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Gefechte an der Propagandafront

Meldung über weiteren Abtrünnigen der Assad-Regierung erwies sich als Rohrkrepierer

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Im Medienkrieg um Syrien hat der arabische Nachrichtensender Al-Arabija ein Eigentor geschossen. Es dürfte die Glaubwürdigkeit der Opposition weiter ramponieren.

Der Protokollchef im Präsidentenpalast in Damaskus, Moheddin Muslimani, habe sich ins Ausland abgesetzt, erklärte ein Sprecher der »Freien Syrischen Armee« (FSA) im arabischen Sender Al-Arabija (Saudi-Arabien) am Donnerstag. Die FSA habe ihm dabei geholfen, so der Mann. Am Mittag allerdings wandte sich Muslimani in seinem Büro in Damaskus an die Medien und dementierte die Falschmeldung. Er habe sich zu einer regulären medizinischen Untersuchung in Beirut aufgehalten, erklärte er. Dort habe er die Meldung über sich im Fernsehen gehört und sei direkt nach Damaskus zurückgekehrt.

Westliche Agenturen übernehmen häufig ungeprüft Meldungen von Al-Arabija und Al-Dschasira (Katar). Beide Sender agieren in ihren arabischen Programmen gleichsam wie Pressestellen des Syrischen Nationalrates (SNR) und der »Freien Syrischen Armee«, die fast stündlich Erklärungen in den Sendern abgeben.

Die militärische Lage in umkämpften Teilen von Aleppo scheint sich verschiedenen Berichten zufolge zu Ungunsten der bewaffneten Aufständischen zu entwickeln. Nach einer massiven Offensive der regulären Streitkräfte auf Stellungen der Rebellen habe man »einen taktischen Abzug aus Salaheddin vollzogen«, sagte Hossam Abu Mohammed, ein Kommandeur der »Freien Syrischen Armee« telefonisch der Nachrichtenagentur AFP. »Das Viertel ist vollständig von Rebellenkämpfern geräumt.« Die syrische Armee rücke vor. Agenturberichten zufolge sollen die Streitkräfte in den vergangenen Tagen bis zu 20 000 Soldaten um Aleppo zusammengezogen haben. Ziel ist, die Nachschubwege der Aufständischen in die Türkei zu kappen, was scheinbar Erfolg gehabt hat. Bis zu 8000 bewaffnete Aufständische sollen sich in Aleppo befunden haben. Die Zahlen sind nicht zu überprüfen.

Das syrische Militär gibt sehr sparsam Auskunft über sein Vorgehen. Erstmals berichteten syrische Medien über den Einsatz der Luftwaffe in der Umgebung von Aleppo in dem Gebiet von Hritan. Viele bewaffnete Kämpfer seien getötet und verwundet worden, hieß es. Unter den getöteten »Söldner-Terroristen«, wie die Kämpfer offiziell in Syrien genannt werden, hätten sich Personen aus Libyen, Jemen und Afghanistan befunden. Syrien wirft den Golfmonarchien vor, diese Kämpfer zu finanzieren.

Ein Deutscher soll sich Berichten der »Süddeutschen Zeitung« zufolge in Aleppo in Haft befinden. Das Auswärtige Amt bestätigte den Fall, man bemühe sich um Kontakt zu dem Mann. Es soll sich um einen 51-jährigen Mann irakisch-kurdischer Herkunft handeln, der vor vielen Jahren mit einem gefälschten Pass aus Syrien nach Deutschland eingereist war. Der Mann, der als Anhänger der in Syrien verbotenen Muslimbruderschaft gilt, ist möglicherweise dem internationalen Ruf zum Dschihad (Heiligen Krieg) gefolgt, der in Syrien gegen die Ungläubigen - Schiiten, Alawiten und Christen - stattfinden soll.

Iran hat derweil begonnen, sein politisches und diplomatisches Gewicht in die Waagschale im Kampf um Syrien zu werfen. Außenminister Ali-Akbar Salehi hatte nach Gesprächen in Damaskus auch die Türkei besucht und in Richtung Ankaras, der Golfmonarchien sowie der Nachbarstaaten Syriens erklärt, gegen den Willen Teherans werde die Führung in Syrien nicht fallen. Iran machte Katar und Saudi-Arabien für die Entführung von iranischen Pilgern in Syrien verantwortlich .

Auf Einladung der iranischen Führung kamen am Donnerstag in Teheran 30 Staaten zusammen, um über die Lage in Syrien beraten. Das iranische Außenministerium teile mit, man suche nach Wegen, den Sechs-Punkte-Plan von Kofi Annan umzusetzen. Insbesondere gehe es um einen »Waffenstillstand, humanitäre Hilfe und die Basis für einen nationalen Dialog«.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 10. August 2012


Kampf um Aleppo

Syrische Armee setzt Einkreisung der Stadt fort und schneidet bewaffneten Aufständischen die Nachschubwege ab. Assad ernennt neuen Premier

Von Karin Leukefeld, Damaskus **


Mehr als acht Stunden sind wir gefahren. Wir mußten viele Kontrollpunkte passieren, einige von der ›Freien Syrischen Armee‹, andere von den regulären Streitkräften.« Es ist später Abend, als der hagere, hochgewachsene Mann müde bei seinen Bekannten in einem kleinen Hotel in Damaskus eintrifft. Am Morgen war er in Aleppo gestartet, wo er in Aschrafiye, einem der nördlichen Viertel, wohnt. »Die meisten bei uns sind Kurden«, sagt der Mann und fügt stolz hinzu: »Da traut sich die ›Freie Syrische Armee‹ nicht hin, wir haben ihnen und der Türkei klar gesagt, daß wir mit ihnen nichts zu tun haben wollen.« Maskierte Bewaffnete der FSA seien an der Autobahn zwischen Idlib und Hama wie »aus dem Nichts« aufgetaucht. Sie stoppten den Bus. Alle männlichen Reisenden mußten sich ausweisen. Einen jungen Mann, der beim Militär seinen Wehrdienst leistet und zum Wochenende zu seiner Familie fahren wollte, hätten die Bewaffneten mitgenommen. Man wisse nicht, ob man den jungen Mann je wiedersehen würde, fügt der Reisende aus Aleppo hinzu, der sich Sores nennt. »So viele junge Soldaten wurden von diesen Leuten entführt. Wer sich nicht anschließt, wird umgebracht.« Verschiedene Stadtteile von Aleppo seien von den Kämpfern »besetzt« worden, sagt Sores. Sie griffen Polizeistationen und Einrichtungen der Sicherheitskräfte an, seien mit Granatwerfern (RPG) und Schnellfeuergewehren ausgerüstet. Er habe sie selbst gesehen, seiner Meinung nach seien nur einige von den Männern Syrer, die anderen kämen »wer weiß woher«. Reden würde er mit ihnen nicht, die Aleppiner wollten sie nicht in der Stadt, ist sich Sores sicher.

Angaben von arabischen Journalisten und Einwohnern von Aleppo zufolge setzt die syrische Armee ihre Einkreisung der Stadt fort. Ziel ist, die Nachschubwege der bewaffneten Aufständischen abzuschneiden, was offenbar erste Erfolge zeitigt. Reporter der Nachrichtenagentur Reuters berichteten am Mittwoch, die Aufständischen hätten den Ortsteil Salaheddin aufgegeben. Verschiedene FSA-Sprecher gaben widersprüchliche Auskünfte. Einmal erklärten sie einen »taktischen Rückzug«, dann wieder hieß es, man kontrolliere 90 Prozent von Aleppo. Wieder andere sagten, man habe einige der Viertel von Salaheddin zurückerobert. Agenturfotos aus Aleppo und Umgebung zeigen Kämpfer mit schweren Waffen, die mit stahlhartem Blick und umgehängten Patronengürteln an einen Rambo-Film erinnern. Auf anderen Bildern sind weniger gestählte Männer zu sehen, die um getötete Freunde trauern. Ein Foto zeigt einen Jungen, der in der Kluft der Kämpfer mit seinem Gewehr auf einer Schulbank sitzt und offenbar eine Straße kontrolliert.

Viele Bilder belegen enorme Zerstörungen von Häuserzeilen, unklar bleibt allerdings, ob diese Bilder die Realität in dem gesamten Ortsteil Salaheddin darstellen. Offizielle syrische Medien berichteten erstmals offiziell von »Einsätzen der Luftwaffe« in Teilen des Umlandes von Aleppo. Es seien Hubschrauber im Einsatz gewesen, die mit Schnellfeuergewehren Ziele am Boden unter Feuer nahmen. Die syrischen Streitkräfte hätten die »bewaffneten Saudi-Katar-Söldner« daran gehindert, weiter in die Stadt einzudringen. Auch aus anderen Stadtteilen seien die Kämpfer vertrieben worden. Dabei habe es auf seiten der Aufständischen »hohe Verluste« gegeben, hieß es in der staatlichen Nachrichtenagentur SANA News.

Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung soll sich ein Deutscher irakischer Herkunft in Aleppo in Haft befinden. Es soll sich um einen irakischen Kurden handeln, der mit einem gefälschten syrischen Paß vor 18 Jahren nach Deutschland gekommen sei und in Regensburg gelebt habe. Er sei Anhänger der Muslimbruderschaft, berichten verschiedene deutsche Medien. Möglicherweise ist der Mann dem Ruf der »Dschihadisten-Internationale« gefolgt, um in Syrien den »Heiligen Krieg« gegen die Ungläubigen (Schiiten, Alawiten und Christen) zu führen. Von offizieller syrischer Seite gab es keinen Kommentar dazu. Das Auswärtige Amt bestätigte den Fall und erklärte, man bemühe sich um Kontakt zu dem Mann.

Die Bundesregierung hatte im Januar alle diplomatischen Vertretungen in Syrien geschlossen. Sicherheitsbeamte, die sich noch in der Botschaft in Damaskus aufhielten, wurden als Reaktion auf die Ausweisung des syrischen Botschafters aus Deutschland im Juni ausgewiesen. Reporter, die seit Monaten die Aufständischen begleiten, berichten aus dem Norden Syriens von einer wachsenden Zahl Kämpfer, die über Pässe europäischer Länder verfügten.

Präsident Baschar Al-Assad hat am Donnerstag den bisherigen Gesundheitsminister Wael Al-Halqi zum neuen Ministerpräsidenten ernannt. Der 48jährige stammt aus Deraa und tritt die Nachfolge von Riad Hidschab an, der sich am vergangenen Wochenende aus Syrien abgesetzt hat und wahrscheinlich in Jordanien aufhält.

** Aus: junge Welt, Freitag, 10. August 2012


Dem Frieden keine Chance

NATO-Staaten forcieren Bürgerkrieg in Syrien. Vertreter aus 28 Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas fordern bei Gipfel in Iran "nationalen Dialog statt Gewalt"

Von Rüdiger Göbel ***


Vertreter aus 28 Ländern ­Asiens, Afrikas und Lateinamerikas sind am Donnerstag zu Syrien-Gesprächen nach Teheran gekommen. Nach Angaben des iranischen Außenministers verurteilten die Teilnehmer des Gipfels die Gewalt­eskalation in Syrien und forderten einen nationalen Dialog zwischen Regierung und Opposition zur Beilegung der Krise. An der von der iranischen Regierung kurzfristig einberufenen Konferenz nahmen nach Angaben von Außenminister Ali Akbar Salehi Regierungsmitglieder u.a. aus Pakistan, Irak, Simbabwe und Rußland teil. Laut El Nacional aus Caracas schickten auch die ALBA-Staaten Venezuela, Kuba, Nicaragua und Ecuador Vertreter.

Die NATO-Länder verstärken derweil ihre Hilfe für die Gegner des syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad. Frankreich schickte gestern eine Gruppe von Militärärzten nach Jordanien, die an der Grenze zu Syrien operieren sollen. Die Türkei liefert unter dem Deckmantel humanitärer medizinischer Hilfe Kriegsgerät an die Aufständischen. Nach Angaben des Oppositionspolitikers Mevlüt Dudu (CHP) transportieren Krankenwagen regelmäßig Waffen und Munition über die Grenze nach Syrien. Auf dem Rückweg würden mit den Fahrzeugen verwundete Kämpfer der bewaffneten syrischen Opposition in die Türkei gebracht. Das meldete gestern AFP mit Verweis auf entsprechende Berichte in türkischen Medien. Unter Berufung auf Bewohner von Grenzdörfern sagte der Parlamentsabgeordnete Dudu weiter, einige Häuser in der Region würden als Befehlsposten der syrischen Rebellen genutzt. Bei seinem Besuch sei er auch auf Kleinlaster gestoßen, die Medikamente und Treibstoff über die Grenze nach Syrien schafften. Es sei klar, daß die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan von diesen Vorgängen wisse, konstatierte Dudu.

US-Außenministerin Hillary Clinton plant, am Wochenende in die Türkei zu fliegen und das weitere Vorgehen zu koordinieren. Dazu will sie auch mit Vertretern der syrischen Opposition zusammenzutreffen. Da nun so viel in Syrien vor sich gehe, wolle Clinton mit »Aktivisten vor Ort« sprechen, vermeldete die Agentur dapd.

Regierungsnahe Thinktanks in Washington und Berlin arbeiten mit Hochdruck an Plänen für die Zeit nach dem Sturz Asssads. Verkehrte Welt: In Deutschland sind an der regierungsfinanzierten Umsturzarbeit offensichtlich auch »Aktivisten« beteiligt, die von Teilen der Friedensbewegung unterstützt werden. In der Reportage »Deutscher Marshallplan für Syrien nach Assad« (Deutsche Welle) bekennt Ferhad Ahma, Mitglied im »Syrischen Nationalrat« und im Beirat der Kampagne »Adopt a Revolution«, freimütig, seit Jahresbeginn an entsprechenden Geheimtreffen des Projekts »The Day After« teilgenommen zu haben. An seiner Seite sind die Kampagnenaktivisten Elias Perabo und Aktham Abazid zu sehen. Gleichwohl teilte »Adopt a Revolution« auf jW-Nachfrage per E-Mail mit, Mitglieder seien an dem Projekt nicht beteiligt. Nachfragen wurden abgelehnt. »Adopt a Revolution« sucht nach eigenen Angaben vornehmlich »Revolutionspaten« für syrische Oppositionelle. Die »unabhängige Intiative aus der Zivilgesellschaft« schreibt auf ihrer Webseite: »Um sich die Unabhängigkeit zu bewahren, wird Adopt a Revolution keine staatlichen Gelder annehmen.« Unterstützung kommt statt dessen von medico international, der Bewegungsstiftung, dem Netzwerk Friedenskooperative und dem Komitee für Grundrechte und Demokratie.

*** Aus: junge Welt, Freitag, 10. August 2012


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