident sich entscheidet.«

Während Obama offiziell noch den Zauderer spielt, wie zuletzt am Freitag in einem Interview mit dem Sender CNN, geben sich israelische ­Medien unter Berufung auf Armee- und Geheimdienstquellen ihres Landes bereits sicher, daß die US-Regierung zum Angriff auf Syrien entschlossen ist. Sie beziehen sich dabei auf ein Telefongespräch, das US-Stabschef General Martin Dempsey am Freitag mit seinem israelischen Kollegen Benny Gantz führte.

Auch der britische Regierungschef David Cameron äußerte sich nach einem 40minütigen Telefongespräch mit Obama am Sonnabend zuversichtlich, den US-Präsidenten bereits »mit im Boot« für das nächste Kriegsabenteuer zu haben. Der Premierminister und Obama hätten übereinstimmend festgestellt, es gebe »zunehmende Anzeichen«, daß der mutmaßliche Giftgasangriff am vorigen Mittwoch vom »syrischen Regime« ausgeführt worden sei, teilte ein Sprecher Camerons mit. Die beiden Politiker seien sich einig, daß der Vorfall »eine ernsthafte Antwort der internationalen Gemeinschaft erfordert«, und hätten ihre Sicherheitskräfte angewiesen, »alle Optionen zu prüfen«.

Die britische Zeitung Observer berichtete in diesem Zusammenhang am Sonnabend, daß in der ersten Wochenhälfte ein »Gipfeltreffen« westlicher und arabischer Militärs in der jordanischen Hauptstadt Amman geplant sei. Thema scheint hauptsächlich oder ausschließlich ein gemeinsames Vorgehen gegen Syrien zu sein. Neben Dempsey und dem Chef des für die Region zuständigen Kommandos Mitte der US-Streitkräfte, General Lloyd Austin, werden, dem Observer zufolge, auch die Stabschefs Großbritanniens, der Türkei, Frankreichs, Katars, Kanadas, Saudi-Arabiens und Italiens in Amman erwartet.

Obama hatte am 20. August 2012, fast exakt ein Jahr vor dem schweren Giftgasangriff der vorigen Woche, angedroht, daß ein Einsatz chemischer Waffen durch die syrischen Streitkräfte eine »rote Linie« überschreiten und sein eigenes »Kalkül« entscheidend verändern würde. Mitte Juni erklärte Obama zum ersten Mal, daß Syrien diese »rote Linie« überschritten habe. Anders als die UNO sah es das Weiße Haus – ohne Darlegung von Fakten und Indizien – als erwiesen an, daß die syrische Regierung für mehrere Giftgaseinsätze – angeblich mindestens acht Fälle – verantwortlich sei. Der Präsident habe deshalb eine Verstärkung der Unterstützung für die Rebellen beschlossen, gab Obamas stellvertretender Nationaler Sicherheitsberater Ben Rhodes bekannt, wollte aber zu konkreten Einzelheiten nicht Stellung nehmen. Rebellensprecher klagen, daß von der damals versprochenen Hilfe bis heute nichts angekommen sei.

US-Medien vergleichen die möglicherweise bevorstehenden Militäraktionen gegen Syrien mit dem Luftkrieg gegen Jugoslawien, durch den die NATO im Frühjahr 1999 die Lostrennung des Kosovo erzwang. Dieser Vergleich enthält aber einen entscheidenden Fehler: Schon aus Gründen der Glaubwürdigkeit kann sich der Westen diesmal nicht auf Luftangriffe beschränken. Es müssen, wie schon im August vor einem Jahr intensiv diskutiert und propagiert wurde, gezielte Kommando­unternehmen hinzukommen, um vermutete Chemiewaffenlager der Syrer »sicherzustellen« oder zu verhindern, daß diese Waffen »in falsche Hände fallen«. Dafür stehen auch Einheiten aus Israel bereit, das in den nächsten Tagen zwar nicht offiziell in Amman mitreden wird, aber zweifellos an den Kriegsvorbereitungen beteiligt ist.

Möglicherweise wird der Marsch in den Krieg aber zunächst durch die syrische Bereitschaft aufgehalten, eine internationale Untersuchung des mutmaßlichen Giftangriffs zu ermöglichen. Damaskus will den Inspekteuren der UNO, die sich schon seit vorigem Sonntag zur Prüfung früherer Zwischenfälle im Land befinden, Zugang zu den betroffenen Dörfern gewähren. Eine entsprechende Vereinbarung mit den Vereinten Nationen meldete die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana am Sonntag unter Berufung auf das Außenministerium. Zuvor hatten schon Medien des Irans gemeldet, daß der syrische Außenminister Walid Al-Muallim in einem Telefongespräch mit seinem iranischen Kollegen Mohammad Jawad Zarif die Ermöglichung einer Untersuchung durch die UNO versprochen habe. Iran geht davon aus, daß das Giftgas von »Terroristen« eingesetzt wurde, und fordert eine harte Verurteilung durch die internationale Gemeinschaft.

* Aus: junge welt, Montag, 26. August 2013


Dokumentiert: Auszüge aus einem Deutschlandfunk-Interview mit Walther Stützle

Walther Stützle war Staatssekretär unter Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD). Das Interview führte Christine Heuer.

Heuer: Ist ein militärischer Einsatz in Syrien jetzt zwingend und ist er richtig?

Stützle: Er ist weder zwingend noch wäre er richtig noch wäre er gerechtfertigt. Denn es gibt keine eindeutigen Beweise dafür, was man gegenwärtig dem Assad-Regime anlastet. Wir haben ja die merkwürdige Situation, dass die Geheimdienste der Vereinigten Staaten und anderer Nationen offenbar in der Lage sind, Freunde auszuspionieren, sogar bei den Vereinten Nationen, aber nicht in der Lage sind, der Öffentlichkeit und vor allen Dingen auch den Regierungen ein klares Nachrichtenbild aus Syrien zu liefern.

Heuer: Nun untersuchen ja die UN-Inspekteure den Ort des Geschehens ...

Stützle: ... Ich denke, wir müssen auf jeden Fall das Ergebnis der Arbeit der Inspekteure abwarten, und dann erst kann der Mechanismus in Gang gesetzt werden, der dafür vom internationalen Recht, vom Völkerrecht vorgesehen ist, nämlich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen müsste sich dann über das vorhandene Beweismaterial beugen und müsste zu einem Urteil gelangen ...

Heuer: Dergleichen ist doch eher nicht zu haben vom Weltsicherheitsrat, solange Russland dort mit einem Veto solche Entscheidungen systematisch blockiert. Es ist jetzt die Rede von der Blaupause Kosovo für einen Militäreinsatz ohne UN-Mandat. Zwingt Russland die Staatengemeinschaft geradezu zu solchen Schritten?

Stützle: Ich verstehe sehr gut den Fokus auf Russland, aber dabei bleibt ja immer unerwähnt, dass Russland im Fall Libyen betrogen worden ist. Im Fall Libyen 2011 hat man die Zustimmung Russlands zum Eingreifen damit gewonnen, dass man zugesichert hat, das Mandat rechtfertige keine militärische Intervention. Kaum war das Mandat verabschiedet mit der Zustimmung Russlands, haben die Franzosen und die Engländer, später dann mithilfe der NATO, eine militärische Intervention vorgenommen. Und vor diesem Hintergrund muss man sehr viel Verständnis für die russische Position haben ...

Heuer: Aber Herr Stützle, die Diplomatie ist ja bisher nicht sehr weit gekommen, und wenn die Welt weiterhin nichts unternimmt, dann geht das Töten in Syrien weiter und jeder Despot in der ganzen Welt weiß dann, dass auch er Giftgas ungestraft einsetzen kann.

Stützle: Das ist eine Schlussfolgerung, die ich verstehe, die ich aber nicht teile, denn wir haben ja nun aus der Geschichte der Interventionen gelernt, dass die Kosten, und zwar sowohl die menschlichen Kosten wie die finanziellen Kosten von Intervention am Ende immer viel höher waren als das, was man politisch erreichen wollte. Das jüngste Beispiel ist Afghanistan, wo wir die ganz große Negativbilanz bald ziehen werden und sehen, dass nichts von dem politisch erreicht worden ist, was man sich vorgenommen hat.

(...)

Stützle: Die Vereinigten Staaten verfügen über alle militärischen Fähigkeiten, die man benötigte, um - rein militärisch argumentiert, wovon ich ja abrate - einen militärischen Zerstörungserfolg zu erzielen. Sie sind mit ihrer sechsten Flotte im Mittelmeer präsent, sie verfügen über weitreichende Waffen. Interessanterweise verfügen sie ja auch über sehr moderne Aufklärungsmittel, die aber offensichtlich versagen, wenn es um das Lagebild am Boden geht. Und ich wundere mich über internationale Organisationen, die jetzt schon genau wissen, wer angeblich diese Chemiewaffen eingesetzt hat. (...)

Heuer: Herr Stützle, diese Frage können wir jetzt nicht beantworten. Ich stelle Ihnen noch eine andere, nach Ihrer Prognose. Glauben Sie, es wird zu einem Militäreinsatz jetzt kommen in Syrien?

Stützle: ... Ich hoffe, dass sie (die Regierungen in Washington, London, Paris, Anm. AGF) einen kühlen Verstand bewahren und nicht zum Mittel der Intervention greifen, bevor sie nicht ein eindeutiges Lagebild haben. Und wenn sie ein eindeutiges Lagebild haben, dann erst beurteilen, ob nicht die politischen und diplomatischen Bemühungen sehr viel mehr Aussicht auf Erfolg hat. (...)

Quelle: Deutschlandfunk, 26.08.2013; http://www.dradio.de




McWar

Von Ingolf Bossenz ***

»Krieg böse« nannte Martin Kippenberger eine seiner Bilderserien. Von wegen: Für US-Senator John McCain hängt die Glaubwürdigkeit Amerikas an einem Militärschlag gegen Assad. Wenn Obama jetzt nicht handele, würde das Wort des US-Präsidenten in der gesamten Region nicht mehr ernst genommen werden, warnt der Republikaner. Die USA könnten ja Raketen einsetzen – die Kosten gering, die Soldaten nicht gefährdet. Krieg zum Schnäppchenpreis: McWar. Not love.

Wenn hier überhaupt von Liebe die Rede sein kann, dann von der »erschreckenden Liebe zum Krieg«, die der US-amerikanische Psychologe und Schriftsteller James Hillman thematisierte. Und die nicht nur bei McCain und anderen Kriegswirren derzeit wieder in opulenter Blüte steht. Für Frankreichs Staatschef Hollande deutet alles (!) auf einen Chemiewaffenangriff durch das Assad-Regime hin. Frankreich sei entschlossen, »diese Tat nicht ungestraft zu lassen«. Der Sozialist, der sich als protestantischen Atheisten sieht, sollte auf die Worte von Papst Franziskus hören, der die »fürchterlichen Bilder« beklagt und dennoch strikt eine dialogische Lösung im Konflikt fordert.

Die »fürchterlichen Bilder« harren ihrer Erklärung und Aufklärung. Doch die sind entbehrlich. Der Krieg wohl nicht. »Der Krieg unentbehrlich« überschrieb Nietzsche vor 135 Jahren einen Aphorismus in seinem Buch »Menschliches, Allzumenschliches«. Es muss ja nicht immer der »große Krieg« sein, den der Philosoph meinte: Ein McWar-Syrienkrieg wäre nur unrecht und billig. Und böse.

*** Aus: neues deutschland, Montag, 26. August 2013


Zurück zur Syrien-Seite

Zur Chemiewaffen-Seite

Zur Seite "Militär-Interventionen"

Zurück zur Homepage